„Beachtlich“, sagte do Velho, als sein Untertan eintauchte. „Dazu taugt er eben.“
Inzwischen war die „Candia“ nahezu in den Wind gegangen. Die Segel wurden aufgegeit, ein Boot senkte sich rasch der See entgegen. In Lee enterte die vom Zuchtmeister zusammengestellte Besatzung ab, bemannte das Boot, legte ab und pullte auf den schwimmenden Ignazio zu.
„Gebt ihnen Feuerdeckung!“ schrie Lucio do Velho.
Zehn Soldaten stürzten daraufhin mit Musketen und Arkebusen an das Steuerbordschanzkleid der Kuhl und legten auf etwaige Gegner an. Aber ein Umstand half dem protugiesischen Kommandanten: schwer und träge breiteten sich die Rauchschwaden der Explosion immer noch nach allen Seiten aus. Sie hingen tief über den Wellen, und der Wind schaffte es nicht, sie fortzuräumen.
Die malaiischen Freibeuter in den Prahos, die Männer von Otonedjus Stamm und die Krieger der Orang Laut bemerkten daher erst wertvolle Sekunden später, was sich in Lee der viermastigen Galeone tat.
Auch Hasard und seine Männer konnten durch die Rauchschwaden so gut wie gar nichts mehr erkennen. Erschüttert hatten sie nur verfolgt, wie die Explosion die zwei Schiffe zerfetzt hatte. Das verzweifelte Bestreben der Spanier an Bord der vierten Galeone jedoch, der „Isabella“ doch noch einen vernichtenden Treffer zu verpassen, vereitelte das Vorhaben des Seewolfs, die Unglücksstelle aufzusuchen und nach dem Rechten zu sehen.
So ergab sich aus einem tragischen Zusammentreffen von Fakten, daß Ignazio ungehindert die treibenden Schiffbrüchigen erreichte. Er glitt auf einen blutenden Mann zu, der gerade im Begriff war, unter den Wasserspiegel zu rutschen. Ignazio registrierte, daß es sich bei diesem schwarzbärtigen, wild aussehenden Kerl um einen der malaiischen Piraten handelte, und er war eher versucht, diesem das Messer in den Leib zu rammen, um das Werk zu vollenden, das die Wirkung der Explosion begonnen hatte.
Aber rechtzeitig besann er sich auf den Befehl, den do Velho ihm mit auf den Weg gegeben hatte.
Ignazio schwamm zu dem Malaien. Der Mann war bewußtlos. Ignazio griff in seinen vollen Haarschopf, zerrte ihn zu sich heran und schleppte ihn ohne sonderliche Mühe zu dem heranpullenden Boot hin ab.
Die Bootsbesatzung stellte die Riemen in den Dollen hoch, so daß der Mann aus Porto bis an das Dollbord gelangte. Ignazio hievte den ohnmächtigen Eingeborenen ein wenig empor, und die Kameraden von der „Candia“ packten zu und nahmen den Reglosen über, wobei sie alles andere als sanft mit ihm umsprangen.
Auf die gleiche Weise holte der Mann aus Porto auch die anderen Überlebenden der Katastrophe bis an das Boot. Insgesamt wurden es sieben Mann, fünf Malaien und zwei Spanier. Die letzteren zählten zu den einfachen Decksleuten, nicht zu den Offizieren oder Soldaten der Galeone. So sehr Ignazio sich auch umschaute, er konnte weitere Besatzungsmitglieder der vernichteten spanischen Galeone nicht entdecken.
Auf der „Candia“ krachten plötzlich die Musketen und Arkebusen. Ein einmastiger Praho hatte die Rauchbarriere durchstoßen und schickte sich an, zu dem Beiboot des Flaggschiffes zu segeln. Die Malaien schienen begriffen zu haben, was hier geschah, und stimmten ein wütendes Geschrei an.
Ignazio beeilte sich, zu dem Boot zurückzugelangen. Er klomm an Bord, die Jolle schwankte bedenklich, dann begannen die Spanier in fiebernder Hast zu pullen. Ob sie heil zur „Candia“ zurückgelangten, war inzwischen in Frage gestellt, da die Rebellen von Malakka sich auch durch das stakkatohafte Musketenfeuer nicht abhalten ließ, an der „Candia“ vorbeizurauschen.
Erst als drei Kanonen des unteren Batteriedecks der „Candia“ ihren Gluthauch auf den Praho ausspien, ließen sich die Malaien vom Kurs abbringen. Die Bootsbesatzung do Velhos gewann Zeit und Vorsprung und pullte wie rasend auf die Bordwand des imposanten, behäbig daliegenden Viermasters zu.
Von der Luvseite her setzten die Freibeuter der „Candia“ inzwischen auch wieder zu.
Aus Lucio doVelhos Sicht gehörte viel Nervenstärke dazu, ein gerüttelt Maß an Kaltblütigkeit, mit aufgegeiten Segeln auf die Übernahme von Boot und Insassen zu warten. Doch do Velho besaß diese Abgeklärtheit. Er geriet auch dann nicht aus der Fassung, als kleine Kanonenkugeln der Prahos klaffende Lücken in das Backbordschanzkleid seines Schiffes hackten.
Die Männer aus der Jolle enterten an der Jakobsleiter auf, Ignazio folgte als letzter. Er schleppte den schwarzbärtigen, muskulösen Malaien auf der Schulter mit, als handle es sich um ein nicht sonderlich schweres Bündel Segeltuch. Die übrigen Schiffbrüchigen wurden vermittels Tauen hochgehievt, dann wurde auch das Boot so schnell wie möglich binnenbords geholt – und Lucio do Velho ließ das Großsegel und die Fock setzen.
Kommandorufe hallten über Deck der „Candia“. Sie ging überstag und wandte sich mit ihrem Vorsteven nach Süden.
Do Velho bedeutete Ignazio und einigen anderen Männern, die fünf malaiischen Gefangenen herbeizuschleppen. Nur einer von ihnen hatte das Bewußtsein wiedererlangt – der Schwarzbärtige. Sein glühender, haßlodernder Blick traf den portugiesischen Kommandanten.
„Haltet den Kerl fest“, ordnete do Velho an. „Die anderen richtet ihr so am Schanzkleid des Hecks auf, daß die Hundesöhne unten in den Prahos ihre Kumpane deutlich genug sehen können.“ Er schaute wieder zu dem Schwarzbärtigen. „Du da. Verstehst du mich?“
Kein einziges Wort erwiderte der Pirat, aber seine durchbohrenden Blicke sprachen Bände.
„Ich habe dich was gefragt!“ brüllte do Velho ihn unbeherrscht an. Jetzt, diesem triefend nassen, blutenden, in Fetzen gehüllten Mann gegenüber, verlor er tatsächlich seine souveräne Haltung. „Ignazio, bring den Dreckskerl zum Sprechen!“
Ignazio hieb mit der Faust zu und traf den Nacken des hochgewachsenen Malaien. Der Mann ging in die Knie, stöhnte aber nicht. Er versuchte herumzufahren und den Mann aus Porto anzugreifen, aber Ignazio schlug noch einmal zu.
Da sank der Malaie auf die Körperseite. Sein Gesicht war verzerrt, er stieß etwas in seiner Muttersprache aus und spuckte Lucio do Velho vor die Füße.
Ignazio wollte mit beiden Fäusten auf ihn losgehen.
„Nicht“, sagte sein Kommandant jedoch. „Er scheint wirklich nicht zu verstehen. Aber wir setzen seinen Spießgesellen auch so auseinander, was wir verlangen. Stell diesen Bastard auf die Beine.“
Seine letzten Worte gingen in dem Donnergrollen unter, das von der „Isabella“ herübertönte. Hasard hatte weitere vier Culverinen der Steuerbordseite auf die vierte Galeone des spanischen Verbandes abfeuern lassen, und diesmal war das Ergebnis im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagend. Schwer getroffen krängte die Galeone nach Backbord und begann zu sinken.
Die fünfte Galeone stand in gierig hochschießenden Flammen, das Feuer verzehrte die Masten samt ihrem laufenden und stehenden Gut und sengte über den oberen Teil des Holzrumpfes.
Die Besatzungen beider Schiffe flohen mit den Beibooten. Die zweite Galeone indes lief brennend immer weiter nach Südwesten ab. Ihrer Mannschaft gelang es nicht, das Feuer unter Kontrolle zu kriegen.
Do Velho ließ seine fünf eingeborenen Gefangenen wie die Marionetten am Heckschanzkleid der „Candia“ hochstemmen. Er blickte auf die Gegner hinunter. Zwei Prahos trachteten gerade, sich von achtern an die Galeone heranzupirschen und ein Entermanöver zu beginnen.
„Haltet ein!“ schrie do Velho den Piraten zu. „Wir töten eure Kameraden, wenn ihr nicht die Flagge streicht!“
Als die Piraten von Malakka keinerlei Reaktion zeigten, hob do Velho die Hand zu einer Gebärde. Ignazio und die anderen Bewacher der Gefangenen begriffen. Sie zückten ihre Messer und hielten die Klingen den Geiseln an die Gurgeln.
Die Geste war unmißverständlich. Dennoch hatte der Portugiese sich in den Männern der Prahos getäuscht, und zwar gründlich. Sie ließen sich nicht aufhalten. Wieder blafften die kleinen Bordgeschütze auf, Musketen und Tromblons wurden gegen die nur langsam dahinziehende „Candia“ leergeschossen. Ein Hagel von Pfeilen schwirrte über die Galerie des Viermasters hinaus ganz nach oben, zum erhöhten Deck – nicht nur do Velho, Ignazio und die übrigen Besatzungsmitglieder liefen Gefahr, getroffen zu werden, auch die fünf Malaien in ihrer Gewalt waren bedroht.
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