Die andere Kugel hatte ein Stück von der Heckgalerie der großen Galeone abrasiert. Aber das eigentliche Ziel des spanischen Kapitäns, die Ruderanlage der „Isabella“ zu zerstören, war verfehlt worden.
Im über See streichenden Pulverrauch zog die „Isabella“ an der spanischen Galeone vorbei. Im Größerwerden der Distanz zwischen beiden Schiffen drehte sich der Vorsteven der „Isabella“ allmählich nach Süden.
„Madre de Dios!“ schrie der spanische Kapitän. „Dieser Bastard luvt an – er will uns rammen!“
Zwar war das eine totale Fehleinschätzung dessen, was der Seewolf wirklich plante, aber im Endeffekt wurde das erreicht, was Hasard vorhatte.
Der Kapitän der ersten Dreimast-Kriegsgaleone wechselte gleichfalls den Kurs und ließ anluven. So vollzog er gemeinsam mit der „Isabella“ praktisch das gleiche Manöver – aus Angst, es könnte wirklich die Absicht dieses offensichtlich verrückten Korsaren sein, eine Kollison hervorzurufen.
Aber nach einem Entermanöver sah das Ganze wahrhaftig nicht aus.
Hasard hatte hart anbrassen lassen und schaffte es nun, in einem engeren Bogen und flinker als das spanische Schiff zu drehen. Während der erste Gegner in großer Schleife nach Süden ablief, drehte die „Isabella“ in den Wind.
„Wir gehen über Stag!“ schrie Hasard seinen Männern zu.
Wenig später hatten sie die zweite Dreimast-Galeone der Spanier vor dem Bug. Für Sekunden segelten beide Schiffe direkt aufeinander zu. Dann feuerte der Don seine Buggeschütze ab und luvte ebenfalls in der gleichen Kursrichtung wie die erste Galeone an.
„Vordeck!“ kommandierte der Seewolf. „Drehbassen Feuer!“
Smoky und Al Conroy zündeten die in drehbaren Gabellafetten gelagerten Hinterlader und trafen unter dem Jubel der Kameraden das Vorkastell des Spaniers.
Hasard stieß einen grellen Pfiff aus. Er genügte, um auch Big Old Shane und Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, in Aktion zu versetzen. Kleine Feuerzungen loderten in Groß und Vormars aus, sie verließen das Schiff und huschten zu der spanischen Galeone hinüber. Das Zielschießen mit Pfeilen hatte begonnen, die Takelung des Dons begann zu brennen, aber die pulvergefüllten Pfeile, eine Spezialität, bewahrte sich Shane noch für später auf.
Der Tiger von Malakka war derweil in die Flanke des Gegners gefallen. Seine „Yaira“ und die anderen Prahos waren ungemein beweglich und dem Feind in dieser Beziehung weit überlegen.
Hasard hatte erreicht, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Der Fünferverband war aufgesplittert.
Die „Isabella“ legte sich hoch am Wind auf den Backbordbug. Carberry brüllte, daß die „Isabella“ bis in ihre Maststengen erzitterte, und dann raste die Steuerbordbreitseite, achtmal siebzehn Pfund massiven Eisens, aus dem Schiff.
Ferris Tucker hatte eins der Geschütze bedient, aber er schaute auf und sah zu dem eigentümlichen hölzernen Gestell, das er auf dem Quarterdeck placiert hatte.
Hasard bemerkte es und rief ihm zu: „Noch nicht, Ferris. Deine Höllenflaschenabschußkanone bedienst du erst, wenn ich es dir sage.“
„Aye, Sir!“ rief Ferris zurück. Dann betätigte er sich als Ladenummer, indem er sich unter die Brüstung des Schanzkleides kauerte, um vor dem Feuer des Gegners geschützt zu sein, und mit dem Borstenschwamm zunächst das Rohr der Culverine reinigte. Bill, der Schiffsjunge, stand hinter dem Bodenstück der Kanone und hielt die Zugtalje, die verhinderte, daß der 17-Pfünder auf seiner Lafette vorrollen konnte.
Ferris führte mit Hilfe der Kelle eine Kartusche in das Rohr und preßte dann mit einem Ansetzer, der einen biegsamen Griff hatte, ein Knäuel Kabelgarn aufs Pulver. Darauf kam zuletzt die Kugel, die wiederum mit einem Wergknäuel in ihrer Lage festgehalten wurde.
Unterdessen griff das Feuer auf der zweiten spanischen Galeone um sich. Der Besatzung gelang es nicht, die Flammen zu ersticken.
Hasard wollte an das Flaggschiff des Verbandes heran, doch der Kommandant war mit dem Kurs auf Nordosten nun seinerseits Überstag gegangen und segelte auf den tollkühnen Sotoro und dessen „Yaira“ zu.
Die vierte und die fünfte Galeone rauschten am Heckspiegel der „Candia“ vorbei und steuerten auf die „Isabella“ zu. Das Feuer aus leichten Bordgeschützen und Musketen sowie die Brandpfeile, die die kleineren Prahos verließen, konnten diese beiden Schiffe nicht beeinträchtigen. Sie waren noch unversehrt, und ihre Kapitäne hatten nichts von ihren Energien und ihrem Drang, dem Feind jetzt die Hölle heiß zu machen, eingebüßt.
Die zwei Dreimaster schoben sich zwischen die „Candia“ und die „Isabella“, ehe Hasard ihnen mit einem entsprechenden Manöver zuvorkommen konnte. Plötzlich hatten die Seewölfe alle Hände voll zu tun, den anrückenden Spaniern zu trotzen, denn die Steuerbordbatterie war noch nicht wieder vollständig geladen.
Ferris Tucker eilte auf Hasards Wink hin an die „Höllenflaschenabschußkanone“ und ließ sofort die erste Explosionsflasche mit einer glimmenden Lunte und hochbrisantem Inhalt zu der vierten Galeone hinüberwirbeln. Shane und Batuti richteten ihr Pfeilfeuer auf diesen Gegner. Big Old Shane entschloß sich, die Pulverpfeile einzusetzen.
Hasard selbst opferte einen Brandsatz, den er vom Hof des Großen Chan Wan Li mitgebracht hatte. Fauchend stieg das gleißende Feuerbündel vom Achterdeck der „Isabella“ auf und raste auf die fünfte Galeone los.
Hasard hatte die Distanz richtig kalkuliert. Wie ein Geisterfeuerwerk, eine großartige Lichtermesse zum Mondkuchenfest der Chinesen, tanzte der Zauber über das Oberdeck des feindlichen Dreimasters. Schreie wehten zur „Isabella“ herüber.
Über Hasards Züge huschte ein grimmiger Ausdruck. Magnesitfeuer und chinesischer Schnee ließen sich nur schwer löschen. Die Besatzung der Galeone hatte vollauf damit zu tun, sich selbst vor den Flammen zu schützen und sich von der Kuhl auf die höhergelegenen Decks zu retten.
Ins Gefecht konnte sie momentan nicht mehr eingreifen.
Hasard und seine Crew widmeten sich nun voll und ganz der vierten Galeone, und empfingen sie mit einer halben Steuerbordbreitseite, während unter Carberrys heiserem Gebrüll die restlichen vier Kanonen in Schußposition bugsiert wurden.
Die erste Galeone des Verbandes hatte inzwischen auch über Stag gedreht, während die zweite brennend nach Süden lief. Der Kapitän der ersten Galeone versuchte, dem wie eine Fackel lodernden fünften Schiff zu Hilfe zu eilen.
Sotoro hatte diese Entwicklung von seinem Praho aus beobachtet. Jetzt wechselte er den Kurs, und seine Kampfesgenossen in den anderen kleinen Schiffen nahmen die „Candia“ unter Beschuß. Es bedurfte keiner Absprache, keiner Signale, die Malaien wußten auch so, was sie zu tun hatten.
Do Velho und seine Mannschaft hatten so intensiv mit den Eingeborenen zu tun, daß es dem Tiger von Malakka tatsächlich gelang, in Lee an dem Flaggschiff vorbeizuschnüren.
Sotoro ging an dem von dem chinesischen Brandsatz getroffenen Dreimaster vorbei und hielt auf die erste Galeone zu, bereit zum Entern. Als ein paar wutentbrannte Gegner der fünften Galeone mit Musketen und Arkebusen auf die „Yaira“ zu schießen trachteten, schwirrten die Pfeile von den Bogensehnen der Freibeuter. Ein wahrer Hagel prasselte auf das Deck der Galeone ein, als die Schiffe einander in geringem Abstand passierten. Die Spanier mußten in Deckung gehen.
So gelang dem malaiischen Freibeuter der Durchbruch zu der ersten Galeone. Die Seewölfe schlugen sich unterdessen erbittert mit der vierten Galeone herum.
Hasard gewann in einer Atempause den Ausblick auf die „Candia“. Deutlich sah er die Gestalt des Kommandanten auf dem Achterdeck. Sie erschien ihm bekannt. Er griff zum Spektiv, führte es ans Auge, hatte den Don in voller Lebensgröße in der Optik vor sich – und ein Fluch löste sich von seinen Lippen.
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