Der Doppelposten!
Die Soldaten marschierten von rechts heran, doch dann blieb der eine stehen, soviel vernahm Hasard. Er hörte auch, was der Don zu seinem Kameraden sagte.
„Und ich sage dir, da war etwas. Ich hab’s gehört, ganz deutlich sogar. Ein Füßescharren oder so ähnlich.“
„Oder so ähnlich“, ahmte ihn der andere nach, während er näher auf den Seewolf zuschritt. „Wenn du so sicher bist, dich nicht getäuscht zu haben, mußt du doch auch wissen, was das für ein Geräusch war.“
„Ich finde, einer von uns sollte ’runtersteigen“, ließ sich nun der erste vernehmen.
„Und ganz um den Bau herumlaufen?“
„In der Milchsuppe ist von hier oben aus wenig zu erkennen …“
„Ach hör doch auf. Du siehst Gespenster, das ist es.“
Der erste Soldat stieß eine unflätige Verwünschung aus, die Yaira zweifellos in Verlegenheit gebracht hätte, hätte das Mädchen sie verstanden.
Hasard gewahrte, wie der zweite Sprecher hinter den Zinnen erschien. Blieb der Kerl jetzt stehen und beugte sich aus der Schießscharte, war es um den Seewolf geschehen. Dann brauchte der Spanier nur noch mit der Muskete anzulegen, da nutzte kein noch so eiliges Abwärtshangeln etwas.
Gewiß, Hasard konnte ihm zuvorkommen und mit der Pistole auf ihn feuern. Aber damit verfehlte er den Zweck der Übung. Durch eine solche Aktion hätte er die komplette Kommandantur, in der bekanntlich auch die Stadtgarde zu Hause war, wachgetrommelt. Wie man es auch drehte – er mußte scheitern, falls der Posten ihn entdeckte.
Aber der Soldat schritt weiter. Seine Stiefel schlugen hart auf die steinerne Plattform des Wehrganges.
Hasard regte sich. Er zog sich affengewandt das letzte Stück Tau hoch, war in der Schießscharte und glitt auf den Wehrgang. Auf den Fußspitzen pirschte er dem davonmarschierenden Wächter nach. Er brachte es fertig, keinen Laut zu verursachen, und erreichte den Mann.
Einen Arm schlang er ihm von hinten um den Kopf und preßte die Hand auf dessen Mund. Mit der anderen Hand schlug er so zu, wie Sun Lo, der Mönch von Formosa, es ihm beigebracht hatte. Schwielig waren Hasards Handkanten noch nicht geworden, aber das brauchten sie auch nicht zu sein, um einen Gegner ins Reich der Träume zu schicken.
Der Soldat sank zu Boden. Hasard mußte aufpassen, daß der Brustpanzer nicht auf dem Gestein schepperte. Den Helm nahm er seinem schachmatt gesetzten Kontrahenten ab und stülpte ihn sich selbst über, nachdem er sich seiner Batak-Fischermütze entledigt hatte.
Zügig schritt er nun auf den anderen Posten zu. Der hatte es aufgegeben, von den Zinnen in die Tiefe zu blicken, und setzte jetzt seinen Weg fort. Er wollte etwas zu der vor ihm aus dem Dunst wachsenden Gestalt sagen, doch als er bemerkte, daß dieser Mann nicht mit seinem Kameraden identisch war, blieb ihm das Wort im Halse stecken. Er wollte die Arme hochreißen, eine Waffe zücken, doch der Seewolf fällte ihn mit beiden Fäusten.
Hasard überzeugte sich, daß auch dieser Mann nicht so rasch wieder zu sich kam, dann schlich er zu der Schießscharte, in der der Enterhaken klemmte. Er beugte sich weit vor und stieß einen leisen Pfiff aus.
Daraufhin kletterte Dan O’Flynn herauf. Er begutachtete die beiden besinnungslosen Soldaten, grinste und wollte etwas Anerkennendes zu Hasard sagen. Der aber wehrte mit der Hand ab.
„Sag den anderen Bescheid“, raunte er. „Sie sollen auch hochklettern. Ich schätze, daß wir den Hof unbehelligt passieren können, aber wir beide, Dan, unternehmen auf jeden Fall ein kleines Bäumchen-wechsledich-Spiel.“
Dan tickte den einen Ohnmächtigen mit der Stiefelspitze an. „Verstehe. Wir bilden sozusagen die Vorhut, die jeden aus dem Weg räumt, der uns in die Quere gerät. Tiku, Kutabaru und das Mädchen halten uns den Rücken frei, indem sie uns nachpirschen.“
„Du hast es mal wieder erfaßt, Dan.“
„Bin doch nicht auf den Kopf gefallen.“
„Ich hoffe, daß du dir auch innerhalb der nächsten Minuten nicht die Rübe quetschst“, gab Hasard leise zurück, „denn es wird heiß, höllisch heiß.“
Lucio do Velhos Wunsch war natürlich stattgegeben worden. So stieg er vom Kommandantur-Hauptgebäude aus die rohen Stufen in den unterirdischen Kerker hinunter, während oben erneut zwei der malaiischen Freibeuter in Gegenwart des Stadtkommandanten, des Hafenkapitäns, Escribanos und Lozanos verhört werden sollten.
„Lassen Sie sich von dem Tiger nicht täuschen“, hatte Uwak, der Atjeh, ihn gewarnt.
„Deswegen will ich ihn besuchen – weil ich mich nicht täuschen lasse“, hatte do Velho auf seine unnachahmbare Art zurückgegeben.
Nachdem er die beiden Posten am einzigen Zugang des Kerkers hinter sich gebracht hatte, schritt er zwischen den düsteren Zellen auf einem durch blakende Pechfackeln erhellten Gang entlang. Dabei überlegte er, welche Fluchtmöglichkeiten der Tiger von Malakka hatte. Falls er sich seiner Ketten entledigen konnte, würde es ihm dann jemals gelingen, eine der beiden zum vergitterten Eingang des Kerkers führenden Treppen zu passieren? Wie sollte er die beiden Posten überwältigen, wie durch die Kommandantur ins Freie gelangen? Unmöglich. Und die zweite Treppe, die auf den hinteren Innenhof hinausstrebte? Nun, dort gab es kein Tor in der Mauer, und der Wehrgang wurde ständig durch Soldaten unter Aufsicht gehalten.
Sotoro saß gewissermaßen hermetisch eingeschlossen. Der portugiesische Kommandant trat vor die enge Zelle des Malaien und wünschte sich inständig, schon bald auch den Seewolf in einer derartigen Situation zu sehen – festgekettet, auf einem Bündel Stroh ausgestreckt, völlig ermattet, zerlumpt, verletzt, verlaust.
Einem schwer zu beschreibenden Antrieb folgend, entnahm do Velho eine der Fackeln ihrem eisernen Halter, und hielt die Flamme dicht vor das Gitter von Sotoros Zelle.
Der Tiger von Malakka rührte sich nicht. Sein Kopf hing bedenklich nach hinten über, sein Mund war halb geöffnet, die Augen hielt er fest verschlossen, seine Brust schien sich nicht mehr zu heben und zu senken.
Do Velho war unwillkürlich versucht, an den Tod des Mannes zu glauben. Dann aber besann er sich. Er kehrte zu den Wachtposten am Eingang zurück, ließ sich die Schlüssel aushändigen, gab ihnen ein paar knappe Anweisungen und suchte dann wieder die Gittertür von Sotoros Verlies auf.
Ohne zu zögern schloß er sie auf. Er trat neben die reglose Gestalt, ließ die Fackel ein Stück sinken und betrachtete seinen kostbaren Gefangenen noch einmal ganz genau.
Minuten verstrichen so. Schließlich sagte Lucio do Velho in reinstem, unverfälschtem Kastilisch: „Wir wissen, daß du Spanisch kannst wie deine eigene Muttersprache. Ich bin auch sicher, daß du mich in diesem Moment hörst und jede meiner Gesten studierst. Du mußt dich zwingen, nicht die Augen zu öffnen. Mein lieber Freund, ich bin selbst ein geborener Darsteller. Laß dir deshalb sagen, daß deine Anstrengungen zumindest mir stümperhaft erscheinen.“
Er erhielt keine Erwiderung.
„Ich könnte dir das Gesicht mit der Fackel versengen“, hob do Velho wieder an zu sprechen. „Aber solche Methoden halte ich nicht für angebracht. Unter uns, ich finde sie ekelhaft. Deshalb habe ich die Kommandantur auch verlassen, wo man sich jetzt auf eine Weise mit deinen Kumpanen befassen wird, die alles Bisherige übersteigt. Es liegt in deiner Hand, diese Unmenschlichkeiten abzubrechen, Sotoro. Ich will dich jetzt nicht auf die milde Art zwingen, ein Geständnis abzulegen und deine Pläne zu offenbaren. Ich will dir ein Geschäft vorschlagen. Es lautet: Du hilfst mir, den Seewolf zu fassen, und ich gewähre dir die Freiheit. Ich will nicht die gesamte Inselwelt absuchen, ich will diesem Killigrew eine gezielte Falle stellen.“
„Wer bist du?“ fragte Sotoro, ohne die Augen zu öffnen.
Читать дальше