Binnen kurzer Zeit hatte er den neuen Kurs festgelegt. Er trat neben Pete Ballie und sah zu Ben, Ferris, Shane, Smoky, dem Profos und Old O’Flynn hinaus, die ihn vom Quarterdeck aus fragend anblickten.
„Wenn der Wind weiter handig bleibt und nicht dreht, erreichen wir Luzon noch heute abend“, erklärte er.
„Wie ist das?“ sagte Shane. „Gehen wir dort schön brav und sittsam vor Anker, oder passieren wir die Insel im Westen und laufen nach Süden ab?“
Die anderen konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Tja“, meinte Hasard versonnen. „Wie ist das denn, Männer? Traut ihr euch schon wieder was zu, oder kaut ihr noch an den Nachwehen des Taifuns herum?“
Carberry stieß einen Laut aus, der an ein leises Ächzen erinnerte. „Die was? Die Nachwehen? Sir, äh, ich meine, daß wir keine alten Waschweiber sind. Verdammt, wenn’s darum geht, den Dons eins aufs Haupt zu hauen, sind wir alle voll dabei.“ Er wandte den Kopf und blickte die anderen prüfend an. „Oder will einer dagegen anstinken? Was, wie?“
„Ed“, sagte Ferris Tucker. „Bis jetzt hat noch keiner davon gesprochen, daß wir Luzon oder gar Manila anlaufen. Bislang war immer nur die Rede davon, daß wir versuchen, so schnell wie möglich in den Indischen Ozean und von dort aus nach England zu gelangen.“
„Ach …“
„Es sei denn, Hasard hat seine Pläne geändert“, warf Old O’Flynn ein. „Könnte ja sein.“
„Ja, ihr Himmelhunde“, sagte Hasard lachend. „Ihr wißt schon, auf was ich hinauswill. Ich kann an Manila nicht vorbei, ohne den Spaniern und Portugiesen einen guten Tag gewünscht zu haben. Ich finde, das gehört sich einfach.“
Der Profos rieb sich grinsend das Rammkinn. „Irgendwie erinnert mich das an Panama. An dem Nest haben wir auch nicht vorbeigekonnt, ohne den Dons, eine – eine Höflichkeitsvisite abgestattet zu haben.“
„Gut hast du das ausgedrückt“, sagte Smoky. „Aber du weißt doch auch, daß wir uns in Manila den Hintern versengen können, oder?“
„Kerl, bin ich etwa ein blutiger Anfänger?“ fragte der Profos. „Natürlich müssen wir geschickt vorgehen, wenn wir nicht selbst aufs Kreuz gelegt werden wollen. Aber ich schätze, Hasard findet schon den richtigen Dreh heraus.“
Sir John ließ sich aus den Besanwanten auf Carberry fallen, fing den Sturz mit ausgebreiteten Schwingen ab und landete auf der ausladenden Profos-Schulter.
„Alle Mann an Deck! Klar bei Kartuschen!“ schrie er.
Carberry wischte mit der Hand über die Schulter, aber der karmesinrote Aracanga wich ihm gekonnt aus.
„Halt den Rand, du gerupfte Krähe!“ zischte Carberry. „Soweit sind wir noch nicht.“
Die Männer lachten. Während des Taifuns hatte der Papagei eine Heidenangst gehabt. Ausnahmsweise hatte er sogar mit Arwenack Burgfrieden geschlossen und sich in dessen schützenden Pfoten zusammengekuschelt – obwohl der Affe selbst wie Gelee geschlottert hatte. Jetzt aber hatte Sir John wieder mächtig Oberwasser. Die Crew ertrug sein Gezeter und Gefluche, sie war ja froh, daß er und der Schimpanse den Sturm überlebt hatten.
„Ed“, sagte der Seewolf. „Du scheinst ja mächtig viel Vertrauen in deinen Kapitän zu setzen.“
Carberry war überrascht. „Also, Sir. Ich will mir auf der Stelle die Hand abhacken lassen, wenn du nicht schon wieder was ausgeheckt hast.“
„Das habe ich“, erwiderte Hasard. „Und Sun Los Karte von den Philippinen hat mir dabei große Hilfe geleistet.“
Sie segelten im Verlauf des Tages an der Insel Calayan vorbei, dann zwischen Dalupiri und Fuga hindurch, während Camiguin weit Backbord achteraus zurückblieb. Sämtliche Inseln, die zur Babuyan-Gruppe gehörten, waren auf Sun Los Karte eingezeichnet, auch die winzigsten.
Das Kap Bojeador befand sich nur noch etwa zwanzig Meilen entfernt, wie Hasard nach kurzer Berechnung feststellte. Er ließ abfallen, und die „Isabella“ legte sich platt vor den Nordostwind.
An diesem Vormittag wärmten Sonnenstrahlen das Oberdeck der großen Galeone. Nur hin und wieder trieben weiße Wolkenfetzen durch das Kobaltblau des Himmels. Man war wegen des herrlichen Wetters versucht, eher an Ostern als an das eben erst vergangene Weihnachtsfest zu denken. Es war — wie die Männer sagten – ein Tag „um Jungfrauen zu verführen“.
Feindliche Schiffe tauchten vorerst nicht auf. Dan O’Flynn hielt zwar nach allen Himmelsrichtungen Ausschau, konnte jedoch keine Mastspitzen an der Kimm oder in der Nachbarschaft der Inseln erkennen. Gary Andrews war auf Hasards Befehl hin als Ausguck in den Vormars aufgeentert. Ein zusätzlicher Ausguck konnte jetzt, in der unmittelbaren Nähe der Philippinen, nicht schaden. So gut Dans Augen auch waren, vier Augen sahen mehr als zwei.
Hasard dachte an die eine Galeone der Portugiesen, die er nach dem Anschlag auf die „Sao Paolo“ immer noch als Verfolger hinter sich vermutet hatte. Was war aus dem Schiff geworden?
Und der Kapitän der „Sao Fernao“? War der noch am Leben? Hasard wußte, daß er sich mit drei Männern von Bord des brennenden Schiffes hatte retten können – auf das winzige Eiland nördlich von Formosa.
Wenn dieser Mann noch lebte, dessen war der Seewolf sicher, würde er alles daransetzen, ihn, Philip Hasard Killigrew, wieder zu hetzen. So, wie Hasard ihn einschätzte, mußte dieser Mann, dessen Namen er nicht wußte, ein beispielloser Fanatiker und Karrierehengst sein.
Noch vor der Mittagsstunde hatten sie die Nordküste von Luzon erreicht. Wenig später rundeten sie Cabo Bojeador im Nordwesten der großen Insel, und Hasard tastete sich von hier ab praktisch an der Küste entlang nach Süden. Mit der Geographie der Insel war er vertraut, als wäre er früher schon einmal hiergewesen. Diesen Umstand hatte er der ausgezeichneten Karte des Mönches von Formosa zu verdanken. Minuziös gab das Zeichenwerk auch die kleinsten Einzelheiten wieder. Hinzu kamen die Hinweise, die Sun Lo dem Seewolf mündlich mitgeteilt hatte. Sun Lo hatte die Philippinen vor vielen Jahren einmal bereist, als sie noch nicht Felipinas hießen. Viele wertvolle Details hatte er zu schildern gewußt, die Beschaffenheit der Landschaft auf den Inseln, die Wesensart der Menschen, die hier als rechtmäßige Ureinwohner lebten, Dinge, die Hasard in seinem Gedächtnis unauslöschlich festgehalten hatte.
Die „Isabella“ war von jetzt an ständig gefechtsbereit. Jede Minute konnten sich spanische oder portugiesische Schiffe zeigen. Ganze Verbände, die aufkreuzten, um den Eindringling zu kontrollieren. Hasard war darauf vorbereitet und gewappnet.
Seine Crew natürlich auch.
„Vielleicht schießen sie uns die Lady bald wieder kurz und klein“, meinte Matt Davies auf der Kuhl zu Al Conroy. „Es wäre schön, wenn man Segelschiffe aus Eisen statt aus Holz bauen könnte.“
„Aber wie soll so was schwimmen?“
„Das frag ich mich auch, Al.“
Conroy hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Auf die Zeit, in der solche Schiffe erfunden werden, können wir noch lange warten, glaube ich.“
Der Seewolf wahrte die Distanz zur Insel Luzon, aber durch das Spektiv konnte er stets jenen flachen schwarzen Streifen erkennen, der die Küste darstellte. Laoag, eine Siedlung, lag bereits nördlich querab, sie zogen jetzt an Vigan, einem anderen, ziemlich unbedeutenden Ort, vorbei.
Häfen hatten diese Siedlungen aber allesamt, und deswegen war der Seewolf höllisch auf der Hut. Eine einzige Schaluppe mit nur einem getakelten Mast, aber mit einer zu neugierigen Besatzung konnte ihm und seinen Männern zum Verhängnis werden. Er legte allergrößten Wert darauf, vor Manila nicht entdeckt zu werden.
Was dann folgte, stand auf einem anderen Blatt. In Manila änderte sich die Taktik grundlegend.
Am Nachmittag war San Fernando erreicht, und die „Isabella“ segelte nun vor dem Nordostwind am Golf von Lingayen vorbei. Der Großteil der Strecke, die sie noch von Manila trennte, war zurückgelegt. Südlich des Golfes erstreckte sich ein Stück recht gerader Küste, das sich nach vierzig, fünfzig Meilen zur Bahia de Manila öffnete.
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