Tatsächlich lief die „Isabella“ eine Viertelstunde später auf Grund.
Aber sie holte sich kein Leck weg, ihr Vorsteven und Kiel hatten sich in sandigen Meeresboden gebohrt.
Später, sehr viel später stellte der Seewolf anhand einiger Berechnungen fest, daß sie die Insel Babuyan nördlich von Luzon erreicht hatten.
Ein Wunder schien geschehen zu sein. Die Männer der „Isabella“ bekreuzigten sich immer wieder und dankten dem Himmel für diese Fügung. Sie schämten sich nicht einzugestehen, daß der Taifun eine Nummer zu groß für sie gewesen war – beziehungsweise eine halbe Nummer, wie Carberry ziemlich großspurig verkündete.
Babuyan – hier leckten die Seewölfe im Abklingen des Taifuns ihre Wunden. Hier begannen sie vor Jahreswende, ihr Schiff wieder flottzumachen und in eine geschützte Bucht zwischen seichten, sandigen Ufern zu verholen.
Sie konnten wieder einmal mit dem Instandsetzen der „Isabella“ beginnen.
Die „Bahia Blanca“ hatte den Taifun nicht überstanden. Lucio do Velho hatte von Bord der „Santa Luzia“ aus noch gesehen, wie die Galeone in Seenot geraten war, doch Braga de Sor und er sowie die Mannschaft der „Santa Luzia“ hatten nichts mehr für die andere Besatzung unternehmen können.
Sie hatten selbst alle Hände voll zu tun gehabt, um die „Santa Luzia“ im Wetter zu halten.
Die „Bahia Blanca“ war verschwunden – von der wahnwitzigen, gefräßigen See vertilgt worden. Mit ihr hatte es den Kommandanten Silvan da Odemira, den Kapitän Vincenzo Cunhal, den Kapitän Nuno Goncalves sowie gut vierzig Mann getroffen.
Auf der „Santa Luzia“ befanden sich außer Lucio do Velho und Braga de Sor die Stamm-Mannschaft des Schiffes und einige Seeleute und Soldaten, die zu den Überlebenden der „Bartolomeu Diaz“, der „Vasco da Gama“ und der „Sao Paolo“ zählten. Ignazio, der Mann aus Porto, stand treu do Velho zur Seite.
Im wildesten Taifun hatte dann ein Brecher den Kapitän Braga de Sor von Bord gespült – und mit ihm ein paar Decksleute. Lucio do Velho hatte das Kommando übernommen. Viel Chancen hatte er sich auch nicht mehr ausgerechnet. Doch dann hatte er geradezu sagenhaftes Glück gehabt.
Er hatte den Dreimaster „Santa Luzia“ nach Y’ami steuern können, zu einer Insel der Batan-Gruppe. Mit einigen Schäden am Schiff und erschöpften, teils verletzten Männern an Bord war er in eine kleine, geschützt liegende Bucht eingelaufen.
So war er glimpflich davongekommen.
Als der Taifun in seinen letzten Zügen lag, trat Ignazio ergriffen zu seinem Kapitän aufs Achterdeck und sagte: „Das hätte ich nie gedacht. Wir haben dem Tod ins Antlitz gesehen, aber dank Euch hat er uns nicht gepackt. Mi capitán, das wird man Euch in Manila hoch anrechnen.“
Do Velho nickte gnädig. „Ja, ich schätze auch, daß man mich zumindest belobigen wird. Ignazio, wir haben wieder ein Schiff. Wir reparieren es und laufen aus, sobald die See es zuläßt.“
„Was mag aus den anderen geworden sein?“
„Von wem sprichst du? Von de Sor und den armen Teufeln, die mit ihm in die Fluten gerissen worden sind?“
„Auch. Und von dem Comandante, der ‚Bahia Blanca‘ …“
Do Velho räusperte sich. Er holte zu einer theaterreifen Geste aus, seinem Auftreten mangelte es nicht an der notwendigen Grandezza. „Mein lieber Ignazio, man muß im Leben beweglich sein, sich auf neue Situationen rasch einzustellen wissen. Kannst du mir folgen?“
„Ich glaube, Capitán.“
„Welchen Sinn hat es, wenn wir uns unnötigen Gedanken um die bedauernswerten Verblichenen hingeben? Dadurch retten wir sie nicht mehr.“
„Ihr meint …“
„Natürlich sind sie alle ertrunken.“
„Seid Ihr da ganz sicher?“
Do Velho hob den Kopf etwas an, sein tadelnder Blick bohrte sich in Ignazios Augen. „Zweifelst du etwa an mir? Dios, das hätte ich nach allen Beteuerungen nicht von dir erwartet.“
„Verzeiht“, beeilte sich der Mann aus Porto zu sagen. „Selbstverständlich kann keiner von ihnen dem Taifun entgangen sein. Es “gibt kein Boot, kein Stück Treibholz, das einem Schiffbrüchigen in so einem Höllensturm hilft.“
„Jetzt denkst du endlich in den richtigen Bahnen“, erwiderte der Kapitän milde. „Vielleicht ernenne ich dich zu meinem ersten Offizier und persönlichen Berater, obwohl dir die nötige Bildung fehlt. Aber ich muß mir das noch genau überlegen.“
Ignazio holte ein paarmal kräftig Luft. Das alles war für ihn zuviel auf einmal.
„Mich interessiert jetzt nur noch eins“, fuhr Lucio do Velho fort. „Wie ist es der verfluchten ‚Isabella‘ ergangen? Hat der Taifun ihr und ihrer Besatzung zugesetzt wie der ‚Bahia Blanca‘ – oder hat sie sich verholen können wie wir?“
„Ich wünsche mir, daß diese Bastarde allesamt kläglich ersoffen sind“, sagte Ignazio pflichtschuldigst. Sein Blick huschte zu do Velho, seine Miene verlangte förmlich nach Beifall.
„Das hoffe ich auch. Von ganzem Herzen“, versetzte der Kapitän. „Aber auf Hoffnungen, auf bloße Theorien über das Schicksal der Korsaren dürfen wir uns nicht verlassen.“
„Das heißt – Ihr glaubt, die Hunde sind noch am Leben?“
„Das müssen wir herausfinden.“
„Wie?“
„Wir warten ab, bis es ruhiger wird. Solange bleiben wir hier in der Bucht und bessern unsere Galeone aus. Ich will ein tadellos wiederhergestelltes, seetüchtiges Kriegsschiff unter den Füßen haben, wenn wir die Insel verlassen.“
„Und dann?“ erkundigte sich der Mann aus Porto begriffsstutzig.
„Dann suchen wir wieder nach dem Seewolf, du Narr. Nichts kann mich davon abbringen.“ Do Velho ließ seinen Blick über die Kuhl und die Back der „Santa Luzia“ schweifen. Genug Männer hatte er noch, er konnte sich, falls er den Seewolf tatsächlich stellte, auf offener See in ein Gefecht begeben, ohne sich von vornherein unterlegen fühlen zu müssen.
„Ich stelle den Hund, ich schwöre es dir, Ignazio“, murmelte er. „Am vorteilhaftesten wäre es, ihn in Manila zu erwischen. Dort könnte ich unseren Landsleuten und den Spaniern, die sich soviel auf ihr Können einbilden, eine Demonstration dessen liefern, was ich unter der totalen Vernichtung eines Staatsfeindes verstehe.“
Er wünschte sich ein Publikum herbei, das seinen Worten die richtige Bedeutung beimaß und ihm entsprechend Applaus zollte. Statt dessen war da nur das törichte Schiffsvolk, ein Haufen wilder, zerzauster, völlig heruntergekommener Kerle. Lucio do Velho beschloß, diesen Burschen innerhalb der nächsten Tage den nötigen Respekt und Schliff beizubringen.
Er hieß nicht Braga de Sor. De Sor, dieser Versager, lag auf dem Grund des Chinesischen Meeres und war nur noch einem Zweck dienlich. Wahrscheinlich würden sich die
Haie an ihm gütlich tun.
Noch vor Jahresbeginn 1585 war die „Isabella VIII.“ soweit ausgebessert und hatte die Crew sich so gut erholt, daß die große Galeone die Bucht von Babuyan verlassen konnte.
Bei fast ruhiger See, die nur durch eine leichte Dünung gekräuselt wurde, und mit raumem Wind segelte sie nach Süden.
Ein neues Ruderhaus war von Ferris Tucker auf dem Quarterdeck errichtet worden. An der Ruderanlage selbst hatte der findige Schiffszimmermann einige Veränderungen vorgenommen – Verbesserungen, die von Hasard begutachtet und als hervorragend befunden worden waren. So etwas erfüllte den Rothaarigen mit Stolz, er hatte daraufhin ein Ruderrad gebastelt, das größer und schöner als das vorherige war. Obwohl Ferris sonst nicht viel für Schnörkelkram übrig hatte, hatte er das Rad mit einigen kunstvollen Intarsien versehen.
Einige der Seekarten waren im Taifun verlorengegangen. Hasard war aber froh, die hundert Jahre alte Karte des Sun Lo gerettet zu haben. Ein bißchen mitgenommen sah sie zwar aus, aber er hatte sie sorgsam getrocknet und geglättet und heftete sie nun wieder an der Innenwand des Ruderhauses fest.
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