1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 »He, spinnst du?«, zischte Insa. »Hast du vergessen, weshalb wir hier herumstehen?«
Nein, hatte er nicht. ›Tatort sichern, alles absperren, sonst nichts‹, hatte de Beer am Telefon geschnauzt. ›Wir machen das. Ihr fasst nichts an, verstanden?‹ Am liebsten hätte Lüppo Buss gefragt, ob man denn den Verletzten vielleicht wieder an Ort und Stelle hinlegen solle, am besten blutend, wie er vorgefunden worden war. Aber dann hatte er sich doch auf die Zunge gebissen. De Beer hatte bei den letzten beiden größeren Fällen auf Langeoog, die Lüppo Buss zusammen mit Stahnke und zuletzt auch mit Insa Ukena erledigt hatte, schlecht ausgesehen – offenbar war er nachtragend. Ihn zu reizen, würde nur noch mehr Ärger bringen.
»Wie geht es denn eigentlich dem kleinen Jannik Bartels?«, fragte Insa Ukena, als hätte sie die sarkastischen Gedanken ihres Kollegen gelesen. »Ist er schon wieder bei Bewusstsein?«
Fredermann nickte. »Gut geht es ihm, wenn man’s bedenkt. Hat wirklich unverschämtes Glück gehabt. Ich meine, wenn so eine Sprengladung explodiert – da können Splitter wirklich üble Löcher reißen, auch wenn es nur Porzellansplitter sind. Zerfetzte Schlagadern, perforierte innere Organe und so. Aber nee, nichts davon. Nur ein paar Lackschäden, ich meine, leichte Verbrennungen und Schnittwunden. Genau genommen bessere Kratzer. Damit muss er nicht einmal lange krankfeiern.«
»Na, da wird sich sein Chef ja freuen, dass der Jannik das geklaute Boot weiter abarbeiten kann«, höhnte der Oberkommissar lautstark. Aus den Augenwinkeln aber erkannte er, dass seine Provokation ins Leere fiel, da sich die Traube der hungrigen Hotelgäste inzwischen verlaufen hatte, und mit ihnen war auch Hotelbesitzer Thormählen verschwunden.
»Wie kann es denn sein, dass der Jannik so glimpflich davongekommen ist?«, fragte Insa Ukena. »Ich meine, er stand im Moment der Detonation doch genau vor dem offenen Kühlschrank. Da müsste er doch mehr abbekommen haben.«
Fredermann wiegte den Kopf. »Wenn – dann. Das sehe ich auch so«, antwortete er kryptisch. »Aber wenn nicht, dann nicht.«
Lüppo Buss und Insa Ukena stemmten beide die Fäuste in die Hüften, vorwurfsvoll und synchron wie ein altes Ehepaar. Fredermann hob abwehrend die Hände. »Schon gut, schon gut! Ich erkläre mich ja schon. Obwohl – für unbewiesene Hypothesen bin ich genau genommen ja nicht zuständig.« Er grinste spitzbübisch: »Dafür habt ihr doch Spezialisten.«
»Aber Stahnke ist nun einmal nicht hier«, erwiderte der Oberkommissar, ohne eine Miene zu verziehen, »und einer muss es ja machen. Also los.«
»Wenn’s unter uns bleibt.« Fredermann zwinkerte ihm zu. »Ich habe ja den kleinen Koch verarztet, ich meine, die Erstversorgung vorgenommen. Da war er schon wieder bei sich. Und der Schock war auch nicht allzu groß, er konnte sich also ziemlich genau an den Ablauf erinnern. Also, der Kleine sagt, als er den Kühlschrank heute früh aufgemacht hat, hätte es zuerst so etwas wie eine Feuerwolke gegeben. Die eigentliche Detonation erfolgte erst ein bisschen später. Jannik Bartels hatte also gerade genug Zeit, sich in Sicherheit zu bringen.«
»Klingt nach einer ausgefuchsten Sprengfalle«, sagte Lüppo Buss. »Wie sowas wohl funktioniert?«
»Nun ja.« Fredermann verschränkte seine langen Finger und ließ die Gelenke knacken, dass die beiden Polizeibeamten zusammenzuckten. »Eine Idee hätte ich schon. Wisst ihr, als ich jung war, war ich ein ziemlicher Pyromane. Habe alles Mögliche in die Luft gejagt, draußen in den Dünen, ohne dass jemand dahintergekommen wäre. Unkraut-Ex in Wasser aufgelöst, Zeitungspapier damit getränkt, getrocknet, aufgerollt und in Rohrstücke gesteckt – Krawumm! Ich kann euch sagen, das waren echte Granaten, die ich damals gebastelt habe, im wahrsten Wortsinne. Danach würden sich heute die Islamisten alle Finger lecken.« Er hob seine Hände hoch: »Ein Wunder, dass ich meine Finger alle noch habe.«
»Eine Bombe aus Unkrautvertilgungsmittel?«, fragte Insa Ukena. »Klingt nicht gerade nach einer Präzisionswaffe.«
»Wie man’s nimmt«, erwiderte Fredermann. »Wenn ihr nichts dagegen habt, kann ich ja mal gucken. Ich ziehe auch die hier an.« Er zupfte ein Paar Latexhandschuhe aus der Jackentasche und begann, sie über seine Finger zu streifen.
Insa Ukena hob abwehrend die Hand und öffnete den Mund, aber Lüppo Buss kam ihr zuvor. »Nur gucken, nicht anfassen«, mahnte er. »Und nirgendwo drauftreten. Hier liegt überall Obstmatsch herum.«
Fredermann tat, wie ihm geheißen, und stelzte wie ein Storch auf den deformierten Kühlschrank zu, den Inselpolizisten auf seinen Fersen, während Insa Ukena den Eingang im Auge behielt. Die Kühlschranktür war halb aus den Scharnieren gerissen. Der Arzt musterte sie ausgiebig, ehe er sich dem Kühlschrankkorpus zuwandte. »Dachte ich’s mir doch«, murmelte er vor sich hin. Dann beugte er sich vor und streckte seinen Kopf ins Innere des verwüsteten Behältnisses, so weit es ging, ohne irgendetwas zu berühren. »Nicht zu fassen«, erklang es dumpf zwischen Früchtemus und Porzellanscherben.
»Na los, Bericht!«, verlangte Lüppo Buss ungeduldig.
Fredermanns Kopf tauchte wieder auf. »Pass auf«, sagte er und wies mit langem Latexfinger auf eine Stelle der Kühlschrankdichtung, ohne sie zu berühren. »Siehst du das? Hier hat jemand etwas hindurchgebohrt. Eine Hohlnadel, eine feine Düse, irgendwas in der Art. An der Tür ist eine ähnliche Marke, genau auf gleicher Höhe. Der Täter hat darauf geachtet, die Dichtung nicht so stark zu beschädigen, dass sie etwa undicht geworden wäre. Das konnte er nämlich nicht gebrauchen.«
»Warum?«
»Wart’s doch ab!« Als nächstes zeigte Fredermann auf die Innenbeleuchtung des Kühlschranks. »Hier, die Lampenverkleidung fehlt, die Glühbirne ist kaputt, der Glühfaden durchgebrannt. Siehst du das?«
»Klar«, antwortete der Inselpolizist. »Ist ja auch kein Wunder nach solch einer Explosion.«
Fredermann grinste. »Schon mal etwas von Ursache und Wirkung gehört? Die beiden verwechselst du nämlich gerade. Siehst du da drinnen irgendwo Glassplitter? Oder Überreste der Lampenverkleidung?«
»Nö. Liegt vermutlich alles hier draußen auf dem Boden, von der Explosion aus dem Schrank herausgefegt.« Lüppo Buss neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Obwohl – ein paar Reste müssten drinnen eigentlich noch liegen. Von dem übrigen Inhalt ist ja auch noch etwas da. Könnte es sein, dass jemand …«
»Genau!« Fredermann klopfte dem Oberkommissar anerkennend auf die Schulter. »Verkleidung ausgebaut und weggeworfen, Birne herausgeschraubt, Glas entfernt, ganz vorsichtig, um den Glühdraht nicht zu beschädigen, Birne wieder hineingeschraubt. Oder noch wahrscheinlicher: Der Täter hat die Originalbirne gegen eine entsprechend präparierte ausgetauscht.«
»Aber ohne Glas brennt die doch sofort durch!«
»Kein Problem. Vorher Stecker ziehen!« Fredermann hatte sich jetzt offenbar völlig in den Attentäter hineinversetzt. »Dann Kühlschranktür fest schließen. Hohlnadel oder Düse durch die Dichtung einführen. Gas in den Kühlschrank strömen lassen, vermutlich Propan, gibt es überall zu kaufen. Gerade so viel, dass eine explosive Mischung aus Gas und Luft entsteht. Dazu gehört Erfahrung! Dann die Nadel wieder raus, sich vergewissern, dass die Dichtung auch dicht hält, notfalls ein wenig Silikon auf den Einstich schmieren. Danach den Stecker wieder in die Dose. Sobald nun einer den Kühlschrank öffnet, geht automatisch die Lampe an, der nackte Glühdraht brennt durch, das Gasgemisch wird entzündet. Krawumm!« Zur Veranschaulichung schleuderte Fredermann seine langen Arme durch die Luft, und Lüppo Buss musste sich ducken, um nicht getroffen zu werden.
»Okay«, sagte der Inselpolizist. »Das wäre die erste Explosion. Und die zweite?«
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