Peter Gerdes - Ostfriesische Verhältnisse

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In der Altstadt von Leer wird ein Kaufhaus-Erbe vom fahrenden Motorrad aus angeschossen. Wenige Meter entfernt stirbt ein junger Mann einen blutigen Tod; an einer Wand seiner Wohnung steht die Schwert-Sure aus dem Koran geschrieben, die allen Ungläubigen den Tod verheißt. Mitglieder seiner Wohngemeinschaft sind verschwunden. Einer taucht als Terrorist im Irak wieder auf, einer steht auf der Besatzungsliste der Emssturm, die in der Nordsee sinkt; er war aber gar nicht an Bord. Was ist hier los, denkt Hauptkommissar Stahnke, hat die Globalisierung des Verbrechens Ostfriesland erreicht? Und droht womöglich ein Bombenattentat auf den Gallimarkt?
Letztlich laufen alle Fäden in den Händen weniger Menschen zusammen. Und Stahnke erkennt, dass er es mit durch und durch ostfriesischen Verhältnissen zu tun hat.

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Peter Gerdes

Ostfriesische Verhältnisse

Kriminalroman

Zum Autor Peter Gerdes geb 1955 lebt in Leer Ostfriesland Studierte - фото 1

Zum Autor

Peter Gerdes, geb. 1955, lebt in Leer (Ostfriesland). Studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Schreibt seit 1995 Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 Leiter des Festivals „Ostfriesische Krimitage“. Die Krimis „Der Etappenmörder“, „Fürchte die Dunkelheit“ und „Der siebte Schlüssel“ wurden für den Literaturpreis „Das neue Buch“ nominiert. Gerdes betreibt mit seiner Frau Heike das „Tatort Taraxacum“ (Krimi-Buchhandlung, Veranstaltungen, Café und Weinstube) in Leer.

Impressum

Handlung und Personal dieses Kriminalromans sind frei erfunden. Allerdings stand die Realität dabei der Fantasie des Autors hilfreich zur Seite.

Wer sich jedoch womöglich in diesem Text wiederzuerkennen glaubt, der ist nicht gemeint. Höchstens der Autor selbst.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

(Originalausgabe erschienen 2015 im Leda-Verlag)

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer

unter Verwendung eines Fotos von: © Günther_Ramm/stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-6464-5

Prolog

Hass ist wie Sex. Du spürst die Hitze, du fühlst das Prickeln, diese irren Wellen von den Fingern bis in die Fußspitzen. Da ist das Schnappen nach Luft. Da ist diese Anspannung, die Lust aus jeder Zelle presst. Wenn der Verstand beiseitetritt, kann der Körper plötzlich Dinge tun, von denen du sonst nur träumst. Dann kennst du keine Grenzen mehr, dann hörst du nicht auf, bis du die Sache auf die Spitze getrieben hast und darüber hinaus. Bis sich die Spannung in einer Explosion löst. Bis die Flut alles überrollt.

Gegen erfüllten Hass ist ein Orgasmus doch ein Witz!

Genug Zeit ist vergangen. Jeder andere Gedanke hat in eine Sackgasse geführt. Nein, anders ist die Sache nicht zu regeln.

Ein Telefon klingelt. Ein Hund bellt. Ein Motorrad fährt vorbei. Ein Pärchen unterhält sich, eine Frau lacht. Eine Schiffssirene aus dem Hafen, dumpf und fern. Leise quietschende Autobremsen. Alles weckt Erinnerungen, alles heizt und nährt den Hass.

Innehalten, die Muskeln anspannen bis zum Krampf. Süßer Schmerz strömt zur Mitte. Am liebsten jetzt, am liebsten sofort!

Nur einen Moment gezögert, schon mischt der Verstand sich ein. Sicher, es gibt sie, die guten Gründe, es nicht zu tun. Argumente. Aber sie haben Pech, diese Argumente. Ihre Zeit ist vorbei.

Hände greifen nach Pistole und Telefon. Eine Tür schwingt auf.

1.

»Hier kannste ja durchschießen!« Der Blasse mit den schütteren roten Haaren zeigte anklagend auf das fast menschenleere nächtliche Panorama der Einkaufsstraße. Hier und dort glänzten nasse Wachbetonplatten im grellen Licht vereinzelter Schaufenster, dazwischen lagen halbe Ladenzeilen im Dunklen. Das Ganze erweckte den Eindruck eines lückenhaften Gebisses.

»Könnte auch am Wetter liegen.« Der Begleiter des hageren Rothaarigen, größer und erheblich korpulenter als der, strich sich ein paar lange graue Haare, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst hatten, aus dem Gesicht. »Dass es heute so schietig ist, da kann ja keiner was dafür. Da bleiben die Leute einfach weg, das ist reines Pech.« Er zuckte mit den breiten Schultern.

»Unsinn! Siebenmal Mitternachts-Shopping pro Jahr, das ist einfach zu viel«, schimpfte der Rothaarige. »Einmal, zweimal, okay. Aber wenn man das ständig macht, dann ist das doch nichts Besonderes mehr. Nicht mal am dritten Oktober.«

»Dabei ist das doch günstig, dass der Tag der deutschen Einheit diesmal auf einen Mittwoch fällt. So ein verkaufsoffener Feiertag mitten in der Woche sollte eigentlich die Leute locken.«

»Siehst du ja, wie toll das lockt! Und von wegen Feiertag – jedenfalls nicht für die Verkäuferinnen! Dabei ist übernächste Woche schon wieder Gallimarkt, dann ist sogar sonntags geöffnet. Dieser Eickhoff ist doch ein echter Leuteschinder.«

»Ich frage mich, warum der das unbedingt so oft durchziehen will.« Der Dicke nickte in Richtung einiger bereits geschlossener Läden. »Guck mal, gerade erst zehn Uhr, und viele haben schon dicht! Das wird doch auch schlicht zu teuer, so lange offen zu halten, mit Personal und Licht und Heizung und so, wenn deswegen kaum mehr Kunden kommen. So ist das eben, wenn man einen Gaul unbedingt totreiten muss. Dann springen die Leute ab.« Er breitete die Arme aus. »Vielleicht erledigt sich das ja so von selbst.«

»Aber um welchen Preis!« Der Rothaarige war schon wieder auf Hundertachtzig. »Was für einen Eindruck macht das denn hier! Die paar Leute, die sich trotz allem noch anlocken lassen, stehen ja überall im Dunklen und vor verschlossenen Türen, außer bei den Läden, die Eickhoff gehören oder deren Besitzer er in der Hand hat. Das macht natürlich einen verheerenden Eindruck! Und diesen Eindruck, den nehmen die mit, das erzählen sie herum. Das schadet auf Dauer unserem Image, das sage ich dir! Von wegen, Leer, die Einkaufsstadt Nummer eins in Ostfriesland! Auf diese Weise schicken wir unsere Kunden doch praktisch selber in die Einkaufszentren auf der grünen Wiese.«

Der Dicke nickte versonnen. »Stimmt. Außerdem verschiebt sich ja alles durch diese penetranten Nachtöffnungen. An den Tagen, an denen Mitternachts-Shopping angesagt ist, kann man das Vormittagsgeschäft glatt vergessen, weil die Leute einfach später kommen. Aus Kostengründen wäre es besser, erst mittags zu öffnen – aber das geht natürlich nicht, wegen der Stammkunden, die es eilig haben, die wären ja sauer. Und abends trotzdem länger offen halten geht auch nicht, weil von den Mitternachts-Shoppern gar nicht so viele überhaupt bis in die Altstadt kommen; da kostet uns das Personal ja mehr, als es einbringt! Unterm Strich machen wir kleinen Händler auf jeden Fall Verlust bei diesen Aktionen.«

»Genau. Der Einzige, der profitiert, ist Eickhoff selber.« Der Rothaarige seufzte. All diese Argumente waren ihm wohlbekannt, benutzte er sie doch selbst bei jeder Gelegenheit.

Gerade gingen die beiden an Eickhoffs leuchtendem Einkaufspalast vorbei, der alles in seiner Nachbarschaft überstrahlte, auch die kleineren Läden, die alle schon dicht hatten. Hier war tatsächlich einiges los; Gruppen mit prallen Tüten verließen das Gebäude, andere strebten den einladend geöffneten Glastüren zu. Es ging lebhaft und laut zu. Einige der späten Kunden machten einen angeheiterten Eindruck.

»Solche Besuffskis möchte ich bei mir im Laden gar nicht haben«, schimpfte der Dicke halblaut.

»Die wüssten ja auch gar nicht, was sie bei uns eigentlich sollten«, pflichtete der Rothaarige ihm bei. Sein bedauernder Unterton aber ließ vermuten, dass es ihm letztlich doch um jeden Kunden leid tat, der jetzt und hier einkaufte statt tagsüber in der Altstadt.

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