Peter Gerdes
Stahnke und der Spökenkieker
Kriminalgeschichten
Peter Gerdes, geb. 1955, lebt in Leer (Ostfriesland). Studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Schreibt seit 1995 Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 leitet er das Festival „Ostfriesische Krimitage“. Seine Krimis wurden bereits für den niedersächsischen Literaturpreis „Das neue Buch“ nominiert. Gerdes betreibt mit seiner Frau Heike das „Tatort Taraxacum“ (Krimi-Buchhandlung, Veranstaltungen, Café und Weinstube) in Leer. Neuere Veröffentlichungen: „Ostfriesische Verhältnisse“, „Langeooger Serientester“, „Friesisches Inferno“ und „Ostfriesen morden anders“.
www.petergerdes.com; www.tatort-taraxacum.de
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
(Originalausgabe erschienen 2003 im Leda-Verlag)
Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer
unter Verwendung eines Fotos von: © Jenny Sturm/stock.adobe.com
und © algr53/stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6840-7
Hauptkommissar Stahnke lebt, und das besser als je zuvor. Der Fünfzigjährige hat – nachdem ihm seine Frau davongelaufen ist – mit der Studentin Sina eine attraktive, 20 Jahre jüngere Gefährtin bekommen. Irgendwann ist er auch befördert worden, und mit Oberkommissar Kramer steht ihm ein zwar humorloser und maulfauler, aber effizienter Mitarbeiter zur Seite. Er »schätzte seinen Assistenten ebenso wie der ihn, aber die beiden Männer hatten es sich angewöhnt, daraus ein Geheimnis zu machen. Zuweilen sogar vor sich selbst.«
Stahnke lebt, und das deutlicher als je zuvor. »Ein anderes Blatt« und »Thors Hammer« (beide 1997) brachten frühe Ermittlungen, da waren andere Personen mindestens ebenso wichtig wie er. In »Ebbe und Blut« (1999) gewinnt er Kontur, in der ersten Fallsammlung »Das Mordsschiff« (2000) hat er bereits Vergangenheit und Zukunft, ist die runde Figur geworden, die ich liebe: ein Zweizentner-Mann mit stoppelblondem Kopf, dem seine »ungesteuerten Gedankenkaskaden« unbehaglich sind, weil er ein langsamer, von seinen Vorurteilen leicht verführbarer Denker ist.
»Der Etappenmörder« (2001) wurde zu Stahnkes bislang größtem und gefährlichstem Fall. Damals wandte sich Sina ab von ihrem früheren Freund, dem immer mal wieder auftauchenden Sportjournalisten Marian Godehau, und ihm zu. Spätestens seit damals aber habe ich für Stahnke zu fürchten begonnen. Es würde ihn doch nicht etwa ein ähnliches Schicksal erwarten wie Sherlock Holmes? Der sollte ja auf dem Höhepunkt des Erfolgs nach dem Willen seines Schöpfers in die Reichenbachfälle gestürzt werden. Was wird Peter Gerdes noch mit Stahnke vorhaben? Sina könnte sich von dem deutlich Älteren abwenden. Oder der stille Kramer macht endlich das, was er unverständlicherweise bis heute nicht gemacht hat und klettert die Karriereleiter an ihm vorbei. Stahnke könnte auch in den sturzbachartigen Fällen untergehen, die ein anthologisierter Kommissar nun einmal zu lösen bekommt, und sein Gesicht verlieren. Oder er muss ins zweite Glied zurück, weil der Autor eine andere Figur in sich entdeckt hat, die er nun fördert und zur Hauptfigur macht.
Einmal habe ich Peter geschrieben: »Geh vorsichtig um mit Stahnke, er ist mir lieb und wert. Wehe Du tust ihm was, so wie Agatha Christie ihrem Poirot.« Und habe ihm auch den Grund für meine Zuneigung gestanden: »Viel mehr als die großen Analytiker und geschwinden Puzzle-Füger mag ich nämlich die Umstandskrämer und Bauchdenker, die Melancholiker. Jene, die immer ein bisschen wirken wie aus der Welt gefallen – und die sie doch so genau kennen, weil manchmal eben der Blick von unten genau die richtige Optik ist. Also Pater Brown, Maigret, Brunetti, Wallander. Ja, und Stahnke eben. Also geh bloß vorsichtig mit ihm um!«
Unvorstellbar, dass Stahnke in der Gegend herumrennt und mit dem Revolver fuchtelt. »Einen Fall mental zu sezieren und zu strukturieren war fast ebenso befriedigend wie die Ergreifung eines Täters aus Fleisch und Blut. Und bestimmt ebenso kreativ.« Manchmal scheint ihn sogar die Tat mehr zu interessieren als der Täter. Auf die Spitze wird das im Fall »Schiefer als Pisa« getrieben, dessen lässige Tätervernachlässigung wohl einzigartig in der Kriminalliteratur sein dürfte.
Der große Stille aus dem Norden irrt sich mitunter, manchmal müssen ihn Freunde und Kollegen auf die richtige Lösung bringen; und immer wieder helfen ihm die merkwürdigsten Analogien weiter. Das alles gefällt mir. Es macht Stahnke unverwechselbar, liebenswert und höchst lebendig. Also hoffe ich, dass es ihm – von Fall zu Fall – weiterhin gut gehen wird. Und er keinen Reichenbach-Reinfall erlebt!
Klaus Seehafer
»Mein ist die Rache«, sprach der Herr im grauen Anzug. Hauptkommissar Stahnke schüttelte milde das massige, blondstoppelige Haupt und bemühte sich um eine pastorale Modulation seiner Stimme.
»Eben nicht, Herr Krüger«, antwortete er. »Selbstjustiz sieht unser Rechtssystem nun einmal nicht vor.«
»Aber genau das machen die doch mit mir.« Der hochgewachsene, hagere Mann mochte an die fünfundsechzig Jahre alt sein, was aber nur die Längsfurchen in seinem langen, aristokratischen Gesicht verrieten. Kerzengerade saß Wendelin Krüger, Mitglied der Handelskammer seit über dreißig Jahren, auf Stahnkes marodem Besucherstuhl, ohne die Rückenlehne in Anspruch zu nehmen. Ein Sinnbild der Unnachgiebigkeit.
»Sicher, Herr Krüger.« Auch Stahnke bemühte sich jetzt um Haltung, ein Vorhaben, das bei seiner Massigkeit wenig Aussicht auf Erfolg hatte. »So sieht es jedenfalls aus. Ehe wir aber etwas unternehmen können, brauchen wir Beweise. Etwas Handfestes eben. Bis jetzt haben wir ja bloß Vermutungen. Wenn auch recht plausible, wie ich zugeben muss.«
»Vermutungen.« Krüger schnaubte verächtlich durch die Nase, so überzeugend, wie Stahnke es bisher nur in alten Preußen-Filmen gesehen und gehört hatte. »Etwas Handfestes! Ha!«
Ingeborg balancierte das Kaffee-Tablett herein. Sie lächelte Krüger an, als sie die schlanke Blümchen-Tasse vor ihm abstellte. Stahnke bekam seinen HSV-Humpen, wie immer.
»Danke, Inge«, sagte er. Sein Lächeln fiel unsicher aus und blieb unerwidert.
»Bitte, Herr Stahnke.« Mit schnellen Schritten verließ die Frau den Raum, das leere Tablett unter den rechten Ellbogen geklemmt.
Wie konnte ich nur so dämlich sein, dachte Stahnke. Nicht zum ersten Mal. Eine Affäre mit der eigenen Sekretärin, das war ja wohl der klassische Blödsinn. Der beste Beweis für einsetzende Torschlusspanik. Stahnke war jetzt fünfzig und das Alleinsein nach all den Jahren mit Katharina nicht mehr gewohnt, auch wenn er sich seit geraumer Zeit zwangsläufig mehr und mehr Praxis darin aneignete. Daher hatte er Inges Avancen einfach nichts entgegenzusetzen gehabt.
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