Der Boston-Mann wies mit dem Kopf zu den Bergen. „Da oben gibt es auch feuerspeiende Felsenlöcher.“
„Ach du Schande“, sagte Arne. „Das scheint ja wirklich ein gastlicher Ort zu sein. Der Strand und die Palmen trügen.“
„Nun macht euch doch nicht gleich die Hosen voll“, polterte Thorfin Njal los. „Was seid ihr denn für Kerle? Es ruckelt ein bißchen in der Erde, und schon fangt ihr an zu unken. Wißt ihr was? Wer Schiß hat, der kann meinetwegen zu den Booten zurückkehren.“
„Der kann zu den Booten zurückkehren“; echote der Stör.
Thorfin Njal war aber im Moment zu verbiestert, um darauf zu achten. Er stapfte stur geradeaus weiter, zerdrückte ein paar deftige Wikingerflüche auf den Lippen und konzentrierte sich im übrigen auf das Niedertrampeln von Gras und Sträuchern.
Als er sich wieder umdrehte, stellte er fest, daß sie noch alle da waren: Eike, Arne, Oleg, der Stör, die beiden Portugiesen, Mike, Kaibuk, Muddi und der Boston-Mann. Da grinste Njal. Sind eben doch Kerle, dachte er.
Das Dickicht verband sich übergangslos mit dem Unterholz eines Waldes. Die Bäume hatten eigenartige Formen und blaugrüne Blätter. Die Männer sahen diese Art zum erstenmal in ihrem Leben. Sie blieben stehen und betrachteten sie interessiert. An einem Baum mit besonders niedrigen Ästen kletterte der Boston-Mann empor.
Plötzlich straffte sich seine Gestalt. Er verharrte und bedeutete den anderen, still zu sein. Eine Weile kauerte er so in der Krone des seltsamen Baumes, dann ließ er sich wieder nach unten gleiten und sagte zu den anderen: „Im Wald gibt es einen Bach oder einen Teich. Ich habe das Wasser glitzern sehen.“
„Dann nichts wie hin“, entgegnete Thorfin Njal. „Wenn das Wasser nicht faulig schmeckt und nicht brackig ist, können wir damit unsere leeren Fässer und Schläuche auf den Schiffen füllen.“
„Aber Vorsicht“, warnte der Boston-Mann. „Da hat sich was bewegt.“
„Ein Tier?“ fragte Pedro Ortiz gedämpft.
„Tiere oder Menschen.“
„Haltet die Waffen bereit“, sagte Thorfin Njal. „Wir werden ja gleich sehen, mit wem wir es zu tun haben.“
Sie bahnten sich einen Weg durchs Unterholz und waren bemüht, keine Geräusche zu verursachen. Etwas später erkannten sie alle die schillernden Silberkronen, die das Sonnenlicht den Wellen der Wasserstelle aufsetzte. Thorfin Njal blinzelte zwischen Gras und Büschen hindurch und schob sich auf allen vieren voran. Als er drei, vier Yards weitergerobbt war, stellte er fest, daß sie sich tatsächlich einem Teich näherten.
Dann aber stockte er. Durch das feine Plätschern hindurch vernahm er gedämpfte Stimmen und hin und wieder ein Kichern. Er verhielt, legte Pistole und Schwert vor sich ab und bog die Halme behutsam mit den Händen auseinander.
Tiere oder Menschen, das war jetzt keine Frage mehr. Geradezu überdeutlich hoben sich die Köpfe von fünf Mädchen aus dem Wasser ab. Sie hatten einen Kreis gebildet, waren bis über die Schultern eingetaucht und spielten mit irgend etwas, das wie ein Ball aussah.
Das Ding entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ausgehöhlte Melone. Vielleicht war es auch mehr ein Kürbis oder eine Kalebasse, so genau wußte der Wikinger das nicht. Er verschwendete auch keine weiteren Gedanken daran, denn der Anblick der fünf Mädchen nahm ihn voll und ganz in Anspruch.
Ihre schwarzen Haare hingen naß bis auf die Schultern und umrahmten Gesichter von vollendeter Schönheit. Plötzlich war der Traum vom Inselparadies doch wieder wahr, denn Thorfin Njal konnte sich nicht entsinnen, außer Siri-Tong jemals derart berückende Geschöpfe gesehen zu haben.
Sie waren längst aus dem Kindesalter heraus. Sie plantschten, alberten und lachten, und nichts schien sie stören zu können.
„Bei Odin“, hauchte Arne. „Bin ich wirklich wach?“
„Ich kann dir ja eine ’runterhauen“, zischte Oleg. „Dann merkst du’s.“
Muddi war rechts neben Thorfin Njal angelangt und starrte mit verzücktem Ausdruck auf die fünf Eingeborenenmädchen.
„So was Leckeres“, murmelte er. „Richtig zum Vernaschen. Himmel, was haben wir doch für ein Glück.“ Den Blick, den Thorfin Njal ihm zuwarf, registrierte er nicht. „Wenn sie doch bloß mal ganz auftauchen würden“, fuhr er fort.
„Muddi“, versetzte der Wikinger scharf. „Halt die Luft an. Du hast es hier nicht mit verwanzten Hafenhuren zu tun, verstanden?“
„Aber ich – ich – wir haben schon lange keine Weiber mehr gehabt, verflixt noch mal.“
„Vorsicht“, sagte Arne. „Nimm den Mund nicht zu voll, Kleiner. Wenn Thorfin Njal wild wird, ist alles zu spät, das weißt du.“
„Man wird doch noch seinen Spaß haben dürfen“, sagte Muddi giftig.
Der Boston-Mann glaubte die düsteren Wolken zu sehen, die sich in diesem Augenblick um Thorfin Njals Stirn zusammenzogen. O, sie erinnerten sich alle noch daran, wie eine Handvoll Amazonen ein paar Männer der „Isabella“ in eine Falle gelockt hatten. Aber nicht nur das war es – ein guter Seemann mußte sich auch zusammenreißen können und durfte erstens nicht jedem weiblichen Wesen nachhetzen, das ihm über den Weg lief. Zweitens hatte er zu berücksichtigen, daß auch „nackte Wilde“ ihre Würde und Ehre hatten.
Siri-Tong und Thorfin Njal versuchten ständig, diese Grundsätze ihrer Besatzung einzuhämmern. Disziplin und Anständigkeit hingen ursächlich zusammen, und die Piraten auf dem schwarzen Segler sollten dies verinnerlichen, wie es auch die Seewölfe in ihren Bordkodex aufgenommen hatten.
„Wer aus dem Rahmen fällt, den stauche ich zusammen“, drohte Thorfin Njal.
Er hatte zu laut gesprochen, die Mädchen im Wasser hatten ihn gehört. Mit ängstlichen Rufen scharten sie sich zusammen, schwammen dann auf das gegenüberliegende Ufer des Teiches zu und schickten sich an, das Naß zu verlassen.
Thorfin Njal setzte sich auf, drehte sich um und fuhr seine Leute an: „Kehrtmachen, und zwar dalli – mit dem Gesicht nach Süden. Wird’s bald?“
Der Boston-Mann, der nach Thorfin Njal und Juan am meisten an Bord des schwarzen Seglers zu sagen hatte, folgte der Aufforderung widerspruchslos als erster. Die anderen drehten sich ebenfalls um. Auch Muddi. Vor Njals riesigen Fäusten hatte er nämlich enormen Respekt.
Der Wikinger hörte es hinter sich im Gebüsch rascheln. Vorsichtig, als könne er jemanden stören, wandte er sich wieder um. Die nackten Mädchen waren soeben im Unterholz verschwunden. Er konnte gerade noch ein braunes Bein sehen, dann waren sie weg und hasteten davon, als säße ihnen der Teufel im Nacken.
„Wir folgen ihnen“, sagte Thorfin Njal. Er erhob sich und las dabei seine Waffen vom Untergrund auf. „Aber in einigem Abstand. Wir marschieren ihren Spuren nach, sie werden uns zu ihrem Dorf führen. Ich will wissen, mit wie vielen Eingeborenen wir es hier zu tun haben.“
„Wir es hier zu tun haben“, wiederholte der Stör. Im nächsten Augenblick vollführte er einen Satz nach vorn, denn Thorfin Njal hatte ihn in den Hintern getreten. Des Störs Pech war es, daß er sich schon wieder umdrehte. Er stolperte also nicht nach Süden, sondern nach Norden. Im Norden erstreckte sich der Teich. Der Stör rutschte prompt im Uferschlick aus und landete mit dem Hosenboden im flachen Wasser.
Die anderen Männer stießen sich an und wollten sich vor Lachen ausschütten.
Thorfin Njal grinste grimmig. „Nur zu“, sagte er. „Vielleicht haben wir bald nichts mehr zu lachen.“
Hasard, Siri-Tong, Ed Carberry und ihre Begleiter hatten die Ankerbucht der Schiffe wieder erreicht. Der Profos hatte sich den Papagei in die Wamstasche gestopft, aber Sir John schlüpfte jetzt wieder daraus hervor und flog zur „Isabella“ hinüber.
Dan O’Flynn begann aus dem Großmars zu signalisieren. Missjöh Buveur signalisierte ebenfalls, er gab Blinkzeichen mit einer Glasscherbe.
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