„Ed“, sagte er. „Es ist einfach zu heiß. Der Kutscher hat keine Schuld, wenn ein Teil unseres Proviants verdirbt. Dir würde es auch nicht besser ergehen, wenn ich dich zum Kombüsendienst abkommandieren würde.“
„Ich als Heringsbändiger und Suppenpanscher?“ stieß Carberry entsetzt hervor. „Das fehlte noch!“
„Dann hol tief Luft und zähle bis zehn“, sagte der Seewolf.
Der Profos tat es. Als er ausgezählt hatte, waren Hasard und der Kutscher verschwunden. Sie standen nun beide auf der Back – neben Smoky, Batuti, Al Conroy, Matt Davies und all den anderen, die sich dort nach und nach einfanden. Alle spähten angestrengt voraus.
„Das sind Inseln!“ schrie Dan O’Flynn aus dem Großmars. „Zwei – jetzt sehe ich noch eine dritte!“
„Vielleicht sind’s auch noch mehr als drei“, murmelte Carberry. „Ein ganzer Archipel. Hoffentlich gibt’s da nicht so blöde Biester wie auf den gottverfluchten Galapagosinseln. Drachen, Riesenschildkröten, anhängliche Seelöwen und diebische Drosseln – davon hab ich die Nase gestrichen voll.“
Siri-Tong stemmte die Fäuste in die Seiten. Ihr hübsches Gesicht hatte einen harten, widerwilligen Ausdruck angenommen. Bislang hatte sie unausgesetzt vom Achterdeck ihres Schiffes zur „Isabella VIII.“ hinübergeblickt, jetzt drehte sie sich zu Thorfin Njal, Juan und dem Boston-Mann um und sagte: „Ich habe verstanden, was Dan O’Flynn gerufen hat – Land. Was ist mit unserem Ausguck los?“
„Unsere Position liegt gut zwei Kabellängen hinter der des Seewolfes“, gab der Wikinger zu bedenken. „Wir sind noch zu weit vom Land entfernt.“
Die Rote Korsarin legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Vormars hoch. „Unsinn, der Kerl pennt, das ist es. Ich sehe ihn nicht. Wer hat zuletzt den Posten im Vormars übernommen? Missjöh Buveur?“
„Ja, Madame“, sagte Juan.
„Wenn dieser Bursche wieder getrunken hat, verpasse ich ihm einen Denkzettel, den er nicht vergißt“, stieß sie erzürnt hervor. „So etwas lasse ich nicht zu.“
„Stör!“ brüllte Thorfin Njal. „Hinauf in den Vormars und nachsehen, was mit dem Franzosen los ist. Wird’s bald?“
„Wird’s bald“, sagte der Stör. Er hatte nicht nur ein beängstigend langes Gesicht, sondern auch eine bedenkliche Angewohnheit. Er sprach immer den letzten Satz von Thorfin Njal nach, und das hatte ihm mehr als einmal eine Maulschelle oder einen Boxhieb eingebracht.
Diesmal stand er aber zu weit von seinem Landsmann und Vorgesetzten entfernt – auf der Kuhl des schwarzen Schiffes. Als Thorfin Njal Anstalten traf, vom Achterdeck hinunterzusteigen, setzte der Stör sich schleunigst in Marsch, lief ganz nach vorn auf die Back und enterte in den Steuerbordwanten auf.
Er hatte vernommen, was Siri-Tong gesagt hatte und sann darüber nach. War Missjöh Buveur wirklich so leichtsinnig, den Posten als Ausguck zu vernachlässigen? „Buveur“ war französisch und bedeutete Trinker, soviel war dem Wikinger bekannt. Und alle an Bord des Viermasters wußten ja auch, daß der Franzose seinem Spitznamen alle Ehre bereitete. Er war dauernd auf der Suche nach etwas Trinkbarem. Jeder Seewolf soff gern, aber Missjöh Buveur übertrumpfte alle.
Auch als Ausguck?
Er riskierte viel. Siri-Tong pflegte bei Unregelmäßigkeiten an Bord hart durchzugreifen, sie kannte kein Pardon. Besonders bei Disziplinlosigkeit wurde sie fuchsteufelswild.
Wollte Buveur, dieser Narr, sie wirklich auf diese Art herausfordern? Er mußte lebensmüde sein.
Eigentlich hätte Missjöh Buveur schon quicklebendig werden müssen, als Njal seinen Befehl gebrüllt hatte. Das hatte doch bis zu ihm durchdringen müssen! Der Stör schüttelte den Kopf und hangelte weiter nach oben. Nur noch ein paar Webeleinen trennten ihn von der Plattform des Fockmastes. Innerlich war er darauf vorbereitet, den Franzosen sternhagelvoll und nach Alkohol stinkend hinter der Umrandung vorzufinden.
Konnte man sein Schnarchen nicht schon hören?
Der Stör richtete sich ganz oben in den Wanten auf, klomm mit den Händen höher und legte sie auf den Rand der Segeltuchverkleidung. Er blickte darüber weg – und in diesem Augenblick geschah es.
Eine Gestalt schoß hinter der Verkleidung hoch, zweifellos Missjöh Buveur, wie der Wikinger reflexartig feststellte. Der Kerl hielt den Kieker mit beiden Händen vor dem Auge fest und brüllte plötzlich aus voller Kehle: „Land! Land in Sicht!“
Es gellte in den Ohren des Störs, er glaubte, Glocken läuten zu hören. Und Missjöh Buveur hatte ihn so erschreckt, daß er glatt den Halt verlor und abzustürzen drohte.
Der Stör ruderte mit den Armen und wirkte dabei ungefähr so wie eine jener merkwürdigen Windmühlen, die sie in Holland bauten. Er geriet immer mehr aus dem Gleichgewicht. Vergeblich versuchte er zu balancieren, drückte die Knie nach vorn, um das drohende Abkippen nach hinten zu verhindern. Aber er schaffte es nicht mehr und schien verloren zu sein.
In einer spukhaften Sequenz sah er sich schon auf Deck stürzen.
Aber Missjöh Buveur fuhr jählings herum. Er starrte den Wikinger verdutzt an, ließ das Spektiv sinken, streckte eine Hand aus und hielt ihn fest.
„Was ist denn mit dir los?“ rief er.
„Das wollte ich dich fragen“, keuchte der Stör.
„Was willst du denn hier oben?“
„Hast du Thorfin Njal nicht brüllen hören? Hast du nicht gehört, was Dan O’Flynn drüben auf der ‚Isabella‘ gerufen hat?“
„Nein, hab ich nicht.“
„Bei Odin …“
„Ich war viel zu vertieft“, sagte der Franzose. Er zog den Kameraden näher zu sich heran.
Der Stör hielt sich wieder an der Vormarsumrandung fest, hatte große Augen und sagte völlig verdattert: „Ja, Mann, in was denn, zum Teufel?“
„Na, in meine Beobachtungen.“ Missjöh Buveur ließ den Stör los, weil der ja jetzt allein zurechtkam, beugte sich weit über die Verkleidung und schrie: „Land! Drei Inseln!“
„Dein Glück!“ brüllte Thorfin Njal zurück.
Der Franzose drehte sich zu dem Stör um. „Was sagt er denn?“
„Daß du schwerhörig bist. Hast du die Inseln wirklich eben erst entdeckt?“
„Ja, als du ’raufstiegst und …“
„Schon gut“, erwiderte der Wikinger mühsam beherrscht. „Nun hauch mich mal an, ja?“
„Wieso denn?“
Der Stör schaute so grimmig drein, daß Missjöh Buveur augenblicklich verstummte und der Aufforderung folgte. Der Stör brummelte noch etwas Unverständliches, schüttelte den Kopf und verschwand dann in Abwärtsrichtung. Missjöh Buveur blickte ihm nach, kratzte sich am Hinterkopf und spähte wieder durch sein Fernrohr.
Wieder auf der Back angelangt, traf der Stör mit Arne und Oleg zusammen. Sie schauten ihn fragend an, und er sagte verwirrt: „Komisch, der Franzose stinkt wie ein alter Ziegenbock, aber nicht nach Schnaps. Er ist ausnahmsweise stocknüchtern.“
„Das hat ihn vor der Neunschwänzigen bewahrt“, entgegnete Arne.
Der Seewolf ließ den Kieker sinken. Die größte der Inseln konnte er nun mit bloßem Auge erkennen. Sie hob sich dunkel und kegelförmig vom Horizont ab.
„Ich glaube, das sind die Inseln, die auf einer meiner von den Spaniern erbeuteten Seekarten eingezeichnet sind“, sagte er zu den Männern, die ihn umringten. „Allerdings ist die geographische Länge nicht genau angegeben. Ich wußte also nicht, ob wir heute, morgen oder erst in einer Woche auf die Gruppe stoßen würden.“
Old O’Flynn stand hinter ihm. „Deswegen warst du also deiner Sache so sicher. Du bist schon ein Teufelskerl, Hasard.“
Hasard wandte sich um. „Aus meinen Aufzeichnungen geht hervor, daß es sich um neun große und mehr als ein Dutzend kleinere Inseln handelt. Wir müssen bei der Landung sehr vorsichtig sein, denn ich rechne fest damit, daß wir auf Eingeborene treffen.“
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