Sir John gab ein paar kullernde Laute von sich.
Arwenack stieß ein beleidigtes Grunzen aus.
Dan kratzte sich am Hinterkopf und fuhr fort: „Aber wir sind, seit wir Neuspanien verlassen haben, genau siebzehn Tage unterwegs – mit einem Etmal von 150 Meilen.“
„Teufel!“ stieß der Papagei aus.
Arwenack stieg von der Verkleidung auf die Plattform hinunter und klaubte einen hölzernen Belegnagel auf, den er dort versteckt hatte. Sir John bewegte die Schwingen und schimpfte erbost.
„Ich glaube, wir landen wirklich noch in der Hölle“, sagte Dan mit schiefem Grinsen. „Siebzehn Tage, durchschnittliche Tagesleistung 150 Meilen, wenn man das malnimmt – also, Kopfrechnen war noch nie meine große Stärke, aber ich schätze, es kommen so zwischen zwei- und dreitausend Meilen dabei ’raus. Das ist eine echte Durststrecke, Leute.“ Dan fuhr sich mit der Hand durch die Haare und seufzte. „Richtig, unser Trinkwasser geht zur Neige. Und der Proviant auch. Bei Siri-Tong drüben auf dem schwarzen Schiff sieht’s nicht besser aus. Wenn das so weitergeht, erreichen wir nie das Land des Großen Chan, wo die Zopfmänner wohnen. Hasard meint, wir hätten noch nicht mal die Hälfte der Strecke zurückgelegt.“
„Hä-hä!“ krächzte Sir John.
Arwenack hantierte demonstrativ mit dem Belegnagel herum.
„Wir haben den falschen Kurs gewählt“, fuhr Dan O’Flynn fort. „Weiter südlich, das wäre zwar heißer gewesen, aber besser. Weiter südlich gibt’s mehr Inseln. Wenn wir nicht bald irgendwo landen, sind wir total vergammelt, bevor wir diesen rätselhaften Kontinent zu Gesicht kriegen.“
Sir John hatte natürlich kein Wort kapiert, aber er antwortete mit einem Lieblingswort Carberrys. Er schrie: „Affenärsche!“
Arwenack verstand die Sprache der Zweibeiner auch nicht, aber er fühlte sich irgendwie beleidigt und reagierte entsprechend. Er schwang den Koffeynagel, schleuderte ihn und stieß ein wütendes Keckern aus.
Sir John flatterte auf. In fast vertikaler Bahn schwang er sich bis zur Großmarsrah hoch und ließ sich schimpfend auf der Spiere nieder.
Wo er eben noch gehockt hatte, war nur noch Luft, und Arwenacks Geschoß flog ins Leere. Taumelnd senkte es sich der schwach gekräuselten See entgegen. Mit einem Klatscher landete es in den Fluten.
„Hölle und Teufel“, dröhnte die mächtige Baßstimme des Profos’ von der Kuhl herauf. „Welcher Stinkstiefel schmeißt denn hier mit Belegnägeln? Na warte, du Aas, wenn ich dich erwische!“
Arwenack duckte sich tief hinter die Segeltuchverkleidung des Großmarses und zog den Kopf ein. Dan lehnte sich ein Stück zurück, schaute zu Sir John hoch und murmelte: „Du bist wirklich ein Satansbraten, Kamerad.“
Als der Seewolf an Oberdeck erschien, verstummte Edwin Carberry. Sie blickten sich an, Carberry grinste, und dann wandte sich Hasard dem Backbordniedergang zu und stieg zum Achterdeck hoch.
Wenn Carberry brüllt, dann ist er gesund, sagte sich Hasard im stillen, und wenn was Wichtiges ist, meldet er es.
Er trat kurz zu Pete Ballie ins Ruderhaus und warf einen Blick auf den Kompaß. „In Ordnung, Pete. Keine Kurskorrektur.“
„Aye, Sir.“ Pete zeigte klar, aber es war etwas Lasches in seinen Bewegungen, und seine Miene war alles andere als zuversichtlich.
Hasard klomm zum Achterdeck hoch. Er sah zu Ben Brighton, Ferris Tucker und Big Old Shane, die sich mit Old Donegal Daniel O’Flynn und Smoly am Steuerbordschanzkleid versammelt hatten. Sie standen mit dem Rücken zur See, hatten die Ellbogen aufs Schanzkleid gestützt und ließen sich die Sonne ins Gesicht brennen.
Ferris Tucker schaute kurz zum schwarzen Segler, sagte etwas und schwieg wieder – wie die anderen vier.
Was er geäußert hatte, hatte Hasard nicht verstanden. Von Belang schien es aber nicht zu sein.
Hasard trat auf sie zu und sagte: „Sehr tatendurstig seht ihr nicht gerade aus.“
„Abwechslung täte gut“, entgegnete Ben Brighton. „Offen gestanden, wir fangen an, uns zu langweilen. Und die Crew wird launisch und ungenießbar.“
„Es gibt nichts zu tun“, meinte Ferris Tucker. „Die ‚Isabella‘ ist von den Maststangen bis zum Kielschwein aufgeklart.“
„Das Schiff ist tipptopp in Schuß“, fügte nun auch Old O’Flynn hinzu.
Hasard kniff die Augen zusammen und musterte die fünf der Reihe nach. „Mister Brighton“, sagte er dann langsam. „Wenn die Männer quengelig sind, muß unsere Lady eben noch mal von oben bis unten aufgeklart werden. Oder wir üben Mann über Bord. Ich kann weder Landgang noch eine Schnapsfeier anordnen, das ist doch klar, oder?“
Ben sah verdattert drein. „Selbstverständlich. Aye, aye, Sir.“
„Gibt es noch irgendwelche – Kleinigkeiten?“
„Nein, Sir.“ Ben hütete sich, sich noch weiter über die allgemeine Stimmung an Bord auszulassen. Und Ferris, Shane, Smoky und Old Donegal hielten den Mund. Denn sie wußten: Bei aller Umsicht und Gerechtigkeit, die der Seewolf auf seinem Schiff walten ließ – der Kapitän war er. Und die Disziplin mußte gewahrt werden.
Schließlich war die „Isabella VIII.“ nicht einfach nur irgendein Piratensegler der Weltmeere, sondern ein Korsarenschiff, das nach wie vor dem Oberbefehl der Königin von England unterstand. Und Hasard trug auch immer noch den Kaperbrief der „königlichen Lissy“ bei sich.
Also: Quengeleien wurden nicht geduldet, Unbotmäßigkeiten streng geahndet. Dabei konnte Hasard durchaus verstehen, wenn seine Männer ungeduldig wurden, aber das durfte er niemals offen zeigen.
„Was ist eigentlich mit Carberry?“ fragte er.
„Was soll sein?“ erwiderte Old O’Flynn. „Der Affe schmeißt mit Belegnägeln.“
Die anderen grinsten. Hasard setzte eine strenge, zurechtweisende Miene auf. „Donegal …“
„Ehm, ich meine natürlich Arwenack, nicht den Profos. Was denkst du denn von mir?“
Diesmal lächelte der Seewolf. „Gar nichts. Nie und nimmer würdest du den guten alten Ed einen verlausten Drecksaffen nennen, oder?“
„Wo kämen wir denn da hin“, sagte O’Flynn. Um seine Mundwinkel zuckte es.
Sie lachten nun alle, der Bann war gebrochen. Hasard blickte zum Großmars hoch und sah Dan, nicht aber den Schimpansen. Hoch über dem Ausguck thronte jedoch Sir John auf der Großmarsrah, und so wußte Hasard plötzlich, warum Arwenack sich so aggressiv benahm.
Hasard schritt bis zur Heckreling und schaute an der Laterne vorbei. Die See war eine flüssige Wüste, die sich in der Ewigkeit zu verlaufen schien. Abgesehen vom schwarzen Segler war weit und breit nichts zu sehen als türkisfarbenes Wasser.
Hasard drehte sich um. „Eigentlich hatte ich mit euch über etwas anderes sprechen wollen. Ihr erinnert euch doch an die Ledermappe, die wir Sabreras abgenommen haben.“
„Richtig“, sagte Ferris. „Da waren die Schriftstücke drin, aus denen hervorging, wieviel die Smaragdmine in Neu-Granada pro Jahr abwarf, auf welche Galeonen die Ausbeute verschifft wurde und wann die Kähne von der Neuen Welt in die Alte Welt segelten.“
„Und was er klammheimlich für sich beiseite geschafft hatte, war von diesem Halunken mit keiner Silbe erwähnt worden“, ergänzte Shane.
Sabreras war tot. Er hätte noch leben können, wenn er Hasard nicht zum Duell aufgefordert hätte. Er hatte zu hoch gesetzt und verloren, dieser durchtriebene spanische Kommandant.
Aber die Ereignisse lagen bereits wieder mehr als einen Monat zurück und gerieten bei den Seewölfen allmählich in Vergessenheit. Nur der „Nachlaß“ aus dem Sabreras-Abenteuer reiste auf der „Isabella“ und dem schwarzen Schiff mit: Funkelnde Zweikaräter, in Truhen und Kisten verpackt, Smaragdschmuck der Chibchas – und die Krone von unermeßlichem Wert, den diese Indianer einst als Opfer für ihre Gottheiten hergestellt hatten. Die Krone ruhte jetzt in einem der Schränke von Hasards Kapitänskammer.
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