Dieses Statement aus einem Interview, das auf YouTube verfügbar ist, hat weltweites Entrüsten ausgelöst. Doch Brabeck fühlt sich missverstanden. In offiziellen Statements rudert er zurück und betont, dass jeder Mensch überall auf der Welt das Recht auf sauberes, sicheres Wasser zum Trinken und für die Hygiene haben sollte. Auch Menschen, die nicht dafür bezahlen können, gehörten dazu.
Sehen wir uns an, was Nestlé mit „spezifisch eingreifen“ meint, und welchen Nutzen die Menschen davon haben.
Das Recht des Stärkeren
In vielen Teilen der USA gilt das „Recht der stärksten Pumpe“: Jeder darf auf seinem Grundstück – ob gepachtet oder gekauft – so viel Wasser abpumpen, wie er will. Die USA sind einer der wichtigsten Absatzmärkte für Nestlé, und der Konzern sichert sich dort ein Wasserrecht nach dem anderen – häufig gegen den erbitterten Widerstand der Bürger. Die Menschen wehren sich nicht nur gegen den Ausverkauf ihres Wassers, sondern machen sich auch große Sorgen um ihre Umwelt, wenn Jahr für Jahr riesige Wassermengen abgepumpt werden. Doch Nestlé lässt sich davon nicht beirren – dem Unternehmen steht ein Heer von Anwälten, PR-Beratern und Lobbyisten zur Verfügung. Und das wird eingesetzt. So berichtet zum Beispiel Erika Carpenter, dass Nestlé-Vertreter sie einschüchtern wollten, als sie gegen den Plan des Unternehmens protestierte, in der Ortschaft McCloud die größte Wasserabfüllanlage Kaliforniens zu eröffnen. Sie sagt, das Unternehmen habe ungewöhnlich große Anstrengungen unternommen, um den öffentlichen Prozess zu untergraben. In McCloud wollte Nestlé Wasser zu einem Preis einkaufen, der deutlich unter dem liegt, was die Bürger bezahlen müssen. Auch Elizabeth Royte, Autorin des Buches „Bottlemania: How Water Went on Sale and Why We Bought It“, sagt, Nestlé sei bekannt dafür, dass es seine juristische Schlagkraft in vielen kleinen Ortschaften ganz gezielt einsetze. Der Wasserraubzug von Nestlé hat weltweit bereits zu zahllosen Protesten geführt.
In Mecosta County im Bundesstaat Michigan gelang es Nestlé im Jahr 2002, eine Konzession zum Abpumpen von Quellwasser zu erhalten. Die Genehmigung kostet den Konzern lächerliche 70.000 Dollar und gilt 99 Jahre (!). Die kanadische Publizistin und Aktivistin Maude Barlow sagt in ihrem preisgekrönten Film „Flow: For Love Of Water“, das Unternehmen mache mit dem Wasser aus Michigan jährlich schätzungsweise 1,8 Millionen Dollar Gewinn. Die Bürger in Mecosta County versuchen erbittert, sich dagegen zu wehren, dass ihr eigenes Wasser so billig verkauft wird. Die Initiative „Michigan Citizens for Water Conservation“ verklagte Nestlé und gewann – zunächst. 2003 wurde das Gerichtsurteil aufgehoben. In einer außergerichtlichen Einigung konnte die Bürgerinitiative immerhin erreichen, dass die Abpumpmenge in etwa halbiert wird.
Im März 2015 begann der Trubel in Cascade Locks in Oregon. Nestlé hatte eine Lizenz erhalten, um aus einer Quelle in der Nähe der Ortschaft Wasser abzupumpen und in Flaschen wieder zu verkaufen. Und zwar zu einem Einkaufspreis, der deutlich unter dem liegt, was die Bürger von Cascade Locks dafür bezahlen müssen. Ein Bürgerprotest erhob sich, über 100.000 Protestzuschriften wurden geschrieben. Die Fischer in der Region fürchten um ihre Existenz. Governor Kate Brown hat die genehmigende Behörde am 6. November 2015 angewiesen, die Wasserrechte wieder zu entziehen. Die Sache ist noch nicht entschieden.
Nestlé hatte in der Gemeinde Fryeburg im US-Bundesstaat Maine bereits vor Jahren kurzerhand und ohne großes Aufheben Land erworben, das für das Abpumpen von Wasser geeignet schien, und nahezu unbemerkt den Betrieb aufgenommen. Proteste erhoben sich erst, als die Bürger nach und nach davon erfuhren, denn mitgeteilt hatte ihnen das niemand. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches lag der Fall noch bei Gericht.
Eine Recherche der Desert Sun brachte 2014 ans Tageslicht, dass Nestlé in einer Waldregion bei San Bernardino in Kalifornien mit einer ungültigen Genehmigung Wasser abpumpt: Die Konzession war bereits im Jahr 1988 abgelaufen. Das Wasser – schätzungsweise rund 100 Millionen Liter im Jahr, wofür Nestlé lediglich 524 Dollar bezahlt – wird zu einer Fabrik gepumpt, in der es in Flaschen der Marke „Arrowhead“ abgefüllt wird. Kalifornien ist ein Staat, der immer wieder von Dürren heimgesucht wird. Waldbrände sind ein großes Problem. Wasser ist seit jeher ein knappes Gut. Möglicherweise reicht das unterirdische Reservoir derzeit nur noch für ein Jahr. Die Bürger protestieren, haben Angst um ihre Wasservorräte und argumentieren, dass sie selbst große Einschränkungen beim Wasserverbrauch hinnehmen müssen, Nestlé jedoch nicht. Die Antwort von Nestlé: Man brauche sich keine Sorgen zu machen, denn das Abpumpen des Wassers werde überwacht. Die zuständige Behörde ist überfordert, sie arbeitet abgelaufene Genehmigungen nach dem „Prioritätsprinzip“ ab. Weil bisher nichts geschah, hat die Bürgerinitiative „Story of Stuff Project“ Klage eingereicht.
Im Mai 2015 berichtete der Guardian, der Chef von Nestlé Waters North America, Tim Brown, weigere sich, trotz einer verheerenden Dürre in Kalifornien und trotz Bürgerprotesten das Abpumpen von Wasser zu stoppen. Falls möglich, so Brown, würde er die Menge an abgepumptem Wasser sogar noch erhöhen, denn die Bürger verlangten nach seinem Wasser. Brown gab zu, dass Nestlé derzeit rund 30 Prozent des in Kalifornien abgepumpten Wassers verschwende, und kündigte Verbesserungen an.
In der kanadischen Provinz British Columbia pumpt Nestlé in der Ortschaft Hope jährlich rund 265 Millionen Liter Grundwasser aus dem Boden – und muss das entnommene Wasser weder messen, melden noch irgendwelche ökologischen Schutzvorkehrungen treffen, weil die uralte Grundwasserregulierung das nicht vorsieht. Für diese enorme Wassermenge muss der Konzern jährlich lediglich 596,25 Dollar bezahlen. Das sind 2,25 Dollar für eine Million Liter. Was passiert mit diesem Wasser? Es wird anschließend in Flaschen verkauft. In der benachbarten Ortschaft Gibson gab es früher einen öffentlich zugänglichen Wasserhahn, aus dem man das sehr saubere und gute Wasser kostenlos zapfen konnte. Heute müssen die Menschen dafür ihre Kreditkarte zücken oder Münzen in den Wasserautomaten werfen. Die in politischen Belangen sonst eher lethargischen Kanadier haben eine Bürgerinitiative dagegen gestartet. „Nestlé findet nichts dabei, [das Wasser] für ein Almosen aus dem Boden zu saugen und in einer Plastikflasche zu verkaufen.“
Am 30. Dezember 2015 beantragte Nestlé Waters North America nach Angaben von WNEP eine Ausnahmegenehmigung für den Betrieb einer Abfüllanlage von Quellwasser in Kunkletown in Pennsylvania. Über 750.000 Liter will Nestlé dort täglich abpumpen. Auch hier sind Auseinandersetzungen abzusehen, denn die Bürger haben sich bereits formiert und protestieren gegen das Vorhaben. Gegen die Verantwortlichen in der Gemeinde haben sie Zivilklage erhoben, weil Regeln umgangen worden seien, um Nestlé bevorzugt behandeln zu können.
Auch auf eine Quelle im kanadischen Elora hat Nestlé es inzwischen abgesehen. Der Konzern will dort die Wasserqualität testen und bei positivem Ergebnis die Quelle kaufen. Und auch hier haben sich besorgte Bürger bereits zusammengeschlossen und protestieren gegen den Ausverkauf ihres Wassers.
In der ARD-Sendung Weltspiegel vom 6. Mai 2013 konnten Millionen Zuschauer am Bildschirm mitverfolgen, wie Nestlé in der Nähe von Pretoria Quellwasser in Flaschen abfüllt, während die Menschen direkt um die Fabrik herum ein Leben in Müll und ohne Wasseranschluss fristen. Diejenigen, die bei Nestlé Arbeit gefunden haben, müssen sich mit Almosen begnügen, wenn es um das Wasser geht, das eigentlich „ihr“ Wasser ist. Oder besser gesagt, war, denn die Regierung hat Nestlé eine Konzession erteilt. Die Reportage bestätigt, was die Schweizer Journalisten Res Gehriger und Urs Schnell in ihrem inzwischen mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Bottled Water“ über Nestlés Wasserpolitik aufgedeckt hatten. Arbeiter erklären, sie hätten zwar kein fließendes Wasser zu Hause, dürften aber Flaschen mit beschädigtem Etikett schon einmal mitnehmen. Nestlé gebe ihnen zwar einen Liter Wasser am Tag zu trinken, aber diese Flaschen nähmen sie oft lieber für die Kinder zu Hause mit, denn leisten könnten sie sich dieses saubere Wasser aus dem Supermarkt nicht. Und das, obwohl es eigentlich nur wenige Meter von ihrer Hütte aus dem heimischen Boden fließt. Durch einen Tunnel gehen die Menschen auf die andere Seite der Schnellstraße, denn dort hat der Konzern – man gibt sich großzügig – einen kleinen Wasserhahn zur Verfügung gestellt. Ein Arbeiter fragt, ob es für Nestlé nicht möglich wäre, eine Leitung mit sauberem Wasser ins Dorf zu legen. Eine gute Frage. Wie antwortet Nestlé? „Die Forderung nach einer Wasserleitung in das Dorf macht den Bau einer Rohranlage unter einer bestehenden Schnellstraße notwendig. Ein solcher Bau liegt in der Verantwortlichkeit der staatlichen Behörden.“ Natürlich. Das hilft diesen Menschen sehr.
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