Ein Klotz von Kerl ragte urplötzlich vor ihm auf, und eine Faust raste auf ihn zu. Ein bißchen konnte Carberry reflexartig den Schädel noch zur Seite nehmen, nach rechts. Die Faust krachte ihm nur aufs linke Auge. Mit dem rechten Auge sah er flüchtig fünf, sechs Schritte entfernt ein Zellengitter, dessen Stäbe auseinandergebogen waren.
Das geschah alles in Bruchteilen von Sekunden.
Die Wut schoß wie eine Flamme in Carberry hoch.
Das war ein unheimlicher Schlag gewesen, der ihm da aufs linke Auge gedonnert worden war. Aber Carberry war nicht der Mann, der sich eine Klüse dichtschlagen ließ – und nicht zurückzahlte.
So rasselte der Generalkapitän ein zweites Mal zu Boden, und kaum hatte Carberry ihn entlassen, schoß auch schon seine Rechte aus der Hüfte hoch – wie gesagt: sein Hammer. Und hinter dem Hammer steckten Explosivkräfte. Die Treibladung bestand aus berstender Wut.
Er traf voll.
Der Kerl war auch viel zu vernagelt, um auszuweichen. Er stierte Carberry an, als sei der ein Ochse mit drei Köpfen. Dann war’s auch schon mit dem Stieren aus, weil er sich im gestreckten Flug rückwärts in Richtung der auseinandergebogenen Eisenstäbe befand.
Dafür aber stierte jetzt Carberry – wenn auch nur mit einem Auge.
Teufel, den Kerl kannte er doch?
Der Kerl blieb zwischen den auseinandergebogenen Eisenstäben hängen wie ein Fisch in der Reuse. Er trug Riemensandalen, nach Wikingerart um die Waden geschnürt, und Fellkleidung.
„Uahhh!“ röhrte Carberry und übertönte mühelos den Krach, der hinter ihm herrschte. „Ich werd noch wahnsinnig …“
Aber das nutzte ihm nichts, und er konnte auch nicht mehr erklären, warum er wahnsinnig würde, denn noch ein Schatten tauchte auf, blitzartig und auf seiner linken Seite, die er wegen seines linken Auges nicht mehr so recht wahrnehmen konnte, und genau auf dieses linke Auge krachte noch ein Schlag, und zwar auch so ein Ding, das man getrost mit einer abgefeuerten Culverine vergleichen konnte – was die Wucht betraf.
Carberry taumelte nach rechts. Der Schatten flog an ihm vorbei und prallte wie ein Rammbock in die Männer, die sich in der Tür drängelten. Sie flogen auseinander.
Aber der Schatten wurde von Hasard aufgehalten, der sich ganz hinten befunden hatte. Er sah nur eine Gestalt auf sich zurasen. Wer diese Gestalt war, konnte er nicht erkennen, weil der Gang nicht genügend erhellt war. Er sah nur das Aufblitzen eines goldenen Ohrrings. Dann stand der Kerl auch schon vor ihm.
Hasard empfing ihn mit einer vorschießenden Rechten, punktgenau auf die Kinnspitze gezielt.
Der Kerl ging zu Boden, als habe ihn eine Axt gefällt.
Im Gang und im Zellentrakt herrschte ein unbeschreiblicher Tumult.
Da brach wieder Carberrys Stimme durch das Getöse, laut wie Donner, der einem Blitz unmittelbar folgt. Und er brüllte, daß es das doch gar nicht gäbe, weil dieser Affenarsch in dem Scheiß-Thule zugange wäre, aber nicht hier, und das sei doch alles Wahnsinn, verdammt und zum Teufel, und man müsse ja an seinem eigenen Verstand zweifeln.
Ja, das rasselte der Profos nur so herunter, und es hörte sich ganz so an, als sei Carberry tatsächlich am Überschnappen.
Irritiert beugte sich Hasard über den gefällten Mann, drehte ihn zu sich herum und starrte ihm ins Gesicht. Von hinten näherte sich ein Soldat mit einer Lampe, und der Lichtschein tanzte über das Gesicht des Mannes.
Hasard glaubte, seine Augen spielten ihm einen Streich.
Das war doch der Boston-Mann!
Ja, er mußte es sein! Der goldene Ohrring am linken Ohr und der fehlende rechte Daumen waren die untrüglichen Zeichen, daß es sich um ihn handeln mußte.
Neben Hasard ging Matt Davies in die Hocke und sah dabei aus, als hätte ihm jemand einen Hammer auf den Schädel geschlagen. Mit hervorquellenden Augen stierte er auf den Mann hinunter.
„Der – der Boston-Mann“, sagte er ächzend. „Das – das gibt’s doch gar nicht! Das ist völlig unmöglich …“
„Er ist es aber“, sagte Hasard verbissen. „Bring ihn in die Kommandantur, Matt. Ich muß sehen, was bei den Zellen los ist, da scheint Carberry auch einen erwischt zu haben.“
„Aye, aye, Sir.“ Matt schnappte sich den Boston-Mann und schleppte ihn den Gang zurück.
Zumindest im Zellentrakt hatte Stenmark die Übersicht behalten, wie Hasard flüchtig feststellte, denn der blonde Schwede bugsierte gerade den Generalkapitän in eine Zelle und verschloß dann die Gittertür.
Der dicke Hafenkapitän rang die Hände, war blaurot im Gesicht und schien einem Schlaganfall nahe. Nils Larsen redete beruhigend auf ihn ein.
Carberry kniete über einem in Felle gekleideten Mann, einem ziemlichen Klotz von Kerl, und tätschelte ihm die Wangen mit seiner Pranke, das heißt, er verabfolgte ihm Ohrfeigen, um ihn munter zu kriegen.
Als Hasard neben ihn trat, schaute er zu ihm auf. Hasard verbiß sich ein Grinsen. Das Ding, das da auf Carberrys linkem Auge erblühte, war kein Veilchen mehr, wie man es gewöhnlich nannte, nein, das war eher eine prall gestopfte Blutwurst, allerdings mit der Eigenschaft, sich noch weiter ausdehnen und noch prächtigere Farben produzieren zu können.
Mein Gott, Carberry war nie eine Schönheit gewesen, aber jetzt, mit diesem fürchterlichen Ding auf dem linken Auge entwickelte er sich zum reinsten Kinderschreck. Die Stoppeln, die ihm nach seiner verlorenen Wette mit Luke Morgan und dem Kahlschlag auf seinem Schädel jetzt wieder nachwuchsen, trugen auch nicht gerade dazu bei, ihn als Adonis erscheinen zu lassen. Er glich einem monströsen Ungetüm, der arme Carberry.
Hasard war fast versucht, ihm trostreich auf die mächtige Schulter zu klopfen, aber jetzt fiel sein Blick auf den Fell-Mann, und da wurde ihm klar, warum Carberry an seinem eigenen Verstand gezweifelt und herumgebrüllt hatte, daß er noch wahnsinnig würde.
Eike lag dort, einer von Thorfin Njals vier Wikinger-Mannen.
„Dieser Affenarsch hat mir die Faust auf die Klüse gedonnert“, sagte Carberry grollend. „Dann tauchte noch einer auf und haute noch mal drauf.“
„Der Boston-Mann“, sagte Hasard. „Er und Eike müssen die Verrückten sein, von denen der Hafenkapitän sprach.“
„Hat er recht, das sind ja auch Verrückte“, sagte Carberry empört. Seine Wut war noch längst nicht verraucht. „Toben hier rum und fallen mich an – mich, den Profos der ‚Isabella‘! Beknackt sind die! Übergeschnappt! Was wollen die hier überhaupt?“
„Das frag ich mich schon die ganze Zeit“, sagte Hasard und wandte sich zu Nils Larsen um, der mit dem Hafenkapitän palaverte, aber schon am Grinsen war, denn der Dicke erzählte ihm gerade die Geschichte von den „beiden Verrückten“.
Als der Dicke verschnaufte, sagte Nils: „Eike und der Boston-Mann tauchten vor zehn Tagen vom Kattegat her vor dem Sund auf – mit einer Schaluppe. Wegen des Sundzolls wurden sie angehalten, weigerten sich aber, ihn anzuerkennen, geschweige denn zu bezahlen. Statt dessen foppten sie die Leute von den Wachbooten, und als die entern wollten, muß es eine fürchterliche Keilerei gegeben haben. Schließlich konnte man sie hier in die Zelle schleppen. Seitdem sind sie am Rebellieren und Herumtoben. Der Hafenkapitän konnte noch nicht in Erfahrung bringen, wer sie sind, woher sie kamen und was sie in der Ostsee wollten. Er hat die Schaluppe filzen lassen und festgestellt, daß sie bestens versorgt gewesen seien, sowohl was den Proviant, die Bewaffnung, aber auch die finanziellen Mittel beträfe.“ Nils Larsen grinste wieder. „Die beiden müssen ganz schön unter den Dänen gewütet haben.“
„Hat es etwa Tote gegeben?“ fragte Hasard beunruhigt.
„Nein, nur Blessuren. Eike hat mit den Fäusten gekämpft, der Boston-Mann mit ’ner Pinne.“
Hasard atmete auf. „Sag dem Dicken, daß wir uns für die beiden verbürgen, daß wir sie kennen, ja, daß sie Freunde von uns seien …“
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