„Du endest noch mal im Suff“, sagte der Kutscher mißbilligend. „Außerdem wird Schnaps, der lange lagert, nie schlecht, sondern eher noch besser.“
„Und wenn jemand Gift reingetan hat?“
„Dann wärst du jetzt ein toter Mann“, sagte der Kutscher lakonisch.
Mac Pellew reckte die magere Gestalt. „Dann wäre ich für euch alle gestorben.“
„Amen“, sagte der Kutscher ungerührt. „Gib Ed die Buddel, du Flaschennuckler, ihn hat’s am ärgsten erwischt.“
„Ich trink nur, weil’s der Kapitän befohlen hat“, sagte Carberry dumpf, starrte aber mit seinem einen Auge begehrlich auf die Flasche. Es sah aus, als beäuge ein Huhn mit schiefgeneigtem Kopf einen besonders fetten Regenwurm.
„Natürlich“, sagte der Kutscher.
„Glaubst du mir nicht, Kutscher?“ fragte Carberry drohend.
„Doch, doch, ist schon recht, Ed.“ Der Kutscher hatte sich vorgenommen, dieses Mal keinen Streit mit Carberry zu suchen, dem er sonst nie aus dem Wege ging. „Es ist immer gut, sich vorher zu stärken, um allen Schicksalsschlägen gegenüber gewappnet zu sein. Man sieht dann alles leichter an, auch mit einem Auge.“
„Richtig“, sagte Mac Pellew und reichte dem Profos die Kruke.
Carberry nahm sie in Empfang und schluckte erst einmal trocken. Die Andeutung des Kutschers zwang ihn dazu. Teufel! Die Sache mit seinem Auge schien doch ziemlich schlimm zu sein, wenn der Kutscher schon von Schicksalsschlägen sprach. Tatsächlich sah er links überhaupt nichts mehr. Da war’s ihm doch ein bißchen schwummerig. Allerdings hing sein Unvermögen, etwas zu sehen, damit zusammen, daß sein Auge total zugeschwollen war. Aber daran dachte er nicht.
Und dann gluckerte er einen, um sich gegen die Schicksalsschläge zu wappnen. Der eine, den er gluckerte, bestand aus einer ganzen Reihe. Mac Pellew zählte im stillen mit. Der Profos hörte erst bei zehn auf. Zehnmal geschluckt! Mein lieber Mann! Denn Carberrys Schlucke waren sowieso schon doppelte, wenn nicht dreifache. In den ging soviel rein wie in einen Ochsen, aye, aye, Sir!
Carberry grunzte zufrieden, wischte sich über den Mund und reichte die Kruke an Eike weiter.
Der grinste gequält mit seinem verschwollenen Mund und nuschelte: „Tut mir leid, Ed, daß ich dich erwischt hab. Ich – ich hab dich erst erkannt, als ich schon zugeschlagen hatte.“
Carberry mußte den Kopf sehr weit nach links drehen, um Eike fixieren zu können.
„Ich bin tieftraurig“, sagte er und hatte wieder seine dumpfe Stimme. „Meine besten Freunde erkennen mich nicht mehr. Schon das ist ein herber Schicksalsschlag.“
„Ich – ich wußte ja nicht, daß du eine neue Frisur hast“, sagte Eike entschuldigend in seiner Nuschelsprache, die im Nuscheltext so klang: „Isch – isch wusche scha nisch, dasch schu eische neusche Frischur hascht.“
„Was hat er gesagt?“ fragte Carberry den Kutscher.
„Laß ihn, Ed. Er kann nicht deutlich sprechen, und das tut ihm auch weh. Mußtest du denn so hart zulangen?“
„Tut mir leid“, sagte Carberry dumpf.
Und dann half er Eike, die Krukenöffnung zwischen die Zähne zu kriegen. Bei Eike zählte Mac Pellew fünf Schlucke, aber die waren natürlich wesentlich kleiner als Carberrys.
Dann war der Boston-Mann dran, den Hasard am Kinn erwischt hatte. Das war jetzt ebenfalls verschwollen und verfärbt, und er hatte auch etwas Mühe, zu sprechen, aber nicht so sehr wie Eike. Er sagte ebenfalls, daß es ihm leid täte, Carberry mit der Faust begrüßt zu haben – „und dann noch aufs selbe Auge.“
„Das war nicht Absicht, Ed“, sagte er, „ganz bestimmt nicht. Hätten wir denn ahnen können, daß ausgerechnet unser alter Freund Carberry durch die Tür tritt? Wie Eike hab ich dich nicht erkannt. Aber du hast schon recht. Es ist eine Schande, wenn sich alte Freunde nicht mehr erkennen und statt dessen mit den Fäusten aufeinander losgehen. Also, ich trinke auf das Wohl deines Auges, Mister Carberry!“
„Danke“, sagte der Profos gerührt.
Der Boston-Mann gluckerte sieben Schlucke, wie Mac Pellew feststellte. Der Kutscher hielt sich mal wieder zurück und genehmigte sich nur zwei. Dafür brachte dann wieder Mac ordentlich Luft in die Kruke, obwohl ihn der Kutscher tadelnd fixierte.
„Mac, wir müssen noch unsere Leute verarzten“, sagte er warnend.
„Soll ich vielleicht den Befehl unseres Kapitäns sabotieren?“ fragte Mac empört, als er die Kruke absetzte.
„Der war mehr für unsere Blessierten gedacht“, sagte der Kutscher.
„Mit denen ich mitleide, jawohl! Schon wenn ich mir Eds Auge ansehe, beginnt mein Leiden. Ein einziges Leiden ist mein Leben. Jeden Tag fällt ein Blessierter an, dessen Schmerzen auch meine Schmerzen sind. Und hat er sein Auge verloren, dann fehlt es auch mir …“
„Du gehst mir auf den Geist!“ fauchte der Kutscher. „Du – du Leidender! Statt Feldscher und Koch hättest du Heulsuse werden sollen, du Saufaus! Der Kapitän wartet auf den Bericht der beiden, verdammt noch mal! Wo sind wir hier eigentlich, he?“
„So wird man verkannt“, sagte Mac Pellew mit seiner Saure-Gurken-Miene. „So wird unsereiner in den Tod getrieben, bis man freiwillig nach dem Strick greift, um dahinzuscheiden …“
„Das kannst du hinterher erledigen“, sagte der Kutscher grob. „Aber paß auf, daß der Strick nicht reißt. Ich werd Will Thorne Bescheid sagen, daß er dir einen guten gibt. Am besten hängst du dich an der Großrah auf, damit auch alle sehen, was da für ein Idiot dahingeschieden ist. So ein verdammter Scheiß!“ Und der Kutscher fluchte derart, daß sogar Carberry die Ohren spitzte und sich wunderte. Und als der Kutscher dann nach der Kruke griff und kräftig einen weggurgelte, wunderte er sich noch mehr.
Was der nur hatte?
„Laß mal sehen, Ed“, sagte der Kutscher und rülpste. „Leg den Kopf ins Genick. Mac, leuchte mal!“
Mac nahm die Lampe mit der starken Blende und leuchtete Carberry an, während der Kutscher Ober- und Unterlid auseinanderdrückte.
„Auge reagiert auf Licht“, sagte der Kutscher sachlich, atmete aber erleichtert aus.
„Und was heißt das?“ fragte Carberry leicht beklommen.
„Das heißt“, sagte der Kutscher, „daß wir weiter mit einem zweiäugigen Profos zur See fahren werden, keinem einäugigen!“
„Arwenack!“ grölte der Profos und sprang auf. Er nahm den Kutscher einfach in die Arme und tanzte mit ihm durch den Krankenraum.
Der Kutscher fühlte sich an der breiten Profos-Brust sehr geborgen, auch wenn ihn der Profos wild durch die Gegend schwenkte.
Dann klopfte er an der Brust an und schrie: „Langsam, Ed, ich muß dir aber über dem Auge noch einen Verband anlegen!“
„Tu das, Kutscherlein, tu das!“ röhrte der Profos. „Aber laß uns erst einen gluckern, mein Junge!“
Und sie gluckerten mehrere – alle, auch Mac Pellew, der keineswegs den Eindruck erweckte, demnächst „dahinscheiden“ zu wollen. Bewahre!
Carberrys Bombe auf dem linken Auge wurde mit einer Kräutersalbe bestrichen und mit einem sauberen Verband überdeckt. Der Verband veränderte ihn gewaltig, aber zu seinem Vorteil. Dieses blau-schwarz schillernde, fürchterliche Ding verschwand darunter, und er sah aus wie ein tapferer Kriegersmann, der fürs Vaterland den Kopf hingehalten hatte.
Auch Eike und der Boston-Mann wurden gesalbt, ein Verband erübrigte sich, vor allem beim Boston-Mann, aber auch bei Eike, dem der Kutscher ja nicht den Mund zupflastern konnte, den er, wie jetzt, zum „Gluckern“ brauchte.
Die Kruke schafften sie spielend, diese fünf Kerle.
Als Mac noch eine holen wollte, erschien Dan O’Flynn und sagte grinsend, daß er es sehr bedaure, stören zu müssen, aber der Kapitän erwarte sie in der Messe.
„Seit einer Stunde seid ihr im Gange“, sagte er und peilte auf die Kruke. „Habt ihr sie geschafft?“
Читать дальше