Damit konnte Hasard nicht viel anfangen. Doch es war der Fährmann, der sich wieder zu Wort meldete.
»Der eine hatte so ein richtiges Ferkelgesicht«, sagte er. »Und der andere hatte Pockennarben.«
»Welche Sprache benutzten sie?« wollte Hasard wissen.
»Deutsch natürlich«, erwiderte der Mann verblüfft.
»So natürlich ist das nicht«, sagte Hasard. »Sie hätten auch Polen sein können.«
»Ja«, sagte der Mann verächtlich. »Aber mit denen will ich nichts zu tun haben, zum Henker. Denen hätte ich gar nichts gesagt, auch nicht für eine Goldmünze.«
»Es gibt auch bei uns genug Schweinehunde«, sagte der Schenkenwirt. »Man darf nicht alle Menschen über einen Kamm scheren. Im übrigen hatte ich nach der Aussprache dieser beiden Kerle den Eindruck, als wären sie keine Pommern.«
»Sondern? Woher stammen sie?« fragte Hasard.
Der Wirt hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Schwer zu sagen. Die Beschreibung stimmt aber. Der eine hat so ein dämliches Ferkelgesicht, und der andere ist vierschrötig mit Blatternarben im Gesicht.«
»Hätte ich doch aufgepaßt«, sagte der Fährmann mit Verzweiflung in der Stimme. »Ich habe gleich geahnt, daß sie nicht erschienen waren, um den schönen Ausblick auf die See zu genießen. O Herr Jesus, wie schrecklich ist das alles.«
Hasard versuchte, noch mehr von den Männern zu erfahren, doch sie wußten keine weiteren Einzelheiten. Mit den Beschreibungen der beiden Fremden war nicht viel anzufangen, es hätte weiterer Details bedurft, um sie zu identifizieren.
»Wir müssen abwarten, was Dan und Piet zu berichten haben, wenn sie zurückkehren«, sagte er zu Ben Brighton, zu Roger, Ferris, Shane, Old O'Flynn und den anderen, die sich unterdessen bei ihm eingefunden hatten.
Inzwischen hatte sich noch ein Mann aus der Menge vorgedrängt. Er trat ein paar Schritte über die Pier auf Hasard zu und blieb dicht vor ihm stehen.
»Mein Name ist Heinrich Paleske«, sagte er. »Ich bin der Stadthauptmann von Rügenwalde. Man hat mich soeben alarmiert. Ist es wahr, daß das Fräulein von Lankwitz tot ist? Können Sie mir berichten, was vorgefallen ist?«
Hasard schilderte die traurige Begebenheit, obgleich es ihm schwerfiel. Er musterte dabei Heinrich Paleske, ohne es ihn merken zu lassen. Dieser Mann war von stämmiger Statur und hatte ein offenes, ehrliches Gesicht. Auf seinen Beistand konnte man sich gewiß verlassen – doch was konnte er schon tun?
Paleske war erschüttert. »Natürlich kannte ich Gisela von Lankwitz persönlich«, sagte er mit bebender Stimme, als Hasard geendet hatte. »Und natürlich kenne ich auch die Familie von Lankwitz – und Arne von Manteuffel. Kapitän Killigrew – ich lasse sofort die Verfolgung der Mörder aufnehmen.«
Hasard schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig, Hauptmann. Zwei Männer meiner Besatzung sind ihnen bereits auf den Fersen. Warten Sie, bis die beiden zurück sind. Ich bin davon überzeugt, daß es ihnen nicht nur gelingt, die Spur der Kerle im Auge zu behalten, sondern die beiden Unbekannten auch zu stellen und hierherzubringen.«
»Sind Sie ganz sicher, daß sie es schaffen, Kapitän Killigrew?«
»Ja.«
»Gut, dann warte ich ab«, sagte Paleske.
Hasards Annahme sollte sich jedoch bald als ein folgenschwerer Irrtum herausstellen. Er beging einen Fehler – er hätte Paleske mit einem Aufgebot von Männern aufbrechen lassen sollen, damit sie nach den Mördern suchten. Damit hätte er das neue Unglück, das sich anbahnte, aller Wahrscheinlichkeit nach verhindern können. So aber nahmen die Dinge wieder unaufhaltsam ihren unheilvollen Lauf.
Dan O'Flynn und Piet Straaten jagten auf ihren Pferden durch die Nacht, hielten hin und wieder aber an, um den Boden vor ihnen auf Spuren zu untersuchen. Das Mondlicht, das fahl über der Landschaft lag, ließ diese Art von Nachforschungen zu. Und so gelang es den Männern, die Fährte zu halten und nicht mehr aus den Augen zu verlieren.
Die Abdrücke der beiden Pferde, auf denen die Mörder flüchteten, waren deutlich genug. Sie führten zur Grabow, einem Flüßchen, das unterhalb von Rügenwaldermünde von Süden her in die Wipper mündete, verliefen hindurch und zeichneten sich am anderen Ufer wieder ab. Die Fährte war nicht verwischt worden, fast mühelos vermochten Dan und Piet ihrem Verlauf zu folgen. Sie preschten weiter voran, trieben ihre Tiere zu größerer Geschwindigkeit an und tauchten in einem kleinen Erlengehölz unter, durch das die Spur führte.
Da geschah es.
Vor ihnen schnellte urplötzlich ein Seil vom Boden hoch. Es war unter altem Laub getarnt gewesen und wurde von der einen Seite jäh gespannt. Dan und Piet hatten keine Chance mehr, der Falle auszuweichen.
Sie sahen nur noch, wie zwei Gestalten in der Dunkelheit hochfuhren und rechts von ihnen das Seil blitzschnell an einem Baum belegten, hinter dem sie gelauert hatten. Das andere Ende des Seiles war bereits um einen anderen Baum an der linken Seite des Waldpfades geschlungen und dort verknotet worden.
Diese Einzelheiten nahmen Dan und Piet noch wahr, aber sie hatten weder die Gelegenheit, ihre Tiere aus dem vollen Galopp heraus zu stoppen noch eine Möglichkeit der Gegenwehr. Es ging alles viel zu schnell.
Ihre Pferde prallten gegen das gespannte Seil und stießen ein entsetztes Wiehern aus. Das eine Tier bäumte sich auf, das andere strauchelte und stürzte. Dan und Piet flogen wie von einem Katapult abgeschossen aus den Sätteln, und Dan konnte dabei sogar noch von Glück sagen, daß er nicht den Tod fand. Das stürzende Pferd überrollte sich auf dem Waldboden und hätte ihn unter sich zerquetscht, wenn er nicht weit von ihm fort befördert worden wäre.
Dan und Piet landeten aber dennoch unsanft. Piet streifte mit seinem Hinterkopf einen Baumstamm, schlug zu Boden und blieb reglos liegen. Der Anprall hatte ihm das Bewußtsein geraubt. Dan knallte mit dem Rücken auf den Boden und gab einen keuchenden Laut von sich.
Durch die harte Landung blieb ihm die Luft weg. Während er noch verzweifelt Atem zu holen betrachtete, kroch Bruno von Kreye aus dem Hinterhalt auf ihn zu und hob seine Pistole.
Dan war zu benommen und bemerkte den Gegner nicht. Und nach seinen Waffen tastete er rein instinktiv erst in diesem Moment, doch auch diese Reaktion erfolgte bereits zu spät. Von Kreye war heran und nahm die Pistole noch ein Stück höher. Dann ließ er sie auf Dans Kopf niedersausen. Der Knauf am Kolbenende traf, Dan verlor die Besinnung.
Von Kreye grinste höhnisch. »Das hast du nun davon, du Esel«, sagte er. »Du und dein Kumpan, ihr wäret wohl besser in Rügenwalde geblieben.«
Erich von Saxingen war unterdessen ebenfalls aufgesprungen und kümmerte sich um die beiden Pferde. Es war ihnen nichts zugestoßen, das gestrauchelte Tier hatte sich wieder erhoben und tänzelte zwar noch nervös auf der Stelle, wurde von Erich von Saxingen aber sogleich durch besänftigende Worte zur Ruhe gebracht. So auch das andere Tier – er verstand es, sie zu beschwichtigen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Schon immer hatte er sich dem Umgang mit Pferden und Hunden besser zu widmen gewußt als dem mit den Menschen. Menschen gegenüber kannte er wie sein Bruder Hugo weder Liebe noch Freundschaft, nur jene derbe Art von Jovialität, wie sie auf dem Gut der Saxingens üblich war.
Mit der Leutseligkeit und der Gönnermiene war es aber immer dann sehr schnell vorbei, wenn ihnen ein Besucher aus irgendeinem Grunde nicht mehr paßte. Dann konnte die auf Bier und Schnaps gegründete rohe Kumpanei sehr schnell in offenen Haß umschlagen.
»Den Pferden ist nichts passiert«, sagte Erich von Saxingen.
»Gut«, raunte von Kreye ihm zu. »Soll ich die zwei Narren hier fesseln und knebeln? Oder erledigen wir sie gleich?«
Von Saxingen näherte sich mit den Pferden und verharrte dicht bei den bewußtlosen Gefangenen. Er sah auf sie hinunter und konnte im Mondlicht, das durch die Wipfel der Erlen fiel, ihre Gesichter recht gut erkennen.
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