Sie schärften dem Fährmann ein, daß er kein Wort von dem, was sie gesprochen hatten, verlauten lassen dürfe, dann verschwanden sie in dem fahlen Dämmerlicht, das sich über Rügenwalde und seinen Hafen gesenkt hatte.
Nicht weit von der Pier entfernt, auf der Gary Andrews stand und wartete, wählten sie ihren Beobachtungsposten hinter einer Jolle aus, die kieloben neben einem Geräteschuppen lag und offensichtlich frisch gepönt und kalfatert werden sollte. Hier gingen sie in Deckung. Erich von Saxingen war inzwischen wieder stocknüchtern.
Im letzten verblassenden Büchsenlicht erspähten sie wenig später die beiden Schiffe, die sich dem Hafen näherten.
»Mich laust der Affe«, sagte Bruno von Kreye. »Der eine Kahn ist doch tatsächlich die Galeone dieses Killigrew.«
»Ich hole die Waffen«, zischte Erich von Saxingen. Mit diesen Worten war er auch schon in der Dunkelheit verschwunden.
Mit gemischten Gefühlen verfolgte Bruno von Kreye, wie die beiden Segler in den Hafen einliefen. Deutlich genug waren immer noch die hohen Masten, die langen Rahruten und die flachen Aufbauten der »Isabella« zu erkennen, aber auch die Umrisse des zweiten Schiffes. Es handelte sich um eine etwas kleinere Dreimast-Galeone. Von Kreye glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er auf dem Achterdeck die Gestalten zweier Menschen entdeckte, die ihm sehr wohl bekannt waren. Unwillkürlich hielt er den Atem an.
Erich von Saxingen kehrte zu ihm zurück und kauerte sich neben ihn. Er hatte die Musketen mitgebracht, die sie an den Sätteln ihrer Pferde befestigt hatten.
»Die Pferde habe ich auch vom Hof der Schenke geholt«, raunte er seinem Begleiter zu. »Ich habe sie drüben, in der Nähe der Hafenmeisterei, angebunden.«
»Gut«, sagte von Kreye gedämpft. »Sieh mal, wer da auf dem Achterdeck der kleineren Galeone steht.«
Von Saxingen spähte aus schmalen Augen über den Bootsrumpf.
»Hol's der Henker«, murmelte er entgeistert. »Das sind ja – Arne von Manteuffel und die Freiin von Lankwitz. Hölle, jetzt wird mir einiges klar. Und auch der Kerl bei den vier Pferden ist mir nicht ganz fremd, wenn ich's mir recht überlege. Haben wir den nicht doch bei der Crew von dem Bastard Killigrew gesehen, als wir ihnen in der Bucht von Narwa begegneten?«
»Mag sein«, flüsterte von Kreye. »Aber das ist jetzt doch egal, oder?«
»Allerdings. Wichtiger ist, wo Hugo steckt.«
»Das kriegen wir heraus«, zischte von Kreye. »Warte nur ab.«
An Bord der »Isabella« brach der Jubel los.
»Gary – Gary!« schrie jemand, und die anderen Männer stimmten mit ein. Auch an Bord der zweiten Galeone – der »Wappen von Kolberg« – wurde gejohlt und gebrüllt, und aus den Häusern am Hafen stürzten die Menschen, weil sie glaubten, irgendein völlig verrückt gewordener Gegner habe sich in den Kopf gesetzt, Rügenwaldermünde anzugreifen.
Sehr schnell legten die Schiffe an, und die Männer bildeten Spalier, als der hagere, übernächtigte, schmutzstarrende Mann aus dem Sattel seines Pferdes glitt, über die Stelling der »Isabella« marschierte und sich bei seinem Kapitän zurück an Bord meldete.
Hasard nahm Gary in die Arme. Er mußte es tun, denn Gary wurde jetzt von der Erschöpfung übermannt und sank zusammen. Was er erlebt hatte, war doch ein bißchen zu viel für ihn gewesen. Aber der Jubel wollte kein Ende nehmen. Hasard trug Gary zum Vorschiff, um ihn im Krankenraum unterzubringen. Keiner zweifelte daran, daß es nicht lange dauern würde, bis er sich erholt hatte und wieder auf den Beinen war. Sie hatten ihn schon für tot gehalten, und aus diesem Grund war die Überraschung, ihn in Rügenwalde anzutreffen, doppelt groß.
Die beiden Junker vermochten all das in jeder Einzelheit zu verfolgen, denn auf beiden Schiffen waren inzwischen die Deckslaternen entfacht worden. Es entging ihnen auch nicht, wie Arne von Manteuffel galant nach der Hand seiner Verlobten griff und sie vom Achterdeck auf das Hauptdeck der »Wappen von Kolberg« hinunterführte. Dann geleitete er sie zur Stelling, und sie verließen das Schiff, um sich zur »Isabella« zu begeben.
»Drecksgesindel«, zischte Erich von Saxingen außer sich vor Wut. »Galgenstricke, Blutsäufer, Hurenbande! Vielleicht haben sie Hugo bereits umgebracht und in die See geworfen. Oh, das sollen sie mir büßen!«
Genau das war der Moment, in dem der Zorn, der Haß und die Rachegelüste wie eine lodernde Flamme in ihm hochstiegen. Er konnte sich nicht mehr beherrschen und war außerstande, sich auch nur etwas zu bezwingen. Sein Blick war auf Gisela von Lankwitz gerichtet, seine Augen weiteten sich. Wie in Trance griff er nach seiner Muskete, zog sie zu sich heran, schob den Lauf auf den Bootsrumpf und spannte den Hahn des Schlosses, während er auf die junge Frau anlegte.
»Du verdammte pommersche Kuh«, sagte er mit bebender Stimme. »Mit dir hat alles angefangen. Wenn du nicht gewesen wärest, hätte es keinen Kampf auf unserem Gut gegeben, und Hugo und ich hätten nicht nach Reval zu reiten brauchen. Du Miststück, warte, das zahle ich dir heim.«
»Erich«, raunte von Kreye. »Nun warte doch mal. So einfach geht das nicht. Wir sind zu zweit gegen diese Übermacht von Hundesöhnen. Wir müssen uns in acht nehmen. Außerdem wissen wir nicht, ob sie Hugo wirklich …«
»Sei still!« zischte von Saxingen und schob den Waffenlauf noch etwas weiter vor.
Gisela von Lankwitz und Arne von Manteuffel hatten inzwischen das Ende der Stelling und die Pier fast erreicht. Unbeherrscht und hemmungslos, wie von Saxingen war, zielte er, ohne lange zu überlegen. Er war überzeugt, daß sich ihm keine größere Chance bieten würde, Rache zu nehmen.
Und deshalb drückte er ab.
Der Hahn schlug auf die Pfanne des Steinschlosses, Funken sprühten, die Pulverladung detonierte mit einem scharfen Knall. Der Rückstoß rammte den Kolben der Muskete gegen seine rechte Schulter, er lachte auf. Der Mündungsblitz raste aus dem Lauf, für einen Lidschlag stand ein grellgelber Blitz in der Dunkelheit.
Eine Frau, die unweit der Hafenmeisterei stand, schrie im Krachen des Schusses entsetzt auf. Gisela von Lankwitz aber, die eben ihren Fuß auf die Pier gesetzt hatte, fuhr nicht einmal erschrocken zusammen. Sie schaute nur überrascht auf und drehte sich zu Arne um.
Arne versuchte noch, sich über sie zu werfen, um sie gegen die Kugel abzuschirmen, doch seine Reaktion erfolgte zu spät. Der Schuß erreichte die junge Frau, sie taumelte, prallte gegen ihren Verlobten, gab nur einen schwachen Laut des Schmerzes und der grenzenlosen Verwunderung von sich und brach vor der Stelling zusammen. Die Kugel hatte ihren Rücken getroffen.
»Alarm!« schrie Carberry an Bord der »Isabella«. »Ein Überfall! Alle Mann an die Waffen!«
Doch es fiel kein weiterer Schuß, es fand kein Kampf statt. Wo der Mündungsblitz aufgezuckt war, hatten fast alle gesehen, doch noch hatte niemand die Gestalten der beiden Junker entdeckt, die in diesem Moment bereits zu ihren Pferden flüchteten.
Sie erreichten die Hafenmeisterei, schwangen sich in die Sättel ihrer Pferde und jagten davon, ehe sie jemand daran zu hindern vermochte.
Schockiert blickten die Bürger von Rügenwalde ihnen nach. Alle hatten die junge Frau zusammenbrechen sehen – Gisela von Lankwitz, die hier alle kannten. Doch keiner hatte die Geistesgegenwart, sofort zu handeln und die Verfolgung der Attentäter aufzunehmen.
Wie gelähmt sahen die Menschen zu Gisela von Lankwitz. Sie lag in Arnes Armen, langsam ließ er sie auf die Pier sinken.
»Gisela!« stieß er immer wieder hervor. »Gisela, mein Gott – so sag doch etwas!«
Doch sie antwortete ihm nicht.
Der Schuß hatte auf die Männer an Bord der »Isabella« und der »Wappen von Kolberg« wie ein Schock gewirkt – wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Eben noch hatte der Jubel um Garys Rückkehr die Szene bestimmt, jetzt aber breitete sich tiefste Betroffenheit aus, die in Empörung umschlug.
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