Die beiden Männer hatten ihre Güter für einige Zeit im Stich gelassen, weil sie einen selbstgesetzten Auftrag durchzuführen hatten. Oder anders ausgedrückt: Es war eine Schandtat, die sie planten. Von Saxingen wußte mit Sicherheit, daß sein älterer Bruder verschwunden war, weil Arne von Manteuffel ihn verschleppt hatte.
In Reval hatten Arne und die Männer der »Wappen von Kolberg« am Pranger gestanden, doch es war ihnen geglückt, sich zu befreien, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als auch Hugo von Saxingen und der polnische Generalkapitän Witold Woyda anwesend gewesen waren. Erich von Saxingen und Bruno von Kreye hatten ebenfalls in Reval geweilt, waren aber zu spät erschienen, um für den Junker Hugo noch irgend etwas tun zu können. Er war bereits verschwunden gewesen.
Erich von Saxingen und Bruno von Kreye waren auf der Reise nach Reval Hugo von Saxingens Begleiter gewesen. Gleich am Morgen nach der Entführung der Freiin Gisela von Lankwitz durch die Männer der »Isabella IX.« – sie hatten sie während eines Gelages einfach von dem Gut der von Saxingens weggeholt, und zwar nach einer harten Schlägerei – waren sie aufgebrochen, um bei dem polnischen Generalkapitän Woyda, der sich ihres Wissens in Reval aufhielt, Alarm zu schlagen.
Da Hugo nicht wieder aufgetaucht war, hatten sich die beiden Junker nach Rügenwalde gewandt. Sie wußten, daß die Freiin von Lankwitz aus dieser Stadt stammte, und sie waren sicher, daß Arne von Manteuffel den Hafen so schnell wie möglich anlaufen würde, um seiner Verlobten die Möglichkeit zu geben, ihre besorgten Eltern wiederzusehen.
Daß die Seewölfe und Arne von Manteuffels Mannschaft unterdessen auch Witold Woyda in Hapsal gefangengenommen hatten, war Erich und Bruno allerdings nicht bekannt. Sie waren nach Hugos Entführung sogleich aufgebrochen und nach Pommern geritten. Tage hatten sie gebraucht, doch jetzt waren sie hier und wollten nicht mehr von der Stelle weichen, bis Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel auftauchten. Zumindest aber wollten sie versuchen, etwas über das Schicksal Hugos zu erfahren.
»Übrigens«, sagte Bruno von Kreye, nachdem er seinen Humpen geleert und einen genüßlichen Laut von sich gegeben hatte. »Wenn wir schon dazu verdammt sind, ein paar Nächte hier zu verbringen, sollten wir uns wenigstens um ein ordentliches Quartier ohne Wanzen und Läuse kümmern. Ich meine, ich halte es nicht für richtig, daß wir uns aufs Geratewohl irgendeine Herberge aussuchen. Wir sollten wählerisch sein.«
»Genau das.« Erich von Saxingen trank noch den letzten Rest Bier aus, der in der Kruke war, dann knallte er ein paar Münzen auf den Tisch und erhob sich mit einem Ruck. Grußlos verließ er die Schenke. Bruno von Kreye folgte ihm. Die anderen Gäste sahen sich untereinander an, und als die Tür hinter den beiden Junkern ins Schloß gefallen war, schüttelten sie die Köpfe.
Der Wirt sah rasch nach, ob die Bezahlung auch stimmte, doch in diesem Punkt hatten sich die beiden nicht lumpen lassen. Von Saxingen hatte reichlich Silberlinge auf den Tisch gezählt, es sprang sogar noch ein tüchtiges Trinkgeld dabei heraus. Das genügte dem Wirt, er räumte die Kruke und die Humpen ab, unterzog den Tisch einer symbolischen Reinigung und begab sich hinter die Theke zurück.
Die beiden Junker hatten inzwischen noch einmal nach ihren Pferden gesehen und schlenderten zu der nächsten Herberge, die sie einer gründlichen Inspektion unterziehen wollten. Hierbei fiel ihr Blick jedoch auf die Wipper, und sie gewahrten zu ihrem Erstaunen einen Mann mit vier Pferden, der von dem Fährmann ans diesseitige Ufer übergesetzt wurde. Sie blieben stehen und beobachteten ihn.
»Was will ein einzelner Kerl mit vier Gäulen?« fragte von Kreye. »Das ist doch wohl mehr als merkwürdig.«
»Vielleicht führt er sie zur Tränke«, sagte von Saxingen.
»Nein. Er hätte sie nur am Fluß zu tränken brauchen, dazu braucht er doch keine Fähre.«
Von Saxingen grinste. »Dann führt er sie wohl zum Schlachthof. Oder sie sollen auf irgendein Schiff.«
»Es liegt kein größeres Schiff im Hafen«, sagte von Kreye mit einem neuerlichen, diesmal argwöhnischen Blick zu der Fähre.
Die Fähre legte an, der Mann schwang sich in den Sattel eines Pferdes, ritt von Bord und führte die drei anderen Tiere mit sich fort. Er erreichte die Hafenpier, hielt an und begann, auf die See hinauszusehen, als erwarte er ein Schiff.
Von Saxingen lachte hämisch. »Der Bursche gefällt mir, der hat Humor. Wenn er glaubt, da kommt ein Schiff, hat er sich wohl getäuscht. Es wird ja gleich dunkel, da tut sich nichts mehr. Und wir haben uns ja auch schon die Augen nach einer Galeone aus dem Kopf geglotzt, nicht wahr?«
»Vielleicht weiß er mehr als wir«, gab von Kreye zu bedenken. »Vielleicht gehört er sogar zu ihnen.«
»Zu wem?« Das viele Bier zeigte nun doch einige Wirkung, mit von Saxingens Begriffsvermögen war es nicht mehr weit her.
»Zu den englischen Hurensöhnen und ihrem Teufelskapitän«, erwiderte Bruno von Kreye. »Oder aber zu der von Manteuffel-Bande.«
»Warum ist er dann hier und nicht auf seinem Schiff?« fragte von Saxingen. Ungeniert gab er einen heftigen Rülpser von sich.
»Ihn selbst können wir das nicht fragen«, erwiderte Bruno von Kreye. »Laß uns zu dem Fährmann gehen, vielleicht weiß der uns was zu erzählen.«
»Meinetwegen«, brummte von Saxingen. »Aber so kommen wir doch nicht weiter, das sag ich dir gleich.«
Ohne von dem Mann mit den vier Pferden bemerkt zu werden, gingen sie zur Wipper hinunter und traten zu dem Fährmann, der sich gerade anschickte, sich am Heck seines Fahrzeugs niederzulassen und ein Schläfchen zu halten.
»Auf ein Wort, Mann«, sagte Bruno von Kreye. »Ich hätte gern eine Auskunft von dir.«
»Das Übersetzen kostet einen halben Pfennig«, sagte der Fährmann. Ohne Hast schritt er auf die beiden Männer zu und musterte sie. Von weitem betrachtet, erweckten sie wegen ihrer teuren Kleidung den Eindruck hochwohlgeborener Persönlichkeiten, vor denen man sich zu verneigen hatte. Doch aus der Nähe stellte sich die Lage anders dar. Der Fährmann sah einen ferkelgesichtigen jungen Kerl und einen etwas älteren Mann mit vierschrötigem, unfreundlichem Gesicht vor sich. Seine Menschenkenntnis und Erfahrung sagten ihm, daß sie nichts Gutes im Schilde führen konnten. Vorsicht war geboten.
»Wir wollen nicht rüber«, sagte Erich von Saxingen unwirsch. »Wir wollen was anderes. Wer ist der Kerl mit den Pferden?«
»Der seltsame Mann, der eben den Fluß überquert hat«, fügte Bruno von Kreye hinzu, als müsse er noch etwas präzisieren. »Wer mag das sein?«
»Tja«, sagte der Fährmann. »Wer mag das wohl sein?«
Von Kreye zeigte ihm eine Silbermünze. Der Mann betrachtete sie interessiert, wurde aber erst richtig auskunftsbereit, als sie in seiner Hand verschwand.
»Ich habe seine Sprache nicht verstanden«, sagte er. »Aber eins habe ich doch mitgekriegt – er ist ein Engländer. Er scheint, wenn ich seine Gesten richtig deute, auf der Pier auf zwei Schiffe zu warten.«
Die beiden Junker tauschten einen Blick. Was von Kreye bereits vermutet hatte, schien sich zu bestätigen – der Mann mit den vier Pferden gehörte zur Crew der Seewölfe. Sie kannten ihn nicht, denn er war in der Bucht von Narwa nicht mit an Land gegangen und hatte das Gut der von Saxingens nicht aufgesucht.
Sie wußten also nicht, daß er Gary Andrews hieß, daß er mitten in der Nacht von Bord der »Isabella« gestürzt und in der See verschwunden war. Nach einem haarsträubenden Abenteuer, das ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte, und nach einem beschwerlichen Ritt hatte er es nun endlich geschafft, Rügenwalde zu erreichen.
All dies war den beiden unbekannt. Sie wußten nur das eine – daß sie sich von jetzt an noch vorsichtiger verhalten mußten.
Читать дальше