»Fängst du jetzt wieder damit an?«
»Es könnte ein Aufgebot aus Rügenwalde unterwegs sein.«
»Unmöglich«, sagte Erich von Saxingen. »Nur die beiden Idioten hier haben uns verschwinden sehen und waren schnell genug in den Sätteln, um uns verfolgen zu können. Es gibt sonst niemanden, der uns auf den Fersen sitzt, wie oft soll ich dir das noch sagen? Wir sind hier völlig sicher.«
»Schon gut«, sagte Bruno von Kreye.
Von Saxingen nahm den Kienspan wieder aus der Wandhalterung und kehrte nach oben zurück. Bruno von Kreye folgte ihm. Der Kellerraum wurde in tiefe Finsternis gehüllt.
Dan und Piet lauschten den Schritten, die über ihnen auf den Holzbohlen polterten. Die Bohlen wurden von dicken Balken getragen, aber sie bogen sich doch etwas durch und knarrten dabei. Staub rieselte zu Boden. Etwas wurde oben zurechtgerückt, offenbar handelte es sich um einen Tisch oder einen Stuhl.
In der Tat hatten die beiden in einer Ecke des Hüttenraumes einen wackligen Tisch entdeckt, der erst im Licht des Kienspans zu sehen gewesen war. Bruno von Kreye säuberte ihn vom Schmutz und von den Spinngeweben, die ihn überzogen, dann plazierten sie ihn gemeinsam in der Mitte des Raumes. Der Span verbreitete nach wie vor sein flackerndes rötliches Licht. Erich hatte ihn in eine Lücke zwischen zwei Mauersteinen gesteckt.
»So«, sagte Erich von Saxingen. »Jetzt brauchen wir bloß noch zwei Sitzgelegenheiten, dann haben wir es so richtig gemütlich. Steht da drüben nicht ein Hackklotz?«
»Richtig.« Bruno von Kreye holte den Klotz und setzte ihn vor dem Tisch mit einem krachenden Laut auf dem Boden ab. Die Bohlen erzitterten, es fiel wieder Staub in den Keller.
Dan und Piet husteten jedoch nicht. Sie waren bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden. Sie preßten die Lippen zusammen und atmeten durch die Nasenlöcher ein und aus. Piet hatte die Benommenheit, die ihn nach seinem Sturz erfaßt hatte, rasch wieder abgeschüttelt und schob sich ganz vorsichtig auf seinen Kameraden zu.
»Ich sehe mich draußen nach einem zweiten Klotz um«, sagte von Saxingen gerade. »Außerdem will ich Wasser von dem Bach holen, ich habe nämlich eine ganz trockene Kehle.«
»Ich auch«, sagte Bruno von Kreye. »Ein tüchtiger Schluck Wasser ist jetzt genau das richtige für uns.«
»Bier wäre besser«, brummte von Saxingen, dann verließ er die Hütte und rammte die quietschende Tür hinter sich zu.
Piet lag jetzt dicht neben Dan.
»Weißt du was?« wisperte er. »Ich könnte mich selbst ohrfeigen.«
»Weil wir diesen beiden Hurensöhnen auf den Leim gegangen sind?« flüsterte Dan. »Ich mich auch. Aber das würde uns wenig nutzen.«
»Wir hätten die beiden bei unserem Besuch auf dem Saxingen-Gut tüchtiger versohlen sollen«, raunte Piet. »Sie haben die Jacke nicht voll genug gekriegt. – Der eine ist doch dieser Erich von Saxingen, nicht wahr?«
»Ja, und der andere heißt Bruno von Kreye. Ich war bei der Befreiung von Gisela von Lankwitz ja auch mit dabei und konnte genau verfolgen, wie sich Shane und Matt mit den Kerlen befaßten. Mein Gott, Piet, sag mir, daß es nicht wahr ist. Sag mir, daß sie noch lebt.«
»Sie ist tot«, sagte Piet mit kaum wahrnehmbarer Stimme. »Und keiner kann sie wieder auferstehen lassen.«
»Wer hat deiner Meinung nach den Schuß auf sie abgegeben?«
»Von Saxingen«, entgegnete Piet. »Aber von Kreye scheint damit nicht ganz einverstanden zu sein, wenn ich das richtig mitgekriegt habe.«
»Der Teufel soll die beiden holen«, zischte Dan. »So ein Mist, daß wir ausgerechnet ihnen in die Hände fallen mußten. Die warten doch nur darauf, sich an uns rächen zu können.«
»Aber sie müssen erst Hugo von Saxingen befreien, und dazu brauchen sie uns – als Geiseln.«
»Piet«, flüsterte Dan. »Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen soll, aber das eine schwöre ich dir – ich befreie mich von diesen Fesseln. Und dann helfe ich auch dir. Ich schaffe es.«
»Still jetzt«, wisperte Piet. »Sonst hören sie uns noch.«
Sie schwiegen und konnten aus den Geräuschen, die sich der Hütte näherten, schließen, daß von Saxingen zurückgekehrt war. Die Tür öffnete sich, und er sagte: »Hier, hilf mir mal, Bruno, ich hab einen zweiten Klotz gefunden. Wasser habe ich auch. Und sieh mal, was ich noch gefunden habe.«
Bruno von Kreye trat in die offene Tür und nahm ihm den schweren Holzklotz ab, den er wieder zum Tisch schleppte und dort auf dem Boden absetzte. Er wandte sich um und sah im Schein des blakenden Kienspans, wie von Saxingen einen vollen Wasserschlauch und eine dickbauchige grüne Flasche hereintrug.
Von Saxingen kicherte. »Ich habe den Schlauch von meinem Pferd losgebunden und bin dabei auf die Flasche gestoßen«, erklärte er. »Hölle und Teufel, ich hatte doch glatt vergessen, daß ich sie mir in Reval in die Satteltasche gesteckt hatte, bevor wir losritten. Nun rate mal, was für ein edler Tropfen da drin ist?«
»Korn, nehme ich an?«
»Nein. Es ist Beerwurz, echter samländischer Beerwurz. So ein Tröpfchen haben wir uns jetzt wirklich verdient.«
Erich von Saxingen war von dem Umtrunk, der sie erwartete, völlig hingerissen und dachte an nichts anderes mehr, nur noch daran. Er erweckte nicht den Eindruck eines Mannes, der vor kurzem eine junge Frau getötet hatte und damit zum Mörder geworden war. Er schien die Untat bereits vergessen zu haben.
Umständlich ließ er sich auf einem der beiden Hackklötze nieder. Von Kreye nahm ihm gegenüber Platz. Sie hatten keine Becher oder Krüge zum Trinken, doch das störte sie nicht. Das frische Bachwasser ließen sie sich direkt aus dem Schlauch in die Kehlen rinnen. Den Beerwurz tranken sie abwechselnd aus der klobigen grünen Flasche. Er war angenehm kühl und hatte genau die richtige Temperatur. Von Saxingen schnalzte nach dem ersten Schluck genießerisch mit der Zunge, wischte sich den Mund ab – und nahm gleich noch einen Schluck zu sich.
Im Keller verfolgten Dan und Piet alles, was die beiden Kerle sprachen, und Piet gab sich die allergrößte Mühe, wenigstens die wichtigsten Sätze zu verstehen und sie Dan zu übersetzen. Was sie hörten, versetzte sie in noch größere Wut und steigerte ihren Haß gegen Erich von Saxingen und Bruno von Kreye.
Die beiden Junker tranken jetzt weniger Wasser und immer mehr Schnaps. Die Flasche war bereits halb geleert, sie hatten beide einen kräftigen Zug. Da sie überdies seit den Mittagsstunden nichts mehr gegessen hatten, tat der hochprozentige Alkohol sehr rasch seine Wirkung. Ihre Sauferei sollte zu einem erbitterten Streitgespräch führen.
»Ist das nicht herrlich?« fragte von Saxingen begeistert. »Wir hocken hier gemütlich zusammen und saufen uns einen an, und in Rügenwalde heulen Killigrew und von Manteuffel und ihre Kerls sich die Augen darüber aus, daß die Lankwitz, die dumme Kuh, ins Gras gebissen hat.«
»Bist du ganz sicher, daß sie nur heulen?«
Von Saxingen war viel zu begeistert von seinem Beerwurz-Fund, um jetzt auf von Kreyes Bedenken einzugehen.
»Ja, ja«, antwortete er ihm nur. »Die verlassen sich ganz auf die beiden Narren hier unten. Bestimmt denken sie, daß die dummen Hunde uns gestellt und eingefangen haben. Aber denen husten wir was.«
»Der Schnaps reicht aber nur für heute nacht. Und zu beißen haben wir auch nichts bei uns.«
»Wie war das? Ach, du meinst, wir sitzen bald auf dem Trockenen? Herrgott, ein paar Tage können wir auch vom Wasser leben. Und was die Verpflegung betrifft: Da ist der Wald, wir haben unsere Musketen und ausreichend Munition. Wir können uns was jagen, hast du das vergessen?« Von Saxingen lachte.
Von Kreye schüttelte den Kopf. »Wenn wir erst in der Gegend herumballern, wird irgend jemand nachsehen, was hier los ist. Dann hat man uns bald entdeckt, und wir sitzen wirklich in der Falle.«
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