„Du täuschst dich nicht“, antwortete der krummbeinige, häßliche Mann. „Wieso?“
„Ach“, meinte Dan O’Flynn. „Weißt du, wir wollen uns nur noch ein paar Waffen holen. Die könnten wir gut gebrauchen, wenn wir auf den Lagerplatz zurückkehren, was meinst du?“
„Ja, ganz bestimmt sogar. Und das viele Pulver?“
„Damit haben wir auch noch was vor“, erwiderte Shane grinsend.
„Es ist viel zuviel, um es alles zur ‚San Rosario‘ oder an Bord der ‚Isabella‘ zu mannen, wenn du das meinst“, sagte Jonny.
Big Old Shane schüttelte den Kopf. „Jetzt hast du mich falsch verstanden, Jonny. Dan und ich meinen bloß, daß das Zeug viel zu schade ist, den Dons wieder in die Hände zu fallen.“
Sumatra-Jonny kriegte große Augen. Dann begriff er, was sie planten, und begann zu kichern.
Dobro, der Malaie, zählte mit Ranon und Calderazzo zum Kern der Besatzung der „Malipur“; er war der dritte Mann, der von Anfang an mit dabeigewesen war. Er kannte sich hervorragend mit allen Segelmanövern aus und betätigte sich außerdem als Segelmacher an Bord der Galeone. Er verstand sein Handwerk und gehörte mit dem Inder und dem Sizilianer zu den besten Leuten, die unter René Joslins Kommando fuhren, aber das unabwendbare Drama aufzuhalten, das über das Schiff und seine Besatzung hereinzubrechen drohte, lag außerhalb seiner Kompetenz.
Daran vermochte auch der fünfte Mann nichts zu ändern, der mit Ranon und Dobro in den Laderaum der „Malipur“ abgeentert war: Slacks, der Schiffszimmermann. Slacks war Engländer und hatte in seiner Jugendzeit bei einem der besten Schiffsbauer seines Landes eine Lehre absolviert. Auf abenteuerliche Weise war er nach Indien gelangt. Einige Jahre war er Gefangener der Portugiesen gewesen und hatte in Goa Schwerstarbeit leisten müssen.
Wegen seines Geschicks, mit Holz umzugehen, und seiner großen Fingerfertigkeit hatte er sich jedoch einen Vertrauensposten erwerben können und war vor der Schufterei in den Steinbrüchen bewahrt worden. Nachdem er am Aufbau eines großen Forts beteiligt gewesen war, bei dessen Errichtung seine brauchbaren Verbesserungsvorschläge berücksichtigt worden waren, war ihm eines Nachts die Flucht gelungen. Slacks hatte sich Freibeutern angeschlossen, war später in den Golf von Bengalen gelangt und hatte vor anderthalb Jahren bei Joslin angeheuert.
Immer wieder hatte er versucht, die „Malipur“ so weit zu reparieren, daß sie wieder so seetüchtig und manövrierfähig wurde, wie sie es früher einmal gewesen war. Aber sein guter Wille war jedesmal an dem grenzenlosen Geiz des Franzosen gescheitert.
Joslin war nicht bereit, Holz und andere Materialien zu kaufen, die für eine hinreichende Instandsetzung dringend erforderlich waren. Ja, er wollte nicht einmal seine Männer dafür bezahlen, daß sie das Holz selbst in den Küstenwäldern schlugen, und auch keine Zeit darauf verwenden.
Slacks hatte sich darauf beschränkt, wenigstens das einzige Beiboot, das der „Malipur“ geblieben war, immer wieder fachgerecht zu kalfatern oder morsche Planken auszuwechseln, so daß wenigstens die Jolle im Bedarfsfall allen Wettern standhielt. Im übrigen spielte Slacks schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, wieder abzumustern.
Schon an dieser Fahrt vom Golf von Bengalen zu den Philippinen hatte er nicht mehr teilnehmen wollen, und er verfluchte sich selbst dafür, daß er es am Ende auf Joslins Bitten hin doch getan hatte.
Slacks stand bis zu den Knien im Leckwasser der Galeone und hämmerte Planken gegen die Innenhaut des Schiffes, obwohl er genau wußte, daß auch das nichts mehr nutzte, wenn sie nicht bald vor dem Sturm in eine schützende Bucht verholten.
Er fühlte sozusagen körperlich, wie es um das Schiff bestellt war. Kein zweiter wußte über die Schwächen des „Dreckskahns“ – so nannte er ihn bei sich – besser Bescheid als er. Slacks hörte, wie das Rauschen und Gurgeln der Wasser zunahm, und er spürte die Angst vor dem nahenden Tod in sich aufsteigen.
Er brüllte genauso laut wie der Sizilianer. Als trotz allen Abdichtens und verzweifelten Pumpens doch immer mehr Wasser in die Frachträume lief, beschloß er, den entscheidenden Schritt zu tun.
„So!“ schrie er. „Mir langt’s jetzt! Ich gehe zum Alten und bringe ihm bei, was er zu tun hat, damit wir nicht alle absaufen wie die Ratten!“
„Das habe ich schon versucht!“ rief Ranon, der Inder.
„Und er hat sich geweigert, eine Bucht anzulaufen?“
„Ja.“
„Er sagt, in der verfluchten Mentawaistraße seien wir sicher vor dem schlimmsten Sturm!“ schrie Calderazzo.
„Das merken wir ja!“ brüllte Slacks außer sich vor Wut. „Ich entere jetzt das Achterdeck, Leute, und wer mir folgen will, der soll es sich nicht zweimal überlegen! Hilfe kann ich sogar gebrauchen!“
„Ich komme!“ rief der Sizilianer, ließ die Lenzpumpe los, die er mit Shindaman zusammen bedient hatte, lief durch das aufspritzende Wasser zu dem Engländer und trat neben ihn. „Das ist ganz nach meinem Geschmack!“ fügte er laut hinzu.
Eine schlingernde Bewegung des Schiffes drohte sie beide umzureißen, doch Slacks hatte die Geistesgegenwart, sich an einem Stapel Kisten festzuhalten, ehe es ihn aus dem Gleichgewicht warf. Calderazzo klammerte sich am linken Arm des Kameraden fest, und so wurde auch er vor einem neuerlichen Sturz in das schwappende Naß bewahrt.
„Was habt ihr vor?“ schrie Ranon ihnen zu.
„Bist du mit von der Partie?“ wollte Slacks wissen.
„Nur, wenn es kein böses Blut gibt!“
„Das läßt sich jetzt nicht mehr vermeiden!“ rief der Sizilianer.
Der Inder stolperte ein paar Schritte durch den Gang zwischen den Kisten, Fässern und Ballen und näherte sich den beiden. „Ihr wollt ihn also zwingen, vom Kurs abzuweichen? Das ist Meuterei! Überlegt euch, was ihr …“
„Wir wissen, was wir tun!“ unterbrach Slacks ihn scharf. „Oder ist es dir lieber, abzusaufen?“
„Wir könnten es auch mit heiler Haut überstehen!“ fuhr Ranon ihn an. „Bei einer Meuterei bin ich nicht dabei!“
„Keine Angst, wir springen schon nicht zu rauh mit dem Alten um“, sagte Slacks. Dann stieß er Ranon, der eine drohende Haltung einnahm, vor die Brust, daß dieser zurücktaumelte.
Slacks drehte sich um und hastete zum Niedergang, gefolgt von dem Sizilianer.
Der Inder verlor auf dem schlüpfrigen, tanzenden Deck die Balance und fiel hin. Die „Malipur“ senkte ihren Bug tief in ein Wellental, und das Leckwasser floß von achtern nach vorn durch den Gang und überspülte seine Gestalt. Ranon tauchte mit dem Kopf unter, schluckte Wasser und suchte mit den Händen nach einem Halt. Er fand ihn an einer der Zurrings der Tuchballen, richtete sich mit dem Oberkörper wieder auf und spie die Flüssigkeit mit einem Fluch aus. Er schüttelte sich, rappelte sich ganz auf und wandte sich zu Shindaman und Dobro um.
„Pumpt weiter!“ rief er ihnen zu. „Ich will zusehen, daß ich ein Unheil verhindern kann!“
Mit diesen Worten verließ auch er in aller Hast den Frachtraum und versuchte, den Engländer und den Sizilianer noch einzuholen, bevor sie vom Achterkastell auf die Kuhl hinaustraten.
Der Bengale und der Malaie blickten sich im Dunkel des Schiffsraumes über die Lenzpumpe hinweg an. Sie schüttelten die Köpfe, zuckten mit den Schultern und griffen nach dem beidseitig zu bedienenden Schwengel der Pumpe. Mit den Rükken gegen die Bällen gepreßt und die Füße so fest wie möglich auf die Planken gestemmt fuhren sie fort, das Wasser aus dem Bauch der Galeone zu pumpen. Ihre Mienen waren hart und verbissen. Sie wußten, daß ihr Werk eine wahre Sisyphusarbeit war, denn es drang nach wie vor mehr Wasser ein, als sie hinausbefördern konnten. Trotzdem pumpten sie weiter, als hinge von ihnen allein das Wohl der „Malipur“ ab.
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