Bis über ihre Fußknöchel reichte das Wasser jetzt schon, und sie hatten die allergrößte Mühe, die Pumpen überhaupt in Gang zu bringen, denn die Schwankungen des Schiffes waren tief im Rumpf nicht weniger stark als an Oberdeck.
Immer wieder glitten die drei Männer aus und landeten in der hin und her schwappenden Flüssigkeit. Es war so dunkel, daß sie kaum etwas von ihrer näheren Umgebung zu erkennen vermochten, mehrfach gerieten sie sich gegenseitig ins Gehege.
Calderazzo prallte mit Shindaman zusammen, als er wieder einmal ausrutschte. Der Bengale stieß sich den Hinterkopf an einem der gut verpackten Fässer und stöhnte vor Schmerz auf. Der Sizilianer begann wild zu fluchen.
„So schaffen wir es nicht!“ brüllte er zwischen zwei lästerlichen Verwünschungen. „Das weiß auch der Capitaine, das muß er zumindest einsehen! Wir brauchen Verstärkung, um das verdammte Wasser aus dem Bauch des Kahns rauszukriegen!“
„Wenn wir uns mit den Rücken gegen die Tuchballen stemmen, haben wir einen besseren Halt!“ schrie Ranon ihm im Toben des Seewassers an den Bordwänden zu. „Oder aber wir binden uns fest!“
„Damit wir hier unten jämmerlich ersaufen?“ rief Calderazzo. „Wenn die morschen Planken der Wegerung nachgeben, ist hier der Teufel los, das ist doch klar! Dann haben wir nicht einmal mehr Zeit, uns loszuknüpfen!“
Ranon bückte sich nach der einen Pumpe, die umgekippt im zischenden und gurgelnden Naß lag, richtete sie wieder auf und zerrte sie weiter nach vorn in den Mittelgang, der beim Stauen der Ladung zwischen den Packen geblieben war, um den Zugang zum vorderen Frachtraum zu ermöglichen.
Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tuchballen und spreizte die Beine ab. In dieser Haltung vermochte er gegen den Seegang anzukämpfen, die Schiffsbewegungen konnten ihn jetzt nicht mehr aus der Balance bringen.
Allein mühte er sich mit der Pumpe ab, aber all seine Anstrengungen brachten keinen großen Erfolg.
Calderazzo eilte ihm schimpfend zu Hilfe, und zu zweit konnten sie den Pumpenschwengel nun schon schneller hochhieven und wieder hinunterdrükken.
Auch der Bengale hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt. Er rieb sich den Kopf und stöhnte auch noch, doch auch er trug seinen Teil zu der Aktion bei, indem er das Rohr richtete, das durch eine Öffnung in der Decke bis nach oben auf die Kuhl führte und dort das Leckwasser ausspuckte. Das Wasser rann mit den Fluten, die immer wieder von außen her über das Oberdeck rauschten, durch die Speigatten ab.
So arbeiteten sie gut eine halbe Stunde lang hart und verbissen. Der Schweiß lief ihnen über ihre nackten Oberkörper und über die Gesichter, und Calderazzo hörte nicht auf, ihre Tätigkeit durch sein Fluchen zu begleiten.
Schließlich rief er: „Es hat keinen Zweck! Merkt ihr nicht, daß das Wasser steigt?“
„Wir müßten auch die zweite Pumpe einsetzen!“ schrie Ranon.
„Der Henker weiß, wo die abgeblieben ist!“ brüllte der Sizilianer.
„Shindaman!“ rief der Inder dem Bengalen zu. „Übernimm du meinen Platz, und pumpt zu zweit weiter! Ich suche nach den größten Lecks und sehe zu, sie zu stopfen!“
„Das ist Wahnsinn!“ ließ sich Calderazzo vernehmen. „Du säufst dabei ab, sage ich!“
„Laß es mich wenigstens probieren!“
Ranon überließ seinen Platz dem Bengalen, stolperte zur anderen Seite des schmalen Ganges und prallte hier gegen die Ballen. Er suchte mit den Händen nach einem Halt, fand ihn jedoch nicht und sank deshalb bei der nächsten Schlingerbewegung der „Malipur“ zu Boden. Die Galeone hob ihren Bug an, um sich eine anrollende Woge hinaufzuschieben, und Ranon rutschte auf den nassen Planken ein Stück nach achtern.
Er stieß sich die Schulter an einem harten Gegenstand, der im Leckwasser lag, und unterdrückte nur mit Mühe einen Schrei.
Das Wasser sammelte sich im achteren Bereich des Laderaums und stieg derart an, daß es dem Inder schon bis zu den Hüften reichte, als er sich jetzt wieder erhob.
Ranon stellte fest, daß er sich die Schulter an der zweiten Lenzpumpe aufgeschrammt hatte. Bevor sie ihm jetzt auch noch über die nackten Füße rollen konnte, brachte er sich aus ihrer Nähe und watete durch das schwappende Wasser zur Backbordseite, wo sich seines Wissens eins der kritischen Lecks befand.
Er entdeckte es und erschrak, als er feststellte, daß er bereits seinen Finger in die entstandene Öffnung schieben konnte. Das Leck hatte sich unter dem Druck der Wassermassen bedenklich erweitert. Er mußte es abdichten, so schnell er konnte.
So wankte er ein Stück zurück zur Mitte des Schiffsraums, löste ein Stück Persenning von einer der Kisten und zerrte es zu dem Leck. Hier kniete er sich in eine Wasserpfütze, ehe das nächste Stampfen der Galeone ihn wieder umwerfen konnte, und begann, das gewachste und geteerte Segeltuch Stück für Stück in die Spalte zu stopfen, die zwischen zwei Planken klaffte. Es gelang ihm, dies mit seinen bloßen Fingern zu bewerkstelligen. Aber er wußte, daß es nicht genügte. Er brauchte einen Hammer, Nägel und Planken, um seine Arbeit zu vervollständigen, sonst würde sie innerhalb der nächsten Minuten allein durch den Wasserdruck wieder beseitigt werden.
„Ich gehe in die Zimmermannswerkstatt!“ schrie er seinen beiden Kameraden zu. „Ich brauche ein paar Hilfsmittel!“
„Sag dem Kapitän Bescheid!“ rief der Sizilianer.
„Das ist nicht nötig!“
„Doch! Er soll sich die Schweinerei hier unten ansehen!“ brüllte Calderazzo.
Ranon hörte nicht auf ihn, sondern wandte ihm und dem Bengalen den Rücken zu und enterte auf dem Weg durch den nächsten Niedergang in das nächsthöhere Deck auf. Rasch hatte er sich Zugang zur Werkstatt des Schiffszimmermanns verschafft. Er mußte eine Weile herumtasten, bis er das Nötige gefunden hatte, aber bald hatte er alles zusammen und kehrte stolpernd und vor sich hin wetternd in den Frachtraum zurück.
Hier nagelte er zwei Planken über das mit der Persenning zugepfropfte Leck, kroch weiter und suchte nach dem nächsten Leck.
Plötzlich stießen Calderazzo und Shindaman einen Schrei aus.
„Hierher!“ brüllte der Sizilianer gleich darauf gegen das Donnern und Tosen des Sturmes an. „Ranon, hier ist ein neuer Wassereinbruch! Hölle, es sprudelt nur so herein! Teufel, wo steckst du denn bloß?“
„Hier!“ schrie der Inder.
Er preßte nur noch eine Planke auf das zweite Leck, das er gefunden hatte, und hämmerte sie mit drei, vier Nägeln fest. Dann richtete er sich auf und eilte zu seinen Kameraden, die immer noch mit aller Kraft an der Pumpe arbeiteten.
Er spürte das Wasser an seinen Knien und hörte es durch den Frachtraum schießen. Seine Verzweiflung war wieder da. Er sah ein, daß der Sizilianer recht hatte mit seinen Warnungen und Prophezeiungen.
Ranon rutschte wieder aus und stürzte neben dem Bengalen auf die Planken, aber genauso schnell hatte er sich auch wieder aufgerappelt und torkelte durch das einströmende, sprudelnde Wasser bis zu der Stelle im Holzkleid des Schiffes, an der es einbrach.
Seine Finger vermochten den gewaltigen Guß nicht aufzuhalten, er konnte kaum das Loch finden, durch das der Schwall eindrang. Seine Verzweiflung schlug jetzt in Panik um.
„Helft mir!“ schrie er. „Ich kann es allein nicht schaffen!“
Calderazzo und Shindaman ließen von der Lenzpumpe ab und wateten zu ihm.
„Sieh dir das an!“ brüllte der Sizilianer dem Bengalen zu. „Das ist unser aller Untergang! Madonna Santa, diesmal stehen wir es nicht durch! Ich habe dem Alten schon ein paarmal gesagt, der Kahn ist zu morsch und zu brüchig für solche Fahrten geworden, aber er will es ja nicht einsehen!“
„Hör auf!“ rief Ranon. „Reich mir lieber eine von den Planken herauf! Ich habe sie hier irgendwo verloren, du mußt sie finden!“
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