Wieder donnerte es, aber diesmal war es nicht das Gewitter, das seinen Zorn auf Airdikit niederschickte, sondern eins der Festungsgeschütze, das gesprochen hatte.
Hasard sah den Feuerblitz zwischen den Zinnen des Söllers und beobachtete auch, wie eine dicke schwarze Rauchwolke gen Himmel stieg.
Jetzt wußte er, daß Carberry, Shane, Dan und vielleicht auch ein paar Männer aus dem Palisadenlager in dem Kastell angelangt waren.
Don Felix war erschüttert und schien in diesem Moment nicht zu wissen, wohin er zuerst blicken sollte – zu seinen vor dem Palisadenzaun kämpfenden Männern oder zum Kastell, das ganz offensichtlich von den Feinden erobert worden war.
Der Seewolf warf sich auf ihn.
Wie auf einen Befehl hin handelten auch Smoky und Luke Morgan. Sie duckten sich, fuhren herum und rammten den Soldaten, die sie bewachten, die Ellenbogen in die Leiber. Die Überraschung der Spanier, die sich schon als Sieger gefühlt hatten, war ihr großer Trumpf.
Smoky schlug den direkt hinter ihm stehenden Soldaten nieder und riß dessen Muskete an sich.
Luke Morgan beförderte einen Spanier zu Boden, stürzte sich auf ihn und rammte ihm die rechte Faust unter die Kinnlade. Der Mann sank schlaff zusammen. Luke hob dessen Blunderbüchse auf, spannte deren Hahn und drückte auf zwei Soldaten ab, die sich auf den blutenden Ferris Tucker zubewegten.
Dann schoß auch Smoky.
Hasard hatte Don Felix’ Handgelenk gepackt und drückte dessen Waffenarm nach oben, während sie beide zu Böden gingen. Samaniego konnte zwar den Pistolenabzug bedienen, aber der Schuß stob wirkungslos in den Himmel. Hasard drehte ihm den Arm halb um, als der Kommandant versuchte, ihm den hölzernen Knauf der Pistole auf den Hinterkopf zu schlagen.
Samaniego mußte die Waffe loslassen. Sie fiel zu Boden. Aber noch gab der. Kommandant nicht auf. In wütendem Kampf wälzte er sich mit dem Seewolf auf dem Boden.
Wieder donnerte einer der schweren Siebzehnpfünder auf dem Söller des Kastells und entließ seine Ladung mit Feuer und Rauch. Die Kugel heulte über den Platz und landete im Hafenwasser, nicht weit von der Stelle entfernt, an der auch die erste eingeschlagen war. Es war der Umsicht des Profos zu verdanken, daß beide Geschosse nicht die „San Rosario“ trafen, die immer noch wild an ihrer Ankertrosse schwoite.
Carberry hatte zuerst seinen Augen nicht trauen wollen, als er gesehen hatte, welche Entwicklung die Dinge unten auf der Lichtung genommen hatten. Jetzt aber zündete er auch noch eine dritte Kanone – mehr wegen des Effekts als wegen der eigentlichen Wirkung –, verpaßte Trench einen begeisterten Hieb gegen die Schulter, daß dieser fast vom Söller kippte, und rannte zur Treppe, die auf den Hof der Festung hinunterführte.
Trench und Bonart sahen des Profos’ wuchtige Gestalt verschwinden und hörten seine Schritte die steinernen Stufen hinuntertrappeln. Sie tauschten einen Blick, nickten sich kurz zu und schlossen sich dem Narbenmann an.
Sie hasteten die Stufen so schnell hinunter wie er und befanden sich im nächsten Augenblick wieder neben ihm. Carberry war bei dem überwältigten Wachtposten stehengeblieben, der nicht weit vom Tor der Festung entfernt lag, und bückte sich nach dessen Waffen.
Shane, Dan, Jonny und die anderen Männer hatten nur die Muskete, die Pistole und den Degen des einen Spaniers mit in den Kerker hinuntergenommen. Carberry konnte sich also jetzt die Waffen des zweiten Wächters aneignen. Er richtete sich wieder auf, drehte sich zu seinen beiden Helfern um und warf Trench die Pistole und Josh Bonart den Degen zu.
Beide fingen die Waffen geschickt auf.
„Los jetzt“, sagte der Profos. „Wir öffnen das Tor und stürmen auf den Platz, um Hasard und den anderen im Kampf gegen diese verlausten Hundesöhne zu helfen.“
Er hatte gerade ausgesprochen, da fiel ein Schuß, und zwar unzweifelhaft im Kellergewölbe der Festung.
„Josh!“ rief der Profos. „Sieh mal nach, ob unsere Gruppe etwa auch unsere Unterstützung braucht!“
„Aye, Sir!“ Bonart wandte sich um und lief los, zu dem Turm hinüber, durch den der Weg in die Keller hinunterführte.
Trench blickte dem Kameraden nach und stellte bei dieser Gelegenheit fest, daß der erste Posten, den sie bewußtlos geschlagen hatten, sich in diesem Moment zu regen begann. Er schien aus seiner Ohnmacht zu erwachen, während der zweite immer noch tief im Reich der Träume versunken zu sein schien.
Trench eilte zum Sockel der Treppe, die auf den Söller hinaufging. Nur ein paar Schritte von der untersten Stufe entfernt lag der spanische Soldat. Trench nahm ihm kurzerhand den Helm ab, holte mit der erbeuteten Pistole aus und zog ihm den abgerundeten Kolben über den Hinterkopf – nicht zu hart, aber doch kräftig genug, um ihn zumindest für die nächste Viertelstunde zurück ins Land des Schlummers zu schicken.
Carberry hantierte derweil am Tor. Er hievte den Querbalken aus seinen eisernen Bügeln, schob den schweren geschmiedeten Riegel auf und zog den einen Torflügel zu sich heran, der sich ohne jedes Quietschen in seinen gut geölten neuen Angeln bewegte.
Trench verfolgte mit wachem Blick Josh Bonarts Bewegungen. Bonart hatte den Eingang zum Südturm erreicht und verschwand jetzt darin, aber schon nach wenigen Sekunden erschien er wieder und gab seinem Kameraden ein Zeichen, daß alles in Ordnung sei.
Trench lief zu Carberry. Bonart folgte ihm. Sie hetzten beide hinter dem Profos her, der jetzt mit der Muskete in den Fäusten aus dem offenen Tor auf die mit Steinen und Kies befestigte Anfahrt stürmte, die das Kastell mit dem Hüttenlager verband. Sie versuchten, ihn einzuholen und sich neben ihn zu bringen, schafften es aber nicht.
Der Profos konnte schneller laufen, als man es ihm wegen seiner riesigen, fast ungeschlachten Gestalt zutraute. Mitten zwischen die spanischen Soldaten raste er, schoß die Muskete ab und benutzte die Waffe dann als Hiebwerkzeug. Er fluchte und schlug wild mit dem Kolben nach links und nach rechts. Er trat Gegner mit seinen Füßen nieder, duckte sich vor Schüssen, die bedrohlich nah an ihm vorbeisirrten, und hatte nur ein Ziel vor Augen: zu Hasard, Blacky, Ferris, Smoky und Luke zu gelangen.
Hölle und Teufel, dachte Trench, so was hat die Welt noch nicht gesehen!
Dann richtete er seine Pistole auf einen spanischen Soldaten, der soeben zu dem vorbeijagenden Carberry herumfuhr und ihm die Ladung seines Tromblons in den Rücken zu jagen trachtete. Trench drückte ab, und sein Schuß erreichte den Spanier, als wieder ein Blitz die Dunkelheit erhellte und das Dröhnen des Gewitterdonners das Krachen der Schüsse auf der Lichtung übertönte.
Der Soldat brach zusammen und blieb auf der Seite liegen. Trench rannte zu ihm und nahm ihm das Tromblon ab. Josh Bonart stürzte sich unterdessen mit gezücktem Degen auf einen Spanier, der seine Muskete auf Carberry abgefeuert hatte, ohne diesen zu treffen.
Bevor der Profos auf dem Söller des Kastells die erste Kanone gezündet hatte, hatten Dan O’Flynn und Big Old Shane ihren Überraschungsangriff auf die Bewacher des Eingangs zum Kerker durchgeführt, und zwar so, wie Dan es sich ausgedacht hatte.
Zwei Spanier bewachten das Eisengatter, das nicht weit vom Fuß der Treppe entfernt den Eingang zu sämtlichen Räumen des Gewölbes verriegelte. Dieses Gatter ließ sich nur vermittels einer Winde öffnen, die rechts neben dem Einlaß in einer Nische der wuchtigen Steinmauer angebracht war. Bediente man die Winde, so hob sich das schwere Gestänge unter dem Zug von Eisenketten, die in die Decke des Gewölbes eingelassen waren.
Die beiden Wachtposten fuhren herum, als sie polternde Geräusche hinter sich vernahmen. Sie rissen ihre Musketen hoch und brachten sie in Anschlag auf die Gestalten, die jetzt lärmend die Stufen hinunterkollerten.
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