Sie zögerten jedoch zu schießen, denn die beiden Männer, die ihnen bis vor die Füße rollten, trugen die Rüstung der spanischen Soldaten. Und auch die Flüche, die sie ausstießen, klangen so unverkennbar spanisch, daß die Wächter des Kerkers keinen Zweifel daran hegten, echte Landsleute vor sich zu haben.
Die Brustpanzer der beiden offensichtlich Gestrauchelten schepperten auf dem Steinboden, und ihre Helme klapperten. Sie blieben auf den Bäuchen liegen und stöhnten.
„Was ist los?“ fragte der eine Wachtposten. „Ich denke, der Kampf ist entschieden!“
„Ist er auch“, brummelte Dan O’Flynn in tadellosem Kastilisch. Er erhob sich, hielt den Kopf dabei aber so gesenkt, daß die Spanier sein Gesicht nicht erkennen konnten.
„Aber wir haben eine Meldung des Kommandanten“, sagte Shane, der sich nun ebenfalls aufrichtete und dabei genauso verfuhr wie Dan. „Und wir haben es so eilig gehabt, sie euch zu überbringen, daß wir auf der Treppe ausgerutscht sind.“
„He, wer bist du denn?“ sagte der zweite Wachtposten. Er beugte sich vor, griff mit der Hand nach Shanes Schulter und versuchte, den Mann so umzudrehen, daß er sein Gesicht sehen konnte. „Pablo?“
Dan und Shane fuhren gleichzeitig herum und schlugen mit ihren Fäusten zu. Dan traf das Kinn seines Gegners sofort, und dieser Mann brach bewußtlos zusammen, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben oder eine Geste des Widerstandes zu zeigen.
Shane erwischte den zweiten Wachtposten nicht ganz so glücklich. Seine Faust schrammte an der Kinnlade des Mannes hoch und prallte gegen die Kante des Helmes. Der Spanier wollte schießen, schreien, Widerstand leisten, aber Big Old Shane nahm ihn blitzschnell in einen Klammergriff – obwohl seine Hand schmerzte –, riß ihn herum, zog ihm den Helm vom Kopf und verpaßte ihm einen Hieb, der auch ihn zusammensinken und schlaff werden ließ.
Ein lautes Stöhnen konnte der Spanier aber doch noch von sich geben, ehe er ohnmächtig wurde.
Doch jetzt ertönte draußen der Gewitterdonner, und gleich darauf fiel der erste Kanonenschuß. Shane und Dan grinsten sich zu, sie hatten beide den Eindruck, das Stöhnen des Zusammenbrechenden sei in dem Donnern untergegangen.
Sie zerrten die beiden Soldaten in einen Seitengang, der sehr dunkel war und außerdem geräumig genug, um ihnen ausreichend Platz zu bieten. Dan und Shane nahmen den Spaniern die Waffen ab, kehrten zum Eisengatter zurück und verständigten sich durch Gebärden, was als nächstes zu tun war.
Dan hastete die Treppe hinauf, um den anderen Bescheid zu geben. Jonny, Sullivan und die anderen sollten nachrücken, nur Christians sollte als Aufpasser oben im Eingang des Südturms stehenbleiben, damit seinen Kameraden niemand in den Rücken fallen konnte.
Big Old Shane begann, die Winde zu drehen. Er glaubte, im Lager Musketen- und Pistolenschüsse fallen zu hören, und jetzt dröhnte auch der zweite Siebzehnpfünderschuß auf dem Söller der Festung und wenige Augenblicke später der dritte.
Das Eisengitter hob sich.
Dan O’Flynn hastete mit Sumatra-Jonny, Sullivan und den Männern der „glorreichen Zehn“ die Treppe hinunter. Jonny hatte ein wahrhaft diebisches Grinsen aufgesetzt, und er schickte sich schon an, unter den spitzen Zähnen des Gatters hindurchzukriechen, da tauchte auf der anderen Seite überraschend die Gestalt eines spanischen Soldaten auf.
„Jesus, Maria!“ schrie der Soldat. „Was treibt ihr denn da? Ihr – mein Gott, wer seid ihr?“
Im Gewölbe brannten Pechfakkeln, die in schmiedeeisernen Haltern steckten, und etwas von dem Lichtschein fiel auf Jonnys Gestalt, aber auch auf die Gesichter von Dan O’Flynn und Shane. Der Spanier begriff sofort, daß er es bei den Uniformierten nicht mit seinen Kameraden zu tun hatte – und er wußte ja auch, daß die Eindringlinge, mit denen man sich auf dem Platz zwischen Hütten und Hafen einen erbitterten Kampf geliefert hatte, in der Verkleidung spanischer Soldaten erschienen waren. Er selbst hatte seinen Posten im Kerker während dieses Gefechtes nicht verlassen dürfen, aber ein Melder hatte ihm und den beiden anderen Wächtern alles Wesentliche mitgeteilt.
Also fiel er nicht auf Dans und Shanes Maskierung herein wie vor ihm die beiden anderen Soldaten. Mit Entsetzen stellte er fest, daß seine Kameraden verschwunden waren und die Gegner deren Plätze eingenommen hatten. Mit einem Aufschrei hob er seine Muskete und zielte auf Jonny.
Jonny befand sich in einer so unglücklichen Lage, daß er sich drehen und wenden konnte, wie er wollte – er entging diesem Schuß auf gar keinen Fall.
Der Schuß krachte.
Dan O’Flynn, der Sumatra-Jonny am nächsten stand, zuckte unwillkürlich zusammen. Aber dann sah er, daß es nicht der Spanier gewesen war, der gefeuert hatte. Der Soldat ließ vielmehr die unbenutzte Muskete zu Boden fallen, griff sich mit beiden Händen an den Hals und gab einen röchelnden Laut von sich, während er in den Knien einknickte und zusammenbrach.
Dan drehte sich verblüfft um und sah, wie auch die anderen verdutzt zu dem hageren Batak blickten. Der hatte nämlich die Pistole gehoben, die er auf dem Festungshof dem einen überwältigten Posten abgenommen hatte, und stand auch jetzt, nach dem Schuß, in aufrechter, fast steifer Haltung da und schaute durch den aufsteigenden Schmauch Sumatra-Jonny an, der sich gerade auf der anderen Seite des Gitters erhob und auflachte.
„Danke, Taluk!“ rief Jonny. „Das war gerade noch rechtzeitig. Ich werd’ dir’s nicht vergessen, daß du das für mich getan hast. He, Freunde, habt ihr gesehen, was ich für prächtige Burschen in meiner Crew habe?“
„Allerdings“, gab Dan trocken zurück. „Das war ein ausgezeichneter Schuß. Jonny, du solltest aber besser die Augen offenhalten und nachsehen, ob noch mehr Soldaten im Gewölbe sind.“
„O Mann, da hast du allerdings recht“, sagte Jonny. Er ging zu dem toten Spanier, nahm ihm die Waffen ab und schritt vorsichtig weiter voran, die Muskete im Anschlag.
Shane hatte das Gatter jetzt fast ganz hochgedreht und arretierte die Winde. Mit Dan, Taluk und den anderen hastete er Sumatra-Jonny nach. Sullivan lief unterdessen die Treppe hinauf, um Christians Bescheid zu geben, daß alles in Ordnung sei. Natürlich würde sich Christians wegen des Schusses Sorgen bereiten.
Kurze Zeit später unterrichtete Christians seinerseits seinen Kameraden Josh Bonart, daß der Einbruch in das Kellergewölbe reibungslos verlaufen sei, und Bonart rannte daraufhin vom Südturm aus zurück zu Carberry und Trench mit denen er durch das Tor auf den Lagerplatz stürmte.
Jonny führte seine Begleiter in den Gefängnistrakt des großen Gewölbes, und hier empfingen sie begeisterte Rufe und Händeklatschen der Kettensträflinge und das Rasseln und Scheppern ihrer Eisen, mit denen sie heftig gegen die Gitterstäbe schlugen.
Jeweils zehn Mann waren in eine Zelle gesperrt, und jede Zellentür hatte ein Schloß.
Jonny hob die Hand und wies einen großen, schweren Schlüsselbund vor, den er dem toten Spanier mit den Waffen zusammen abgenommen hatte.
„Keine Sorge, Freunde!“ rief er. „Wir haben alles, was wir brauchen! He, Kameraden von der ‚glorreichen Zehn‘, die Haft ist zu Ende, wir sind endlich wieder frei! Ho, ihr anderen, wer sich uns anschließen will, der soll es tun! Wer aber selbst glaubt, daß er zu diesem prachtvollen Haufen nicht paßt, der soll von mir aus gleich verduften und sich im Busch verkriechen! Mehr können wir nicht für ihn tun!“
„Hurra!“ schrien die Gefangenen. „Es lebe Jonny!“
Jonny grinste, rasselte mit den Schlüsseln und wandte sich der ersten Zellentür zu, um sie aufzuschließen.
„Eine feine Rede war das, Jonny“, sagte Big Old Shane anerkennend. „Aber jetzt mal was anderes. Täusche ich mich, oder hast du uns vorhin von Waffenlagern und Pulverkammern erzählt, die hier unten untergebracht sind?“
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