Die Kleidung hatten sie dem Teniente Moratin und dessen sieben Begleitern abgenommen. Als sie im Lager gelandet waren, hatte sie ihnen nicht viel genutzt, denn sie waren sofort erkannt worden, aber jetzt schien doch der Moment gekommen zu sein, um die Maskierung sinnvoll anzuwenden.
Shane grinste jetzt auch. „Ich habe schon verstanden, was du vorhast, Dan“, flüsterte er.
Acht Siebzehnpfünder standen auf der Plattform des Burgsöllers, aber es war noch Platz für mindestens genauso viele Geschütze dieses Kalibers. Carberry stellte das fest, als er als erster den Platz erreichte und sich aufmerksam umschaute.
Eines Tages, dachte er, werden sie auch die restlichen Kanonen aufstellen, aber es wäre zu schön, wenn sie’s nicht schaffen würden, die Hunde.
Er schob sich geduckt weiter und spähte nach weiteren Gegnern, konnte aber niemanden entdecken. Die beiden Posten, die Jonny und er unten am Treppenaufgang niedergeschlagen hatten, mußten die Order gehabt haben, unten im Hof Wache zu halten, nicht auf dem Söller.
Gut so, dachte Carberry, sehr gut.
Er war jetzt bei dem ersten Geschütz angelangt und tastete mit seinen großen, derben Händen fast behutsam über das Rohr.
Rasch hatte er sich davon überzeugt, daß nicht nur diese, sondern auch die sieben anderen Culverinen fix und fertig geladen waren. Die Lunten und die Luntenstöcke lagen bereit, ebenso alles andere Zubehör wie Kratzer, Wischer, Borstenschwämme und Ladestöcke. Auch an Pulver und Kugeln mangelte es hier oben nicht, nur an Metallbecken mit glimmender Holzkohle darin.
Carberry blickte sich zu Trench und Josh Bonart um, die jetzt dicht hinter ihm waren.
„Hab ich’s doch geahnt“, raunte er ihnen zu. „Wie gut, daß ich vorsichtshalber Feuerstein und Stahl von der ‚Isabella‘ mitgenommen habe, was?“
„Das kann man wohl sagen, Profos“, zischelte Bonart. „Welche Kanone willst du abfeuern?“
„Erst einmal die drittletzte“, erwiderte Carberry und wies zum nördlichen Ende des Söllers. „Der Schuß wird genau über den Lagerplatz weggehen. Danach sehen wir weiter. Los, kommt.“
Sie krochen zu der von Carberry bezeichneten Kanone. Der Profos holte seine Utensilien aus der Hosentasche, und die beiden ehemaligen Decksleute der „Balcutha“ begannen, damit herumzuhantieren.
Carberry schob seine große Gestalt unter das Geschützrohr und bewegte sich auf die Schießscharte zwischen zwei Mauerzinnen zu, um einen Blick auf das Lager zu werfen. Als er seinen Kopf langsam höherbrachte und die Männer zwischen den Hütten erkennen konnte, verzerrte sich seine Miene zu einem Ausdruck grenzenloser Wut.
Deutlich konnte er Hasard, Smoky und Luke Morgan dastehen sehen. Dann entdeckte er auch die Gestalten von Ferris Tucker und Blakky.
„Ich hab’s gewußt“, flüsterte er entsetzt. „Hölle und Teufel, ich habe es vorausgesehen – wie Old O’Flynn, dieser verdammte Hellseher, in die Zukunft zu sehen glaubt. Wie konnte das bloß passieren?“
„Profos“, flüsterte Trench hinter seinem Rücken. „Was ist los?“
Carberry wandte sich kurz zu ihm um. Sein Gesicht sah so fürchterlich aus, daß Trench unwillkürlich zurückschreckte.
„Bereitet die Scheiß-Lunte vor, dann seht ihr, was hier gleich los ist“, zischte Carberry. „Sagt mir Bescheid, wenn sie glüht, dann will ich diese Dreckskanone selber zünden.“
„Aye, Sir“, sagte Trench.
Carberry spähte wieder auf den Platz zwischen den Hütten und der Hafenbucht hinunter, murmelte die wildesten Flüche, die er kannte, und verwünschte die Spanier bis in die hintersten Höllenschlünde. Dann aber unterbrach er sich, denn jetzt war die Stimme des Seewolfs zu vernehmen.
„Ed, Shane, Dan – verlaßt eure Deckungen!“
Fassungslos vernahm der Profos auch den Rest. „Blacky und Ferris schwer verletzt“, wiederholte er. „O Gott. Wenn sie jetzt sterben – ihr Tod darf doch nicht ungesühnt bleiben!“ Er hieb mit der Faust gegen die Zinne. „Sir, das kannst du doch nicht von uns verlangen, daß wir uns kampflos ergeben!“
„Profos“, raunte Josh Bonart ihm zu. „Die Lunte brennt jetzt.“
„Ja.“
„Sollen wir …“
„Ich hab doch gesagt, daß ich diese dreckige, krummgeschissene, spanische Kanone selbst zünden will“, fiel Carberry ihm barsch ins Wort.
Wieder schrie der Seewolf etwas vom Lagerplatz bis zum Kastell hinauf, es war die Wiederholung seiner Aufforderung, der Profos, Shane und Dan O’Flynn sollten die Waffen wegwerfen und kapitulieren.
„Gut“, sagte Carberry mit gepreßter Stimme. „Wenn du es befiehlst, Sir, dann muß ich mich beugen. Disziplin ist Disziplin, und du hast schon deine Gründe dafür, uns hier herauszulocken. Du willst nicht, daß Blacky und Ferris verrekken. Auch Smoky und Luke Morgan sollen nicht krepieren. Und du selbst sollst natürlich auch nicht ins Gras beißen, nein, das sollst du ganz gewiß nicht.“
„Profos, Sir“, raunte Trench. „Die Zündschnur brennt noch ganz herunter, wenn du dich nicht beeilst.“
„Ja doch“, brummte Carberry, nunmehr fest entschlossen. „Sir, du kannst mir alles befehlen, nur kannst du mich nicht an diesem Schuß hindern, mit dem ich Ben Brighton Bescheid geben werde, daß wir seine Hilfe brauchen. Und noch was: Dan und Shane haben deine Worte nicht gehört. Sie sind jetzt schon unten im Kerker. Wenn sie sich nicht ergeben, ist das nicht meine Schuld.“
Damit kroch er zu Trench und Josh Bonart zurück und richtete sich hinter dem Bodenstück der Culverine auf.
Er nahm den Luntenstock mit der glimmenden, knisternden Zündschnur daran aus Trenchs Hand entgegen und brachte die Lunte dem Zündkanal der Kanone nahe.
Trench und Bonart traten zur Seite.
Carberry peilte über das Rohr der Culverine und konnte die Bucht sehen, in der die Fluten jetzt über die Piers gischteten und schäumten, als wollten sie an Land springen und in die Hütten der Spanier eindringen. Wild tanzte die „San Rosario“ – Jonnys Schiff – in den Wogen. Sie zerrte so heftig an ihrer Bugankertrosse, als wollte sie sie zerreißen und sich selbständig machen.
Mit Sturmgewalt heulte der Wind über die Lichtung. Eine starke Bö bog die wenigen Palmen, die bei den Piers standen, so weit nieder, daß ihre Wipfel fast den Erdboden berührten.
Bei diesem Wind konnten Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ das Wummern eines Siebzehnpfünders vielleicht gerade noch vernehmen. Was sie vorher garantiert nicht gehört hatten, war das Krachen der Musketen und Tromblons, der Falkons und Minions im Lager der Spanier gewesen. Der auflandige Wind trug all diese Laute in den Dschungel. Daher konnte Ben, der jetzt das Kommando auf der „Isabella VIII.“ hatte, nicht wissen, was geschehen war.
Der Seewolf hatte von Morgan Young erfahren, daß auf dem Festungsbau von Airdikit Culverinen standen. Deshalb hatte er Ben in gleichsam weiser Voraussicht gesagt, er würde eine dieser Kanonen zünden, wenn etwas schiefginge.
Die Glut der Zündschnur sprang auf das Pulver im Zündkanal des Geschützes über.
„Also dann“, sagte der Profos grimmig. „Dies ist ein Salut für dich, Don Felix, du Hundesohn, mit dem ich dich zur Hölle wünsche – und wenn ich mir selbst dabei den Arsch verbrenne.“
Ranon, der Inder, kehrte auf die Kuhl der „Malipur“ zurück und wählte zwei Männer als seine Helfer aus: Calderazzo, den Sizilianer, der mit zu den drei „Altgedienten“ an Bord der Galeone zählte, und Shindaman, einen Bengalen, den René Joslin erst zu Beginn dieser Überfahrt in einem der Dörfer von Sunderbunds angeheuert hatte.
Zu dritt stiegen sie in den achteren Laderaum hinunter. Hier war der Wassereinbruch größer als in dem zweiten Frachtraum, und aus diesem Grund begannen sie hier, zwischen Ballen von Stoffen und Kisten und Fässern mit Gewürzen, die Lenzpumpen einzusetzen.
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