Mit ihm waren von dieser ursprünglichen Besatzung nur noch zwei Männer übriggeblieben, alle anderen hatten Joslin schon in den ersten Wochen nach dem Fund der Galeone wieder verlassen. Immer wieder hatte er neue Leute anheuern müssen, und bei jeder Fahrt hatte die „Malipur“ eine andere Mannschaft. Zum Teil waren es zwielichtige Gestalten, die unter seinem Kommando mitsegelten. Er hatte auf diese Kerle stets ein waches Auge.
Ranon sprach erst, als er dicht vor seinem Kapitän stand.
„Monsieur!“ rief er. „Ich war gerade in den Frachträumen!“
„Und? Ist die Ladung noch ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt?“
„Das ja, Monsieur, aber …“
„Warum, zum Teufel, machst du dann so ein entsetztes Gesicht?“
„Mon capitaine, das Wasser steht schon knöcheltief in den Laderäumen!“
„Herrgott, ich weiß auch, daß der Kahn Wasser zieht!“ brüllte Rene Joslin, während sich ein neuer Brecher auf die Galeone zuwälzte. „Nimm dir zwei Männer, mehr können wir hier oben nicht entbehren! Stellt euch an die Lenzpumpen und pumpt, so fix ihr könnt!“
Ranon klammerte sich an einem Manntau fest. Sein dunkles Gesicht war verzerrt. „Jawohl, Monsieur, aber bedenken Sie, daß wir einige Lecks haben, die …“
„… die ihr mit Segeltuch, Tauwerk und Kabelgarn stopfen könnt!“ fuhr der Franzose ihn an. „Du Narr, das sollte dir doch in Fleisch und Blut übergegangen sein!“
„Die Lecks werden immer größer!“
„Du wirst es schaffen, Ranon! Ich zahle dir und den beiden anderen eine gute Prämie, verdammt noch mal!“ Dies ging ihm nur schwer über die Lippen, aber schließlich waren es immer wieder die zusätzlichen Prämien gewesen, mit denen er Männer wie Ranon bei der Stange hatte halten können.
„Jawohl!“ rief der Inder noch, dann gossen sich die Fluten erneut über den Decks aus, und jedes weitere Wort wurde in ihrem Rauschen erstickt. Ranon glitt auf den Planken aus, stürzte der Länge nach hin, ließ sein Tau aber nicht los. Er ließ das Salzwasser über sich hinwegschießen und dachte daran, daß keine Geldprämie der Welt ihnen helfen würde, wenn die Lecks im Rumpf der „Malipur“ noch weiter aufbrachen. Gegen die Wassermassen, die dann zuerst in die Laderäume eindrangen und schnell immer höher stiegen, konnte auch die komplette Mannschaft mit den Lenzpumpen nicht ankämpfen.
Ranon fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen.
Der Seewolf gab sich einen inneren Ruck und trat auf Blacky und Ferris Tukker zu. Mochte Don Felix Maria Samaniego mit dem Degen auf ihn zuspringen, um ihn zu stoppen, mochte er sich so wild gebärden, wie er wollte, er konnte ihn jetzt nur aufhalten, wenn er seinen Männern den Befehl zum Feuern gab.
„Stehenbleiben!“ schrie der Lagerkommandant. „Keinen Schritt weiter, Killigrew!“
Hasard beachtete ihn nicht. Er war bei Blacky angelangt, kniete sich hin und beugte sich über ihn, um an seiner Brust zu horchen.
„Sir“, sagte Ferris mit stockender Stimme. „Ich weiß ganz genau, was du denkst. Aber du irrst dich, glaub es mir. Blacky – ist so schnell nicht kleinzukriegen. Dem muß man – ein viel dickeres Ding verpassen, um ihn ganz aus der Jacke zu stoßen …“
„Still, Ferris“, unterbrach Hasard ihn. „Kein Wort mehr. Es hat dich selbst schlimm genug erwischt.“
„Packt ihn!“ rief Don Felix seinen Soldaten zu. „Habt ihr immer noch nicht begriffen, daß er ein gerissener Hund ist, der jede Gelegenheit wahrnimmt, um uns hinters Licht zu führen und hereinzulegen? Paßt auf, daß er dem Kerl kein Messer aus der Kleidung zieht! Durchsucht sie alle fünf!“
„Ich spüre überhaupt keinen Schmerz, Sir“, sagte Ferris Tucker.
„Du sollst dein verdammtes Maul halten“, zischte Smoky. „Hast du’s nicht gehört, Mann?“ Es klang gröber, als beabsichtigt.
„Sir“, sagte Luke Morgan auf englisch und so leise, daß man es kaum verstehen konnte. „Ich hab wirklich noch ein Messer in meinem Stiefel stecken. Soll ich es benutzen, um diesem Bastard von einem Don an die Kehle zu springen und wenigstens ihn zu erledigen?“
„Nein, Luke. Das hat keinen Zweck“, antwortete der Seewolf. Er hielt sein Ohr immer noch gegen Blackys Brustkasten gepreßt und konnte jetzt ein schwaches Geräusch vernehmen. Ja, Blackys Herz schlug noch – schwach zwar, aber in regelmäßigen Abständen, die Gott sei Dank nicht allzuweit auseinanderlagen. Nur der Kutscher, Hasards Koch und Feldscher, hätte genau beurteilen können, wie es wirklich um den dunkelhaarigen Mann bestellt war, aber eins glaubte der Seewolf aufgrund seiner Erfahrung mit Verwundeten feststellen zu dürfen: Wenn Blacky jetzt die nötige ärztliche Hilfe erhielt, konnte er noch gerettet werden.
Hasard wollte sein Hemd in Streifen reißen, um Blacky damit wenigstens notdürftig zu verbinden. Aber zwei Soldaten traten von hinten an ihn heran, griffen nach seinen Armen und zogen ihn vom Boden hoch. Ein dritter näherte sich ihm von vorn und begann, ihn von oben bis unten mit den Händen abzutasten.
Die Soldaten untersuchten jetzt auch den bewußtlosen Blacky, Ferris Tucker – der immer noch mit erstaunlicher Zähigkeit gegen seine drohende Ohnmacht ankämpfte –, Smoky und Luke Morgan.
Hasard wandte den Kopf und blickte wütend zu Don Felix.
„Comandante!“ rief er ihm zu. „Ich versuche hier keine Tricks, ich will nur meinen Kameraden verbinden. Selbst in einem Krieg können Sie mich nicht daran hindern!“
Luke Morgan ließ sich soeben achselzuckend das Messer aus dem Stiefelschaft ziehen. Der Soldat, der es gefunden hatte, wies es Don Felix mit triumphierender Miene vor, und dieser nickte, als habe er nichts anderes erwartet, als bei jedem seiner fünf Gefangenen mindestens einen Dolch zu entdecken.
Bei Hasard, Blacky, Ferris und Smoky wurden die Soldaten trotz eifriger Suche jedoch nicht fündig.
Samaniego blickte wieder den Seewolf an. „Mein eigener Lagerarzt wird Ihren Mann versorgen, Killigrew. Wie ich sehe, haben Sie zwar einige meiner besten Offiziere und Soldaten getötet, aber den Doktor haben sie verschont.“
Hasard hatte die Hände zu Fäusten geballt, zwang sich aber, so ruhig wie möglich zu sprechen.
„Senor Comandante“, sagte er im Heulen des Windes. „Ich bitte Sie, dem Mann zu helfen. Ich ersuche Sie außerdem, auch meinem Schiffszimmermann Ferris Tucker einen Verband anlegen zu lassen.“
„Sofort, wenn Sie getan haben, was ich von Ihnen verlange!“
„Die beiden verbluten vor unseren Augen, wenn …“
„Sie verbluten nicht!“ schrie der Kommandant. „Und jetzt rufen Sie Ihren drei Männern, die noch irgendwo hier im Lager versteckt sind, gefälligst zu, sie sollen sich ergeben und mit erhobenen Händen hervortreten. Augenblicklich, Killigrew!“
Hasard zögerte. Täuschte er sich, oder hatte Don Felix in diesem Moment selbst zugegeben, daß er nicht wußte, wo Carberry, Shane und Dan O’Flynn steckten?
Wenn er und seine Leute tatsächlich nicht mitgekriegt hatten, daß die drei sich Zugang zum Palisadenlager verschafft hatten, dann hatte Don Felix einen schwerwiegenden Fehler begangen, daß er dies offen eingestand.
Sah er denn nicht den Wachtposten, der, von der Kugel des Profos getroffen, reglos vor dem Tor des Lagers lag?
Nein, er sah ihn nicht. Keiner der Spanier schien es im allgemeinen Getümmel verfolgt zu haben, wie zuerst Carberry und Big Old Shane und dann auch Dan in das Gefängnis der Kettensträflinge geschlüpft waren.
Dies war ein Trumpf, den Hasard jetzt auszuspielen verstehen mußte.
„Meine Männer werden keinen Widerstand leisten!“ rief er Don Felix zu.
„Fordern Sie sie auf, die Waffen wegzuwerfen und aus ihrer Deckung hervorzutreten!“
„Sir“, sagte Smoky plötzlich, und zwar auch auf englisch, so daß die Spanier es nicht verstehen konnten. „Wir haben doch noch die acht Geiseln an Bord der ‚Isabella‘ – die Besatzung der Pinasse. Können wir nicht Druck auf die Kerle hier ausüben, indem wir …“
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