Ehe dieser Verfallprozeß begann, mußte er Manila erreicht und sämtliches Frachtgut auf dem Markt veräußert haben – selbstverständlich als Handelsware erster Güteklasse, wobei es ihm nicht das geringste ausmachte, die spanischen und portugiesischen Senores und ihre schmuckbehängten Frauen nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen.
Als Reiseroute hatte er die Mentawaistraße ausgewählt, obwohl es eigentlich günstiger für ihn gewesen wäre, durch die nördlich von Sumatra liegende Malakkastraße zu segeln. Joslin kannte zwischen Indien und den Gewürzinseln alle Schleichwege und verkündete gern mit Stolz, daß er bislang noch nie irgendwelchen Piraten oder Strandräubern in die Hände gefallen war. Er mied diese „zweibeinigen Haie“ – so nannte er sie –, wo er konnte, und da es zur Zeit in der Straße von Malakka von malaiischen und auch weißen Freibeutern geradezu wimmelte, nahm er lieber den kleinen Umweg in Kauf, statt Ladung und Leben zu riskieren.
Die „Malipur“ segelte mit Steuerbordhalsen und über Backbordbug liegend hart am Wind. Joslin, der selbst am Kolderstock stand, hatte sich an der Nagelbank des Achterdecks festgeleint und vollbrachte eine nahezu akrobatische Leistung, indem er eisern den Kurs seines Schiffes hielt und immer wieder dem Druck der überkommenden Seen standhielt, die ihn von seinem Platz wegfegen und gegen das Schanzkleid schmettern wollten.
Weit krängte die Galeone nach Backbord, so tief, daß ihr Kuhlschanzkleid immer wieder unterschnitt. Sie rollte so heftig und aufsässig in den Fluten, daß sie Joslin und seinen Leuten wie ein bockendes Roß erschien. Es knackte und knirschte in den Verbänden, der Wind heulte in den Wanten und Pardunen, als wollte er die Masten knikken, und das Brausen des Wassers war so stark, daß es jeden über Deck schallenden Ruf übertönte.
Schiff und Mannschaft lagen schon jetzt, vor dem eigentlichen Ausbruch des Wetters, im Kampf mit den Naturgewalten. Joslin blickte durch Wolken von Gischt zu seinen fluchenden Männern hinüber, die sich an den quer über die Decks gespannten Manntauen festgebunden hatten. Er wußte, was sie dachten. Sie schickten ihn und die Ladung zum Teufel und sehnten eine geschützte Bucht herbei, in die sie verholen konnten.
Aber Joslin war unerbittlich. Er wollte keine Zeit verlieren. Der Sturm konnte Tage andauern, man konnte gerade in diesen Breiten kaum berechnen, wann er wieder aufhörte. Lag er, Joslin, mit seiner Galeone aber erst einmal in einer Bucht fest, so kam er nicht wieder hinaus, ehe Wind und Seegang es zuließen.
Nein, lieber wetterte er diesen Sturm ab.
Er war wieder einmal froh, keine Offiziere zu haben. Die Schiffsführung identifizierte sich einzig und allein mit seiner Person. Außer ihm gab es nur das gemeine Schiffsvolk von vierzehn Mann, das jeden Befehl widerspruchslos auszuführen hatte, weil er sonst hart durchgriff.
Joslin hatte schon auf hoher See aufmuckende Männer erschossen, um ein Exempel zu statuieren. Wenn es nach Meuterei roch, kannte er keine Rücksicht. Nur zu genau wußte er, was es bedeutete, wenn man sich freundlich und nachgiebig verhielt. Das brachte nichts ein. Auf dem Schiff, mit dem Joslin dereinst nach Indien gelangt war, hatte es auch eine Meuterei gegeben – und René Joslin hatte mit zu der Bande der Anstifter gehört.
Sie hatten den Kapitän und die Offiziere umgebracht, sich später über den Zeitraum von etwas mehr als einem Jahr der Piraterie verschrieben und in den indischen Küstengewässern und rund um Ceylon herum fremde Schiffe überfallen. Sie hatten geplündert und gebrandschatzt, aber viel eingebracht hatte es ihnen nicht. So hatte Joslin sich schließlich von den alten Kumpanen getrennt – in gütigem Einvernehmen, wie das seine Art war, wenn es die eigene Haut ungeschoren zu lassen galt.
Joslin hatte sich monatelang an den Küsten herumgetrieben, bis er im Mündungsdelta des Ganges schließlich auf die gestrandete Galeone gestoßen war. Ein Sturm hatte sie auf eine Sandbank geworfen, die Besatzung war ertrunken oder von herabstürzenden Rahen erschlagen worden.
Es hatte sich um ein spanisches Schiff gehandelt, aber Joslin hatte den alten Namen rasch von den Bordwänden geschabt und eine Neutaufe auf den Namen „Malipur“ vorgenommen.
Es war ihm gelungen, ein paar Inder, Bengalen und weiße Männer um sich zu sammeln, die ihm dabei geholfen hatten, die dreimastige Galeone wieder flottzukriegen und notdürftig instand zu setzen. Die meisten dieser Männer hatte er als Besatzung zu sich an Bord genommen. Dann hatte er mit seinem einzigartigen Handel begonnen und als erstes das gesamte Ganges-Delta und die Sunderbunds befahren.
Joslins Wesen war eine seltsame Mischung aus geiziger Krämerseele und genialem Geschäftsgeist. Aus diesem Gemüt und dem Gespür für „todsichere Sachen“ wußte er Kapital zu schlagen. Er reiste auf eigene Rechnung und Gefahr, kaufte seine Frachtpartien immer selbst ein und verkaufte sie dort, wo er es für richtig hielt. Verluste hatte er bei dieser Art von Kauffahrtei bislang nicht erlitten. Immerhin betrieb er das selbsterdachte Metier nun schon seit drei Jahren.
Schiffsoffiziere hätten ihm gewiß den Rang abgelaufen und getrachtet, ihn früher oder später zu übervorteilen. Deswegen verzichtete er auf sie. In einem Fall wie diesem hätten sie auch versucht, ihn davon zu überzeugen, daß es besser sei, eine Bucht anzusteuern. Sie hätten darauf bestanden, daß er es tat, weil die „Malipur“ in ihrem jammervollen Zustand einen Sturm nicht überdauern konnte.
René Joslin haßte Männer, die ihm in den Kram hineinzureden versuchten.
Er hätte auch jeden Kerl seiner Mannschaft schwer bestraft, der es gewagt hätte, die „Malipur“ einen „vergammelten Kahn“ oder gar „Seelenverkäufer“ zu nennen.
Wenn man ihm vorwerfen wollte, er setze das Leben seiner Männer leichtfertig aufs Spiel, so gab es dem doch immer eins entgegenzuhalten: Er selbst ging seiner Besatzung mit gutem Beispiel voran und riskierte Kopf und Kragen, um die Fracht ohne Aufenthalt an ihren Bestimmungsort zu bringen.
In der Pause, die zwischen dem Rauschen zweier anrollender Brecher entstand, konnte Joslin einen seiner Männer rufen hören: „Der Sturm wirft uns noch auf Legerwall!“
„Oder wir laufen auf ein Riff!“ schrie ein zweiter.
Beide standen nicht weit von ihm entfernt auf dem nassen, glitschigen Deck und hantierten an der Besanschot, mit der sie die Stellung des achteren Segels erneut korrigiert hatten.
„Ihr Narren!“ brüllte Joslin ihnen zu. „Ihr Dreckskerle, ihr dämlichen Hornochsen, ihr Angsthasen! Nichts von dem, was ihr euch ausmalt, wird geschehen!“
„Ihr Wort in Gottes Ohr, Monsieur!“ rief der erste Sprecher.
„Die Straße ist durch die Mentawai-Inseln gegen das schlimmste Sturmwüten abgesichert!“ brüllte der Franzose. „Uns kann gar nichts passieren!“
Die beiden schwiegen und versuchten, das Ende der Schot um einen Koffeynagel zu belegen. Der nächste Brecher donnerte von Steuerbord heran, sprang an der Bordwand der Galeone hoch und übergoß die Decks mit seinen Wassermassen. Joslin sah die Gestalten der beiden in dem Schwall untergehen, und unwillkürlich dachte er daran, was geschehen würde, wenn sich ihre Laufleinen von den Manntauen lösten.
Er duckte sich unter der Gewalt der orgelnden Sturmsee, preßte die Lippen zusammen, biß die Zähne fest aufeinander und hielt sich mit beiden Händen am Kolderstock fest. Als das Wasser durch die Speigatten der Backbordseite ablief, richtete er sich wieder auf.
Er atmete auf, als er die beiden Decksleute nach wie vor auf ihrem Platz an der Nagelbank des Achterdecks stehen sah.
Der Sturm nahm zu.
Immer gewaltiger kochte und toste die See, ihre schwärzlichen Wogen bäumten sich höher auf.
Joslin erkannte eine Gestalt, die unter erheblichen Schwierigkeiten den Backbordniedergang zum Achterdeck enterte und auf ihn zusteuerte. Es war Ranon, der Inder, einer seiner besten Männer, der zu der Stammbesatzung der „Malipur“ zählte und Joslins größtes Vertrauen genoß.
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