» Marscontrol , das könnte jetzt ein Weilchen dauern. Ich taste jeden Zentimeter des Portals und seiner Umgebung noch einmal ab, falls irgendwo druckempfindliche Sensoren eingebaut sein sollten. Die unbekannten Erbauer sind sicher davon ausgegangen, dass intelligente, fortschrittliche Wesen die Hinterlassenschaften ihrer Kultur dereinst entdecken werden … womöglich sind wir technisch einfach noch nicht in der Lage, da hineinzugelangen. Oder der Mechanismus ist wegen der veränderten Umwelteinflüsse kaputt gegangen. Schließlich hat es gerade in dieser Region jetzt schon mehrfach Regen gegeben, was in Millionen von Jahren vorher nie der Fall gewesen sein dürfte. LaSalle Ende .« Er klang ein wenig enttäuscht.
Zum dritten Mal öffnete der französische Raumfahrer nun bereits das kleine Türchen, hinter dem die Metallkapsel sämtliche Zeitalter überdauert hatte. Sein Instinkt behauptete nämlich hartnäckig, dass der wie auch immer geartete Schlüssel zu den Mysterien dieses fremden Volkes intelligenter Wesen genau dort verborgen liege.
Allen Überlegungen zum Trotz fühlte sich die mutmaßliche Metalllegierung des Alkovens glatt an, Tasten oder ein Touchscreen-Display gab es hier definitiv nicht. Nur die Reste einer bernsteinähnlichen Masse, die das Türchen vor der ersten Öffnung versiegelt hatte, krümelten glitzernd von den Rändern. Wahrscheinlich handelte es sich um dasselbe Material, das bis dato auch die Kapsel hermetisch verschlossen gehalten und deren Inhalt perfekt konserviert hatte.
Da! Just in jenem Moment, da er seine behandschuhten Finger von der matt glänzenden Beschichtung des Alkovens genommen hatte, war etwa für eine Sekunde ein fahles, bläuliches Leuchten wahrnehmbar gewesen. LaSalle wiederholte die Bewegung, sah dieses Mal genauer hin.
Tatsächlich! Auch wenn er das mysteriöse Phänomen vorläufig nicht einzuordnen wusste – es war zumindest irgendeine Form von Reaktion auf seine Bemühungen erfolgt! Er wiederholte denselben Bewegungsablauf sicherheitshalber noch weitere fünf Mal, um das Gesehene zu verifizieren, dann informierte er das Kontrollzentrum.
Thomas Maier fühlte sich von frischer Energie durchströmt, als säße er auf einem elektrischen Stuhl.
»Hier Marscontrol . Pierre, versuch‘ doch bitte als nächstes, ein bisschen mit dem Leuchten zu spielen, beobachte dabei genauestens das Portal. Tippe die Fläche mal mit einem Finger an, dann mit zwei … du könntest es mit Wischen oder mit stärkerem Druck versuchen … ich bin überzeugt, dass wir die AlienTechnologie knacken werden, so wahr ich mir hier den Hintern platt sitze! Marscontrol Ende .«
Sheila war mulmig zumute. »Was ist, wenn es sich bei der Ursache für das Leuchten um eine Art Stromfluss handelt und Pierre durch seine Manipulationen versehentlich die Spannung erhöht? Er könnte sterben!«
»Ich weiß … aber die Öffentlichkeit würde uns hinterher nie verzeihen können, wenn wir keinen Versuch unternommen hätten, das Portal zu öffnen. Du glaubst doch selbst nicht, dass ich unseren ehrgeizigen Raumfahrer davon abhalten könnte, da ein weiteres Mal hinzulangen, oder? Wir teilen uns die Verantwortung für diese Entscheidung als Team, Pierre und wir – und danach hoffentlich ebenso den Erfolg. Er ist sich vollumfänglich bewusst, worauf er sich da eingelassen hat.«
Vierzehn endlose Minuten später meldete sich LaSalle erneut. Seine Stimme klang erregt, er atmete schwer.
» Marscontrol , ich kann jetzt mit Gewissheit sagen, dass das diffuse Leuchten nur erscheint, wenn ich die gesamte Hand mit allen fünf Fingern auflege. Auf Druck reagiert die Fläche überhaupt nicht. Im Gegenteil – je sachter ich dorthin fasse, desto greller wird dieses Leuchten. Und jetzt kommt’s … die Oberfläche scheint in unsichtbare Sektoren aufgeteilt zu sein. Wenn ich beispielsweise vorsichtig in die rechte obere Ecke taste, leuchten feine Ritzen am Portal leicht bläulich auf, die derselben Region entsprechen.
Wahrscheinlich könnt ihr das wegen der mangelhaften Bildqualität der Übertragung von der Erde aus nicht genau erkennen, aber es handelt sich offenbar um kein massives Material aus einem Guss, sondern um einzelne, dicht zusammengefügte Türsegmente! Sie sind allesamt rechteckig, in komplizierten Mustern angeordnet. Ich führe die Tests auf Grundlage meiner Erkenntnisse nun fort und halte bis auf weiteres Funkstille, um nicht ständig unterbrechen zu müssen. LaSalle Ende .«
Nach ungefähr einer Stunde forderte Pierre LaSalle Verstärkung an, Maier stimmte zu. So machte sich sein Missionskollege Javier Molina augenblicklich auf den Weg zum Portal, ließ den Rover am bisherigen Standplatz zurück.
»Wenn das tatsächlich einzelne, rechteckig angeordnete Elemente sind, woran erinnert euch der Anblick dann?«, sinnierte Maier mit leicht zusammengekniffenen Augen. Er starrte angestrengt auf den riesigen Bildschirm vor seiner Nase, konnte jedoch beim besten Willen keine Linien in dem grobkörnigen Bildmaterial erkennen. Für ihn sah das Portal wie eine graue, uniforme Masse aus.
»Tetris?«, sprudelte es spontan aus Sheila heraus.
»Genau! Das habe ich damals als Kind bis zum Gehtnichtmehr gezockt, meine Mutter ist vor lauter Ärger über die Zeitverschwendung fast durchgedreht. Aber … wenn das eine Art außerirdisches MegaTetris sein sollte, dann müssten sich die einzelnen Elemente doch gegeneinander verschieben lassen?«, fragte der gebürtige Schotte Mike McGregor, der im Kollegenkreis zu seinem Ärger scherzhaft als der Schönling bezeichnet wurde.
Diese zutreffende Bezeichnung war seinem athletischen Körperbau, dem wallenden, dichten Blondhaar und seinen leuchtend blauen Augen geschuldet, die jede Frau ganz von selbst in ihren Bann zogen. Mike selbst war dieser Effekt indes oft unangenehm, denn mit blendend aussehenden Männern verband die Allgemeinheit nur selten ein funktionierendes Hirn – und er war nun mal ein hochintelligenter Wissenschaftler, wollte nicht als tumbes männliches Model abgestempelt, auf seinen attraktiven Körper reduziert werden. Außerdem gingen ihm die ständigen Avancen diverser Kolleginnen – und sogar eines schwulen männlichen Kollegen – mächtig auf den Geist. Er war seit drei Jahren glücklich verheiratet, verdammt noch mal!
Dr. HendrikJan Wendler, der zu seiner Linken stand, äußerte gar nichts; er war im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Der hagere Glatzkopf zuckte nur mechanisch mit den Schultern, stierte abwechselnd auf den Bildschirm und suchte in Thomas Maiers Gesicht nach Antworten. Die Option, ein von Außerirdischen hergestelltes Tor ohne rohe Gewaltanwendung öffnen zu können, überstieg wohl sein Vorstellungsvermögen. Er galt in der ESA als Mann der grauen Theorie, konnte mit gelebter Praxis wenig anfangen.
Ganz anders Thomas Maier. Nach kurzem Grübeln meinte er: »Korrekt! Seht her, ich glaube, Pierre ist ebenfalls bereits auf diesen Einfall gekommen. Er braucht Molina wahrscheinlich, um die Segmente zu verschieben, weil das nur zu zweit funktioniert. Einer bedient die Fläche und entriegelt die jeweiligen Teile, der andere schiebt sie in Position. Und wenn mich nicht alles täuscht, kennen wir sogar die richtige Anordnung …!«
Thomas Maier rollte mit dem Drehstuhl einen Meter zur Seite, wäre dabei fast über Mikes Füße gefahren. Er öffnete auf einem anderen Bildschirm jene Aufzeichnung, in welcher LaSalle beim Verlesen der KunststoffSchriftrolle zu sehen war. Zum Schluss hatte dieser das Dokument dicht vor die Kamera gehalten, so dass man die siebenfache Zeichenfolge am Ende des lateinischen Textes halbwegs erkennen konnte.
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