„Ich will das Gold!“ schrie Kapitän Seymour wie von Sinnen.
Da handelte der eiserne Carberry.
Er gab seinem Beiboot – Hasard befand sich in der anderen Jolle – einen Stoß, indem er sich mit dem Bootshaken von der Bordwand des Genuesen abdrückte, das Beiboot schwenkte an der Vorleine herum, schlug längsseits der Pinaß, Carberry sprang hinüber, wischte den Degen lässig mit dem linken Unterarm beiseite – und dann krachte ein langhergeholter Schwinger unter das Kinn Kapitän Seymours.
Das war ein Schlag!
Der Kapitän stieg wie eine langgestreckte Rakete in die Luft, beschrieb auch deren Flugbahn, überschritt den Scheitelpunkt, neigte sich wieder und stieß, Kopf voran, wie ein flüchtender Frosch ins Wasser.
Carberry streichelte andächtig die Knöchel seiner rechten Faust, drehte sich gemütlich zu den Seesoldaten und Bootsgasten um und fragte freundlich: „Noch jemand von euch Rübenschweinen, der ein Bad nehmen will?“
Keiner wollte.
Sie glotzten zu der einsam auf dem Wasser schwimmenden Perücke, die wie eine Qualle im Seegang auf und nieder schwappte, während sich die Löckchen auffieselten und lange Strähnen bildeten.
„Ed“, sagte Hasard etwas besorgt, „ich glaube, du hast ein bißchen zu hart zugelangt.“
„Klar“, sagte Carberry ungerührt, „was sein muß, muß sein. Oder meinst du, der kann nicht schwimmen?“
„Kannst du denn schwimmen, wenn du betäubt bist?“
Carberry riß die Augen auf. „Verdammt, da hast du auch wieder recht.“ Er starrte zu der Perücke, dem einzigen Requisit, das von Kapitän Seymour noch sichtbar war. Dann fluchte er lästerlich, daß es eigentlich zu weit ginge, solche „Rübenschweine“ auch noch vor dem Absaufen bewahren zu müssen – und hechtete ins Wasser.
Die Seewölfe grinsten.
Die Bootsgasten und Seesoldaten der Pinaß glotzten immer noch, offensichtlich schwer überfordert, was irgendwelche Entscheidungen betraf. Vielleicht hofften sie auch im stillen, ihr sehr ehrenwerter Kapitän möge doch tunlichst bei den Fischen bleiben, für immer und ewig. Fest stand jedenfalls, daß ihm keiner freiwillig nachgesprungen wäre, um ihn herauszuholen, denn nicht einer hatte auch nur den kleinen Finger gerührt, als der Kapitän ins Wasser flog.
Als Hasard bereits nervös wurde, tauchte Carberry auf – den Kapitän am Wickel.
Lebte er noch? Carberry schleppte ihn hinter sich her wie einen Mehlsack.
Am Dollbord der Pinaß stemmte er den Kapitän rechtshändig hoch und knurrte: „Wahrnehmen!“
Drei Bootsgasten packten zu.
Und das war der Moment, da der Kapitän wieder lebendig wurde. Er spuckte einem der drei Bootsgasten einen Strahl Wasser ins Gesicht, brüllte los, als solle er geschlachtet werden, zappelte wie ein Fisch an der Angel, rutschte den Bootsgasten wieder aus den Händen und ging erneut auf Tiefe.
Carberrys Fluchkanonade hätte eine Nonne in Ohnmacht fallen lassen. Dann baute er eine Ente, die zum Gründeln wegtaucht, und verschwand von der Wasseroberfläche. Die Bootsgäste starrten mit langen Hälsen über Bord. Blasen blubberten hoch, das Wasser geriet in Wallung.
Als Carberry zum zweiten Male auftauchte, fluchte er bereits wieder. Kapitän Seymour indessen war stumm, aber nicht vor Schreck, sondern weil Carberrys Jagdhiebe – auch unter Wasser – von ganz besonderer Güte waren.
Wiederum zum zweiten Male knurrte er sein: „Wahrnehmen!“ Und er fügte hinzu: „Jetzt reicht’s mir aber. Beim nächsten Mal könnt ihr euren lausigen Kapitän allein auffischen. Oder ihr laßt ihn absaufen, das wäre mir fast noch lieber.“
Die Bootsgasten nickten voller Verständnis und zerrten ihren triefenden Kapitän an Bord.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Perücke des Kapitäns sattsam Wasser gesogen und sackte sanft auf Tiefe. Der Kapitän würde sich in London eine neue anfertigen lassen müssen. Aber vielleicht hatte er auch eine Ersatzperücke.
Den Bootsgasten war das piepegal, aber genau wegen dieser verdammten Perücke kriegte Kapitän Seymour prompt einen Tobsuchtsanfall, als er Sekunden später in die Wirklichkeit zurückkehrte und feststellte, daß sein Kopf entblößt und die Perücke auch auf dem Wasser nicht mehr zu sichten war.
Nach seiner Logik war sie ihm geklaut worden. Sein Verdacht richtete sich zuerst auf seine Bootsgasten, dann auf die „verdammten Kerle“ der „Isabella“, im besonderen aber auch den Profos, den nun wiederum Hasard zurückpfeifen mußte. Denn Carberry war drauf und dran, zurückzuschwimmen und die Pinaß erneut zu entern, um, wie er fluchend verkündete, „diesem Rübenschwein endgültig den Hals umzudrehen.“
An dieser Stelle auf der Reede von Cadiz war das perfekte Theater im Gange, das sich von der Tragödie des zerschossenen, allmählich sterbenden genuesischen Handelsfahrers in eine Komödie gewandelt hatte, dessen Hauptdarsteller der bis zur Weißglut gereizte Profos und die lächerliche Clownsfigur des Kapitäns waren.
Dessen Energien konzentrierten sich nun allerdings wieder auf die eigentliche Ursache dieses Hickhacks. Die Erinnerung hatte sich wohl in seinem Denken durchgesetzt. Und wieder trieb ihn die Gier nach dem vermeintlichen Gold an.
Dieses Mal meinte er, besonders schlau zu sein. Er ließ die Pinaß auf die andere Seite des Siebenhundert-Tonners pullen, nachdem er den Seewölfen, Carberry und Hasard einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte. Die Seewölfe kratzte das nicht. Die vernichtenden Blicke eines Kapitäns Seymour waren nicht von jener Art, daß einem die Knie weich werden konnten.
Die Seewölfe bargen die letzten verwundeten Genuesen und pullten sie hinüber zur „Isabella“. Indessen enterte Kapitän Seymour mit den Seesoldaten das sinkende Schiff – Seymour mit Blindheit geschlagen, was den Zustand des Handelsfahrers betraf, die Seesoldaten mit zögerndem Mißtrauen und einer gesunden Portion Angst. Letzteres beruhte auf der allseits bekannten Tatsache, daß es nicht gut war, in die Strudel eines sinkenden Schiffes zu geraten.
Es kam, wie es kommen mußte.
Kaum hatten Kapitän und Seesoldaten die Kuhl des bereits stark vorlastigen Schiffes betreten, da barst in den Laderäumen irgendein Schott oder eine Querwand. Dann setzte deutlich hörbar ein Rauschen ein. Der Bug neigte sich noch mehr.
Die Seesoldaten sahen sich bleich und stumm an, entledigten sich ihrer schweren Ausrüstung – und sprangen außenbords. Das war natürlich befehlswidrig, aber sie handelten nach dem Motto: Rette sich, wer kann! Im übrigen waren sie längst zu der Ansicht gelangt, daß das Gold, von dem ihr Kapitän ein bißchen irre gefaselt hatte, wohl nur in dessen Phantasie existierte. Und wegen nichts ein sinkendes Schiff zu entern, war ja nun wirklich der Gipfel des totalen Unsinns.
Da stand nun der Kapitän Seymour, Kommandant einer schweren englischen Kriegsgaleone, ohne Perücke, ohne Degen – der ruhte jetzt zwischen Muscheln und Wassergewächsen und würde niemandem mehr wehtun – und starrte seinen entschwindenden Seesoldaten nach.
Die plumpsten einer nach dem anderen ins Wasser wie überreife Pflaumen, die vom Baum fallen, tauchten weg, schossen wieder hoch und paddelten zu der Pinaß, wo sie an Bord gezerrt wurden.
„Mir nach“, murmelte der Kapitän ziemlich sinn- und nutzlos – und sprang auch. Es war reiner Herdeninstinkt, der diese Reaktion bei ihm auslöste.
Er wurde ebenfalls aufgefischt.
Wenn die Seesoldaten gedacht hatten, jetzt würde die Toberei erneut losgehen, dann wurden sie angenehm enttäuscht. Der Kapitän sagte gar nichts, bis auf den kurzen Befehl, man möge zur „Dreadnought“ zurückpullen.
Hinter ihnen sank der Siebenhundert-Tonner.
Kapitän Seymour drehte sich nicht ein einziges Mal um. Als er frierend und mit den Zähnen klappernd über die Jacobsleiter auf sein Schiff stieg, stand die „Isabella“ unter vollen Segeln und glitt majestätisch an der „Dreadnought“ vorbei der offenen See zu.
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