Drei englische Kriegsgaleonen hatten sich um den Genuesen versammelt und schossen ihn systematisch zusammen.
Hinzugesellt hatten sich vier der kleineren englischen Kriegssegler, die aus ihren leichteren Stücken Feuer und Blei spuckten.
Und der Genuese feuerte nach allen Seiten zurück. Er kämpfte. Er wehrte sich, zerschossen, entmastet und eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen. Und immer wieder flammte es bei ihm auf – Zeichen, das noch Leben in ihm war, auch wenn es dem Ende zuneigte.
So mochten die Spartaner gekämpft haben. Oder die letzten Goten, als sie, der Sage nach, am Vesuv ihren Verzweiflungskampf gegen die anstürmenden Krieger des Narses durchfochten und Teja, Nachfolger des gefallenen Totila, tödlich verletzt den Rückzug seiner Männer deckte.
Hier gab es keinen Rückzug. Wohin auch?
Aber am zerschossenen, nach Steuerbord gekippten Besanmast wehte immer noch die Flagge Genuas, zerfetzt, durchlöchert, angesengt.
Von Westen flammte die untergehende Sonne rotes Licht über die Reede.
Seit zwei Stunden wehrte sich der genuesische Kauffahrer gegen die Engländer wie ein umstellter, verwundeter Keiler gegen die Meute der zuschnappenden Jagdhunde.
Nördlich dieser Szenerie eines Todeskampfes stand die „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew.
Noch nie hatten die Seewölfe so etwas erlebt. Und sie hatten gedacht, die barbarische Furchtbarkeit des Krieges zur See bis in die letzten Winkel kennengelernt zu haben. Aber das hier war etwas anderes. Hier spürten sie plötzlich die Anklage, die der kämpfende Genuese England entgegenschleuderte. Diese Anklage war nicht nur seine stumme Erbitterung, als einzelner gegen eine Übermacht kämpfen zu müssen. Nein, es war die Anklage, daß hier Unrecht geschah, daß ein Friedfertiger mit brutaler Gewalt zusammengeknüppelt wurde. Ja, hier ging Gewalt vor Recht.
Hier wurde Recht vergewaltigt.
Da war keiner an Bord der „Isabella“, der nicht Scham empfunden hätte. Viel war an diesem Tage geschehen, sehr viel, aber was sich hier abspielte, war eine Eskalation alles dessen, was sie von Stunde zu Stunde mehr empört hatte.
Engländer, Männer ihrer eigenen Heimat, mißachteten die ungeschriebenen Gesetze der Menschlichkeit und wußten nicht mehr zwischen Freund und Feind, zwischen Sinn und Unsinn, zwischen berechtigter kriegerischer Aktion und wilder Zerstörungswut, zwischen Hilflosen und soldatischen Käpfern zu unterscheiden.
Mit einem Wort: Diese Engländer waren zu Wegelagerern geworden.
Kapitän Sulla hatte sie „Halsabschneider“ genannt. Aber das wußten die Seewölfe nicht.
Sonst herrschte das Lachen – nachmal auch ein wildes Lachen – an Bord der „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. In den Stunden dieses Tages aber hatten sie es verlernt. Sie hätten weinen können. Ihre Gesichter hatten sich verändert – so verändert, daß sich Philip Hasard Killigrew fast betroffen fragte, ob er diese Männer wirklich kannte.
Aber ihre Mienen spiegelten ihre Erschütterung.
Und wie mochte er selbst aussehen? Seit zwei Stunden stand er nahezu unbeweglich, wie erstarrt, am Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte hinüber zu diesem ungleichen Kampf eines einzelnen gegen die Übermacht.
Und als er das dachte und versuchte, sein Gesicht zu entspannen, merkte er, wie verkrampft es war.
Nur lag die Ursache noch tiefer.
Er, Philip Hasard Killigrew, hatte dieses Massaker ausgelöst. Wie eherne Glockenschläge hallten die eigenen Worte durch seinen Kopf.
„Sir, wir haben noch zwei, drei Stunden bis zum Sonnenuntergang und sollten uns sofort die Schiffe auf der Reede vornehmen, bevor wir weitere Unternehmungen planen.“
Ja, das waren seine Worte gewesen – und der Admiral hatte sie in die furchtbare Tat umgesetzt, in eine Tat, die so nicht gemeint gewesen war.
Denn der Admiral war über alle hergefallen – nicht nur über die spanischen oder portugiesischen Ankerlieger, wie es Hasard zwar gemeint, aber nicht klar genug ausgedrückt hatte. Und er, Hasard, hatte vorausgesetzt, daß der Admiral verstanden hätte, was er empfohlen hatte.
Furchtbarer, tödlicher, konnte kein Mißverständnis sein. Und es war vor seinen Augen geschehen.
Hätte er noch eingreifen können?
Natürlich – aber dieses Mal unter Verlust der eigenen Männer und des eigenen Schiffes, das mit seiner Ladung für die Königin bestimmt war.
Dieser Philip Hasard Killigrew war ein ganzer Mann, und er ging mit sich selbst zu Gericht. Er war sein eigener Richter, und er verurteilte sich, weil er seine Worte nicht gewogen und später nicht gehandelt, sondern nur zugesehen hatte, wie das Verhängnis seinen Lauf nahm.
Das habe ich nicht gewollt – diese Entschuldigung galt für ihn nicht, und er verachtete sie, weil der Mann, der sie benutzte, damit bewies, daß er zu feige war, für die Folgen seiner Handlungsweise einzustehen. Und wenn er diese Folgen im voraus nicht bedacht hatte, dann war das ebenfalls keine Entschuldigung, sondern nichts weiter als sträfliche Dummheit.
Jeder Schuß aus den englischen Rohren verkündete den Urteilsspruch: Du bist schuldig, Philip Hasard Killigrew! Du hast Wind gesät und erntest Sturm, wie es in der Bibel steht!
Drüben auf der „Dreadnought“ des Kapitäns Seymour johlten die Kanoniere, als die Kettenkugel eines ihrer Geschütze die seitlich über die Bordwand ragende Besanstange des Siebenhundert-Tonners zerspellte und die genuesische Flagge im Wasser versank.
Sie johlten, als hätten sie einen Volltreffer gelandet und mit diesem einzigen Schuß den Gegner versenkt. Aber dieser Gegner sank noch nicht, auch wenn er bereits zum Wrack geschossen war und sein Vorschiff tiefer im Wasser lag als das Achterschiff.
Aber das Johlen schlug in Wutgeschrei um, als plötzlich zwei Männer auf dem zertrümmerten Achterdeck ganz hinten am Heck einen langen Bootshaken aufrichteten und verkeilten. Und an diesem Bootshaken entfaltete sich eine Ersatzflagge, wehte aus und zeigte, daß niemand auf diesem Wrack bereit war, sich zu ergeben.
Und wie zum Hohn auf das Johlen und das Wutgeschrei krachte eine der Messingkanonen an Bord des Handelsfahrers, spuckte ihr Eisen aus und zerhieb den Kranbalken vorn an der Steuerbordseite der „Dreadnought“, an dem der Anker waagerecht festgelascht war. Der Anker löste sich aus der Laschung, baumelte schwungvoll hin und her, zerschrammte die Bordwand – und dann rauschte die Ankertrosse aus, was nur passieren konnte, wenn sie aus Schlampigkeit nicht richtig belegt worden war. Der Anker ging wie ein Stein auf Tiefe und nahm die voll auslaufende Ankertrosse mit auf die Reise. Ihr letztes Ende flutschte wie eine geölte Schlange aus der Ankerklüse, peitschte Bruchteile von Sekunden zuckend durch die Luft und verschwand samt Anker auf Nimmerwiedersehen.
Kapitän Seymour brüllte seinen ersten Offizier an, der erste Offizier widmete die Kraft seiner Stimmbänder dem dritten Offizier, der für Vorschiff und Back zuständig war, der dritte Offizier fiel über den Bootsmann Vordeck her, der Bootsmann knallte den Headman der Ankergäste zusammen, und der Headman trat dem Sailor George Trigger in den Hintern, weil der für die Ankertrosse zuständig war. Den Tritt weitergeben, das konnte der Sailor George Trigger nicht, weil er der letzte in der Hackordnung an Bord der „Dreadnought“ war. Nach ihm gab’s nichts mehr zu treten.
Aber denken konnte der Sailor George Trigger, und er dachte voller Inbrunst; Rutscht mir doch alle den Buckel ’runter, ihr Viertel-, Halb- und Vollidioten. Denn das war seine Einteilung der Ränge an Bord der „Dreadnought“. Und der Vollidiot war Kapitän Robert Seymour.
Und wieder krachten die Stücke an Bord der englischen Kriegsgaleone, als müsse der ausgerauschte Anker gerächt werden – teuer genug war er ja samt der mehr als männerarmdikken Trosse aus geschlagenem Sisalhanf, die etwa sechsmal länger als die „Dreadnought“ war.
Читать дальше