Einer war allerdings unter den Handelsfahrern, ein siebenhundert Tonnen schwerer Brocken, der aus Genua stammte und für den Levantehandel gebaut und entsprechend armiert war. Er hatte die Heimreise antreten und nur auf günstigen Wind warten wollen. Beladen war er bis unter die Luken mit Koschenille, dem schönen, roten Farbstoff der Schildlaus, mit Kampescheholz, Häuten und Wolle für Italien.
Bei dem nach Süden tendierenden Südwestwind hatte der genuesische Kapitän es vorgezogen, sein Auslaufen noch zu verschieben. Aber seine gesamte Besatzung war an Bord – im Gegensatz zu vielen der anderen Schiffe auf Reede.
Dieser Kapitän hatte ebenfalls überlegt, ob es nicht besser sei, sich zu verziehen, als die Engländer vor der Bucht aufgetaucht und dann über Cadiz hergefallen waren. Aber er war geblieben – einmal aus der Überlegung heraus, daß Genua nicht mit England in Fehde lag und demnach als neutral zu betrachten war, und zum anderen vertrat er die persönliche Ansicht, daß es ihn weiß Gott nichts anging, wenn sich Spanier und Engländer aus welchen Gründen auch immer in die Haare gerieten.
Ihm war der eine so genehm wie der andere, und wenn Genua mit Spanien Handel trieb, dann konnte es das genausogut mit England tun, ohne daß gleich alle Welt schrie, Genua liebäugele mit der einen Seite mehr als mit der anderen.
Der Kapitän hatte nichts gegen England, und er hatte nichts gegen Spanien, allenfalls traten seiner Meinung nach die Spanier etwas zu hochnäsig auf. Und ein bißchen zu raffig waren sie wohl auch, wenn man bedachte, was sie alles aus der Neuen Welt heranschleppten. Konnte man es da den Engländern verübeln, daß sie sich ein Scheibchen von dem Kuchen abschneiden wollten? Nein, das konnte man nicht.
Kapitän Mauritio Sulla war kein Mensch mit komplizierten Gedankengängen, er hatte Verstand und Herz, und die Genueser Kaufmannschaft hatte sehr genau gewußt, wem sie den Siebenhundert-Tonner anvertraute, denn Sulla war Seemann aus Passion, und den nordafrikanischen Piraten hatte er noch immer und zu jeder Zeit die Zähne gezeigt.
Im übrigen war sein Schiff für derartige Überfälle bestens bestückt — mit je zwanzig schweren Messingkanonen auf jeder Seite. Daß der gewissenhafte Kapitän Sulla seine Männer auf den Umgang mit diesen Kanonen getrimmt hatte, versteht sich von selbst. Die algerischen Piraten wußten davon ein Liedchen zu singen, denn allemal hatten sie sich blutige Nasen geholt, wenn es sie nach diesem Brocken gelüstet hatte.
Am Vormittag dieses 29. April 1587 hatte Kapitän Sulla sein Schiff aus dem Pulk der vor Anker liegenden anderen Fahrzeuge gelöst und sich an den Außenrand der Reede verholt. Er wollte sofort lossegeln können, sobald der Wind günstiger stand. Das hatte den einfachen, seemännisch richtigen Grund, daß er es vermeiden wollte, sich bei einem drehenden Wind zwischen einer Masse hin und her schwojender Schiffe hindurchmogeln zu müssen.
Denn da war ein Gewirr der verschiedenartigsten Schiffe aus aller Herren Länder – von den Spaniern beschlagnahmte holländische Segler, Handelsschiffe aus dem Norden, Schiffe der spanischen Amerikaflotte, Handelsfrachter beladen mit edlen Sherry-Weinen, Mittelmeerschiffe wie der genuesische Siebenhundert-Tonner, Galeonen, Barken, Urcas, Karavellen, kurz ein Sammelsurium aller möglichen Typen.
Und wer aus einem solchen Pulk ankerauf ging, um auszulaufen, der mußte bei drehenden Winden verdammt aufpassen, wenn er klarfahren wollte.
Mit Gelassenheit hatte Kapitän Mauritio Sulla den englischen Überfall auf Cadiz betrachtet.
Aber dann, am späten Nachmittag, war seine Gelassenheit in Argwohn umgeschlagen. Das genau war der Zeitpunkt, als sich die Panik auszubreiten begann, weil der englische Verband plötzlich schwenkte und Kurs auf die Ankerlieger der großen Reede nahm.
Was da heranrückte, sah gar nicht gut aus, und als der Verband auseinanderfächerte und den weiten Bereich der Reede einkreiste, da ahnte Kapitän Sulla, was die Glocke geschlagen hatte. Unwillkürlich drängte sich ihm das Bild von hungrigen Wölfen auf, die um eine Schafherde ihren tödlichen Ring bilden.
Sulla verfluchte seinen Entschluß, nicht wie die anderen dicken Brokken das Weite gesucht zu haben, als die Engländer noch mit Cadiz beschäftigt waren.
Jetzt war es zu spät.
„Klar Schiff zum Gefecht!“ peitschte seine grimmige Stimme über die Decks.
Kaum hatte er das befohlen – und das gab ihm die Genugtuung, richtig zu handeln –, erschienen die ersten Mündungsfeuer vor den Rohren der englischen Schiffe, und der Kanonendonner rollte über die Reede.
Warnschüsse waren es, wie Kapitän Sulla feststellte.
Warnschüsse, um die Schafherde einzuschüchtern!
Bei den Schiffen, die am Südrand der großen Reede ankerten, sah es aus, als spucke das Wasser Fontänen hoch. Sulla kannte dieses Bild, und es war für ihn wieder genauso erregend wie vor sechzehn Jahren, als er unter Giovanni Andrea Doria, dem Führer der genuesischen Seestreitkräfte bei der Schlacht von Lepanto, an Bord der „Marquesa“ gegen die türkische Flotte gekämpft hatte.
Damals hatte er zum ersten Male die kalte Schönheit fontänengischtender Kugeleinschläge bewundert – ganz abgesehen von der erleichternden Gewißheit, daß jede Fontäne eine verschossene Kanonenkugel bedeutete, die ihr Ziel nicht erreicht hatte.
Später hatte er gelernt, wie man als Kanonier oder Stückmeister einen Gegner mittels der beobachteten Fontänen „eingabelt“, das heißt, die Weit- oder Kurzschüsse zu korrigieren und ebenso der Seite nach zu verbessern. Hinzu kam das Schießverfahren beim laufenden Gefecht, also mit dem Gegner parallel segelnden Kurs, und beim Passiergefecht, bei dem eigener und Gegnerkurs aneinander vorbeiführen.
Kapitän Sulla bewegte unruhig die breiten Schultern. Das hier war eine andere Situation, denn sein Schiff lag gewissermaßen an der Kette. Ankerauf gehen, Segel setzen und in den Atlantik steuern – dazu war es zu spät. Wenn sie es wollten, würden ihn die Engländer so oder so erwischen. Eine schwache Hoffnung flakkerte noch in ihm, daß sie seinen neutralen Status respektieren würden.
Aber unter Umständen festliegende Zielscheibe zu sein, dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht. Unter Segeln — und da war er erfahren genug – hatte man immer noch die Chance, auch einen stärkeren Gegner ausmanövrieren oder ihm davonsegeln zu können.
Aber diese Chance hatte er mit seinem Ausharren verspielt.
„Schiff ist gefechtsklar“, meldete sein erster Offizier.
Sulla nickte stumm.
„Die werden uns doch nicht angreifen“, sagte der Erste zweifelnd.
„Weiß man’s?“ Sulla zuckte mit den Schultern, kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie auf fünf Schiffen am Südrand der Reede die Flagge gestrichen wurde. „Die ergeben sich“, murmelte er, „das eine Schiff ist die französische Karavelle, die südlich von unserem Ankerplatz gelegen und Sherry übernommen hatte.“ Sulla fluchte. „Auf neutrale Schiffe nehmen die Brüder offenbar, keine Rücksicht. Oder sind die auf Sherry scharf?“
„Im Saufen waren die Engländer schon immer gut“, sagte der Erste philosophisch. Er war ein schlanker, geschmeidiger Mann namens Silvio Carlone. Seit fünf Jahren fuhr er unter dem Kommando des Kapitäns, und er hatte es noch keine Minute bereut.
Kapitän Sulla hob das Spektiv ans rechte Auge und blickte hindurch.
„Sie entern die Karavelle“, sagte er verbissen. „Keiner wehrt sich, nicht einer, auch bei den anderen Schiffen nicht. Selbst bei den spanischen Amerikaseglern haben sie die Hosen voll und die Flagge gestrichen. Dabei sind sie weitaus besser bestückt als alle anderen. Feiges Pack!“
„Und was werden wir tun?“ fragte der Erste, obwohl er die Antwort seines Kapitäns bereits kannte.
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