„Kämpfen“, sagte Kapitän Sulla lakonisch, „mir nimmt keiner mein Schiff weg.“
Silvio Carlone nickte. Mit dieser Entscheidung war er durchaus einverstanden. Denn so hatten sie es immer gehalten, und warum sollte es jetzt anders sein?
Trotzdem sagte er: „Diese vier englischen Kriegsgaleonen werden uns ganz schön zum Tanzen bringen.“
„Wir sie auch“, knurrte Kapitän Sulla und schob das Spektiv zusammen. „Die erste dreht bereits auf uns zu.“
„Sollen wir sie ins Visier nehmen?“
„Abwarten. Mal sehen, wie weit er’s treibt“ Kapitän Sulla trat ans Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte der Galeone entgegen.
Die segelte bis auf Rufweite an den Siebenhundert-Tonner heran und ging in den Wind. Die Segel wurden ins Gei gehängt.
Ein betreßter Mensch, aufgetakelt wie ein Gockel, eine Lockenperücke auf dem Kopf, stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und schrie etwas zu dem Genuesen hinüber.
Sulla grinste und brüllte zurück: „Verstehe kein Englisch!“
Der betreßte Mensch winkte einen Mann heran und redete erregt auf ihn ein.
Der nickte, trat ans Schanzkleid und rief: „Kapitän Seymour, Kommandant Ihrer Majestät Schiff ‚Dreadnought‘, fordert Name und Heimathafen ihres Schiffes!“ Er rief es in spanischer Sprache.
Kapitän Sulla rief zurück: „Bestellen Sie Ihrem Kapitän, daß er gar nichts zu fordern hätte! Wir sind Genuesen und mir ist nicht bekannt, daß sich die Republik Genua mit England im Kriegszustand befindet. Folglich sollte Ihr Kapitän die seemännische Etikette wahren. Also kann er mich um eine Auskunft bitten, zu fordern, ich wiederhole es, hat er nichts.“
Mit Genugtuung bemerkte Kapitän Sulla, daß der englische Kapitän vor Wut platzte, als ihm der Dolmetscher die Antwort übersetzt hatte.
„Silvio“, sagte er leise zu seinem Ersten, „die Kanoniere sollen unsere Stükke auf das Achterdeck des Engländers und seine Masten richten.“
Der Erste nickte verstanden und sprang zur Kuhl hinunter.
Der Dolmetscher rief: „Was haben Sie geladen?“
„Eingepökelte Kakerlaken in Erdbeer-Sauce!“ schrie Kapitän Sulla. „Und was haben Sie geladen?“
Wüstes Palaver auf dem Achterdeck der englischen Kriegsgaleone. Der Kapitän mit der Lockenperücke brüllte den Dolmetscher an, und der brüllte zurück. Offenbar schien der englische Kapitän anzunehmen, sein Dolmetscher habe verkehrt übersetzt oder wolle ihn verulken. Aber da schaltete sich ein anderer Mann ein und schien die Übersetzung des Dolmetschers zu bestätigen. Auch er wurde von dem englischen Kapitän angebrüllt – wohl etwa in dem Sinne, er sei nicht gefragt worden und habe deshalb das Maul zu halten.
Kapitän Sulla begann sich zu amüsieren.
Nach einem erregten Disput schrie der Dolmetscher: „Kapitän Seymour fordert Sie auf, die Flagge zu streichen und ein Prisenkommando an Bord kommen zu lassen!“
„Ich habe vor nordafrikanischen Piraten nicht die Flagge gestrichen, und ich werde es auch nicht vor englischen Halsabschneidern tun!“ rief Kapitän Sulla. „Ein Prisenkommando hat nichts bei mir an Bord zu suchen. Sollte es wagen, zu entern, werden wir uns zur Wehr setzen. Sagen Sie das Ihrem Kapitän. Außerdem weise ich ihn darauf hin, daß ein Angriff auf mein Schiff ein Angriff auf die Republik Genua ist! Was Sie hier auf der Reede vor Cadiz mit den Schiffen anderer Länder tun, ist übelste Piraterie. Wenn die vor Ihnen den Schwanz einziehen, ist es deren Sache. Wir Genuesen jedenfalls sind es nicht gewohnt, uns von Piraten auf der Nase herumtanzen zu lassen. Wir sind friedliche Handelsfahrer, aber unsere Friedfertigkeit hat dort ihre Grenzen, wo wir angegriffen werden. Meine Kanonen sind gefechtsklar, um Ihnen eine Breitseite zu verpassen!“
Kapitän Sulla hob das Spektiv ans Auge, um die Wirkung seiner Worte auf den englischen Kapitän besser beobachten zu können. Er sah ein schwitzendes, blasiertes Gesicht, das sich von Satz zu Satz der Übersetzung mehr verzerrte. Was für ein widerlicher Kerl, dachte der Kapitän.
Beim letzten Satz des Dolmetschers zuckte der englische Kapitän zusammen, warf einen nervösen Blick auf das genuesische Schiff und verschwand hastig hinter der Dekkung des Besanmastes.
„So ein Feigling“, murmelte Kapitän Sulla voller Verachtung. Gleichzeitig gab ihm diese Erkenntnis die Hoffnung, daß seine Worte gewirkt hatten und den Engländer zum Rückzug veranlaßten. Vielleicht war ihm dieses Eisen zu heiß, um es anzufassen, vielleicht auch befürchtete er diplomatische Verwicklungen. Aber letztlich war das alles gleichgültig, Hauptsache, sein Schiff blieb ungeschoren.
Eine Weile passierte gar nichts, dann sah Kapitän Sulla an der Flaggleine des Besanmastes drei Signalflaggen hochsteigen, deren Bedeutung ihm natürlich fremd war. Gleichzeitig hantierten Kanoniere an einem Heckgeschütz und lösten hintereinander drei Böller.
Sulla spähte über die Reede. Ein paar Minuten später wurde ihm klar, was Böller und Signalflaggen zu bedeuten hatten, denn zwei der Kriegsgaleonen nahmen Kurs auf die „Dreadnought“. Eine dritte Kriegsgaleone dümpelte auf der Süd-Reede, offensichtlich dazu abgestellt, die Aktionen auf der Reede selbst gegen eventuelle Galeerenvorstöße aus der kleinen Reede, also der Bai von Puntales, zu sichern.
Und was war mit dieser merkwürdigen Dreimastgaleone, deren schlanke Formen und niedrige Aufbauten Kapitän Sulla bereits am Vormittag aufgefallen waren? Gehörte sie zu den Engländern oder nicht? Sie hatte die angreifenden spanischen Galeeren vertrieben. Und jetzt pirschte sie um die Reede herum, als habe sie mit alledem nichts zu tun, jedenfalls beteiligte sie sich nicht an der Aktion der Engländer, die einen Ankerlieger nach dem anderen zum Streichen der Flagge zwangen und dann besetzten.
Kapitän Sulla erschien es, als überwache diese schnittige Galeone die Aktionen und Bewegungen der vier Kriegsgaleonen. Aber was sollte das?
Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder den beiden heransegelnden Kriegsgaleonen zu. Eine lief westwärts, schwenkte dann nach Norden und verbaute damit seinem Schiff einen eventuellen Durchbruch seewärts.
Die andere geite die Segel auf und glitt langsam an der „Dreadnought“ vorbei. Von Bord zu Bord brüllten sich deren Kommandanten etwas zu – herrisch der spitzbärtige Mann auf dem Achterdeck der hinzugekommenen Galeone, verstört dieser Kapitän Seymour auf der „Dreadnought“.
Kapitän Sulla blickte durchs Spektiv auf den spitzbärtigen Mann – und dann stieß er einen wilden Fluch aus, denn selbst in Genua waren Bilder dieses Mannes aufgetaucht, der nach Magellan die Welt umsegelt hatte: Francis Drake, von den Spaniern als „El Draque“ gehaßt und gefürchtet.
„Der hat mir noch gefehlt“, murmelte er und biß die Zähne zusammen.
Die Galeone Drakes setzte wieder die Segel, lief ab, schwenkte und glitt von Steuerbord achtern auf Sullas Schiff zu.
Jetzt befand er sich in der Zange.
Der Spitzbart brauchte keinen Dolmetscher. Seine Stimme war so scharf wie eine Degenklinge.
„Streichen Sie die Flagge, oder wir schießen Sie zusammen!“ schrie er.
Für einen winzigen Augenblick fragte sich Kapitän Sulla, ob er angesichts dieser Übermacht aufgeben solle. Aber dann stieg der Trotz in ihm hoch. Das Recht war auf seiner Seite. Und für sein Recht hatte man zu kämpfen, oder man war ein Hundsfott.
Silvio Carlone starrte von der Kuhl aus zu ihm hoch, sein eigentlich hübsches Gesicht war hart und kantig – und auch trotzig. Ihre Augen trafen sich, und Carlone nickte unmerklich.
Kapitän Sulla straffte die Schultern, und jetzt war seine Stimme genauso scharf wie die des spitzbärtigen Mannes. Und er rief nur zwei Worte, die ein Befehl waren.
„Feuer frei!“
Dort, wo der genuesische Kauffahrer vor Anker lag, herrschte das, was man mit Inferno bezeichnete. Man hätte es auch Hölle nennen können.
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