Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, es wurde heißer, und der Seewolf deutete an, daß sie wieder zurückkehren wollten.
Der Papalagi hatte dafür Verständnis, nur die Aualuma und vor allem die zahnlose Alte bedauerten das lebhaft, und sie taten so, als wäre es ein Abschied für immer.
„Diese Insel ist wie Gift“, sagte Hasard leise zu Dan. „Sie übt einen fast tödlichen Zauber auf alle Fremden aus. Ich werde später alle Mühe haben, die Höllenhunde wieder an die Kette zu legen. Der Reiz der Verlokkung ist einfach zu groß.“
„Solche Giftstoffe liebe ich“, sagte Dan unbekümmert. „Die gehen ins Blut, Sir.“
„Bei dir fängt es schon an zu wirken“, sagte Hasard. „Deine Augen leuchten wie das Wasser in der Lagune.“
„Das hast du aber nett gesagt, Sir.“
„Ach, quatsch nicht“, sagte Hasard grob.
Sie verabschiedeten sich von dem Papalagi, den Aualuma, den jungen Burschen und den älteren Frauen und mußten jedem einzelnen die Hand geben.
Der Papalagi erinnerte sie noch einmal an ihr Versprechen und gab zu verstehen, daß das Fest ausschließlich zu ihren Ehren stattfände.
Dann schickte er einen jungen Burschen als Begleiter mit, der ihnen den kürzesten Weg weisen würde.
Hinter ihnen blieb die Gruppe der Polynesier zurück. Immer wenn sie sich umdrehten, wippten die Aualuma kichernd mit den Brüsten.
Ihr junger Begleiter lachte laut. Überhaupt schienen diese Leute oft und gern und aus den nichtigsten Anlässen zu lachen oder sich zu freuen, das lag ihnen einfach im Blut und entsprach genau ihrer Mentalität.
Unterwegs plapperte der Bursche munter drauflos, obwohl keiner ein Wort verstand. Aber er war schon zufrieden, wenn sie nickten oder zu ihm etwas in ihrer Sprache sagten. Das Messer, das er im Bund stecken hatte, trug er mit Stolz, holte es alle Augenblicke hervor und betrachtete es eingehend und voller Besitzerstolz.
Er zeigte ihnen eine Abkürzung, einen Weg, den sie nicht gesehen hatten, weil er verborgen war.
Von da an dauerte es nur noch eine halbe Stunde, bis sie wieder am Strand waren.
Der Bursche palaverte noch einmal und verschwand dann. Durch Gesten deutete er an, daß die anderen bald nachfolgen würden.
Von Bord der „Isabella“ aus hatte man sie längst entdeckt, und Carberry war schon unterwegs, um sie abzuholen.
„Wir sahen den Insulaner“, berichtete er. „Demnach habt ihr sie also doch gefunden. Na ja, das war sicher nicht sehr schwierig, denn die Insel ist ja nicht so groß.“
„Hast du eine Ahnung, Ed“, sagte Hasard. „Die Insel ist zehnmal größer, als du sie dir vorstellst. Dort wechseln menschenleere Täler mit riesigen Bergstökken und tiefen Schluchten. Ich hatte sie mir nicht annähernd halb so verwirrend vorgestellt.“
„Was ist denn mit dir los?“ fragte der Profos den immer noch in der Erinnerung grinsenden Dan O’Flynn.
An seiner Stelle antwortete Hasard.
„Er hat ein paar barbusige Mädchen gesehen, und nun ist er ganz aus dem Häuschen. Vielleicht freut er sich auch auf das Strandfest, das heute abend uns zu Ehren stattfinden soll.“
Der Profos pfiff durch die Zähne und ließ die Riemen sinken.
„Strandfest?“ fragte er gedehnt. „Etwa auch mit barbusigen Mädchen? Mann, das haut ja den …“
„Weiterpullen!“ sagte Hasard.
„Verzeihung, Sir!“ Ed legte sich wieder in die Riemen, aber sein Blick war jetzt schon verklärt, und der Seewolf seufzte tief.
„Das kann ja heiter werden“, meinte er ergeben. „Aber das eine sage ich euch jetzt schon. Daß ihr mir ja keine Schlägerei anfangt!“
„Darauf hast du natürlich mein Wort, Sir“, sagte Ed laut. „Das verspreche ich hiermit feierlich. Wir werden mit keiner barbusigen Insulanerin eine Schlägerei anfangen. Selbst wenn sie uns angreifen, nicht“, setzte er verträumt hinzu.
„Jetzt ist die Krankheit endgültig ausgebrochen“, sagte der Seewolf. „Genau das habe ich befürchtet. Aber bevor das Strandfest heute abend beginnt, wird die ‚Isabella‘ noch einmal auf Vordermann gebracht. Sie muß vor Sauberkeit blitzen.“
„Auch das verspreche ich!“ schrie der Profos.
Er hätte vermutlich alles versprochen, dachte Hasard resigniert.
Dann enterten sie auf, neugierig angestarrt von den Seewölfen, die auf den Bericht warteten.
Siri-Tong gab die notwendigen Erklärungen ab, weil Hasard das infame Grinsen der Kerle kaum noch ertragen konnte. Siri-Tong tat es knapp und präzise, beinahe nüchtern, und jeder verherrlichende Überschwang war dem Seewolf gerade recht.
Die Freude war riesengroß. Dann wurde Dan bestürmt, und der schmückte seinen Bericht wesentlich farbiger aus, bis den Kerlen das Wasser auf der Zunge stand.
Nur der alte O’Flynn tat leicht entrüstet und spielte den Moralapostel.
„Zu meiner Zeit hat’s das nicht gegeben, barbusige Mädchen“ sagte er nachdrücklich.
Carberry warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Du bist ja auch bloß in der Ostsee rumgegurkt“, sagte er, „und auf den Inseln hatten die Frauen zu deiner Zeit sowieso keine Brüste, und wenn sie welche hatten, dann versteckten sie sie, weil es zu kalt war. Deshalb haben sie dich auch mit der Flasche aufgezogen …“
„Was bin ich?“ schrie der Alte empört. „In der Ostsee rumgegurkt? Du narbiger Stint hast doch selbst die ‚Empress of Sea‘ damals bei Ceylonia gesehen.“
„Klar, bloß warst du im Indischen Ozean nicht mehr an Bord“, sagte der Profos. „Deine ‚Empress of Sea‘, oder wie der alten Kasten hieß, war da schon halb verfault.“
O’Flynn zuckte zusammen. Dieses „oder wie der alte Kasten hieß“ löste bei ihm jedesmal Herzkrämpfe aus. Tausendmal hatte er diesen verlausten Plattfischen schon erklärt, daß das Schiff „Empress of Sea“ hieß und nicht anders, daß es der beste, schnellste und prächtigste Segler der Welt war, die Mannschaft ein Vorbild an Mustergültigkeit, und sie hatten immer reichlich Geld in den Taschen und soviel Rum, wie sie wollten. Von dem hervorragenden Essen, das nicht einmal Königen serviert wurde, ganz zu schweigen.
Und da hatten diese Kanalratten den Namen immer noch nicht behalten. Das war einfach unglaublich.
„Du nimmst an dem unsittlichen Strandfest jedenfalls nicht teil“, sagte O’Flynn zu seinem Sohn Dan. „Du bleibst an Bord und paßt auf die Zwillinge auf!“
„Hör mal zu, Väterchen!“ brüllte Dan zurück. „Wenn bei dir die Segel killen, dann bring dich wieder in den Wind! Und wenn du dich auf dein Holzbein stellst, ich gehe zu dem Fest, und davon werden mich zehn ausgewachsene O’Flynns nicht abhalten.“
Die anderen rieben sich erwartungsvoll die Hände. Der Streit zwischen dem alten und dem jungen O’Flynn artete mitunter etwas aus, aber am Ende verzog sich der Alte meist grummelnd, und eine Stunde später war alles vergessen. Vater und Sohn warfen sich Worte an den Kopf, und danach waren sie wieder ein Herz und eine Seele, denn mitunter vergaß der Alte ganz, daß sein Sohn längst erwachsen war und auf sich selbst aufpaßte.
„Du gehst nicht“, wiederholte er mit Grabesstimme.
„Ich gehe doch!“
„Du wirst dich versündigen!“ drohte der Alte.
„Klar, tue ich gern.“
„Hat die Welt schon einen so undankbaren Lausebengel gesehen!“ schimpfte der Alte, aber er erntete von den Seewölfen nur lautes Gelächter.
Beleidigt drehte er sich um, drohte noch einmal mit der Faust und schrie erbost: „Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen, mein Sohn!“
„Für mich schon, Daddy!“ brüllte Dan zurück.
Damit war der Disput auch schon beendet, noch ehe er richtig begonnen hatte.
Doch am Niedergang blieb der Alte noch einmal stehen und warf Dan einen galligen Blick zu.
„Beruhige dich wieder, Donegal“, sagte der Profos. „Früher sind nur Eunuchen zur See gefahren, heute sieht das anders aus.“
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