Ferris und Dan hatten wieder die Riemen gepackt und halfen mit, das Boot durch die wogende Brandung zu befördern.
„Die Flasche“, sagte Dan O’Flynn. „Sie ist mitten zwischen ihnen gelandet und rollt über den Strand.“
„Sie geht gleich hoch“, sagte Ferris Tucker mit einem Ausdruck der Genugtuung auf den Zügen. „Geschieht ihnen recht, diesen elenden Hunden.“
„Was sagt ihr?“ brüllte der Profos.
„Die Flasche fliegt ihnen gleich um die Ohren!“ schrie der Zimmermann der „Isabella“.
„Das will ich aber auch hoffen!“ brüllte Ed Carberry. „Wenn nicht, helfe ich dir auf die Sprünge, du verdammter alter Holzwurm!“
Verblüfft blickten die Piraten auf die Flasche aus grünlichem Glas, die mitten zwischen ihnen auf den Sand gefallen war und jetzt allmählich ausrollte. Sie blieb dicht vor den nackten Füßen eines glatzköpfigen Bretonen liegen, der sich verwundert darüberbeugte und nicht wußte, was er von der Sache halten sollte.
„Verdammt!“ rief Marcel. „Die Flasche hat eine Lunte!“
„Die Lunte brennt!“ sagte der Bretone.
„Tretet die Glut aus!“ brüllte Marcel. „Los, schnell!“
„Nein!“ schrie Louis. „Laßt die Finger von dem Ding! Lauft lieber weg, los, nichts wie weg!“
Sie standen da und blickten sich untereinander unschlüssig an. Marcel bückte sich schließlich mit einem Fluch nach der Flasche, hob sie auf und schickte sich an, sie zur Jolle zurückzuschleudern. Die Lunte ließ sich jetzt nicht mehr löschen, sie war schon bis durch den Korken hindurch ins Innere der Flasche abgebrannt.
Louis drehte sich um und begann zu laufen.
Die meisten anderen folgten sofort seinem Beispiel und glaubten zu wissen, was jetzt passierte. Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und Marcel zu legen. Nur der Bretone stand immer noch wie angewurzelt auf seinem Platz und beobachtete entgeistert, was Marcel tat.
Marcel hatte die Flasche hoch über den Kopf gehoben.
Er wollte seine Hand vorschnellen lassen, um die Flasche zur Jolle zurückzubefördern, aber die Zeit reichte nicht mehr aus, sie war abgelaufen. Mit einem grellen Feuerblitz zerplatzte die Bombe in Marcels Hand.
Marcel sah noch das grelle Licht und hörte das Donnern der Explosion, aber dann versagten seine Sinne. Nur eine heiße Welle fühlte er noch durch seinen Körper rasen, und der Himmel, der sich blutrot färbte, schien auf ihn niederzustürzen.
Der Bretone fühlte sich hochgehoben und von einem glühenden Sturm mitgerissen, weit weg, über die See hinaus und dann in einen schwarzen Strudel, der direkt ins Jenseits führte und mit seiner Finsternis alles auslöschte.
Louis stoppte abrupt und blickte über die Schulter zurück. Er sah alles bis ins Detail, und ein kehliger Laut löste sich von seinen Lippen. Marcel und der Bretone waren durch die Explosion der Flasche zerfetzt worden, die anderen sieben Piraten hatten sich auf den Strand geworfen und schienen unverletzt zu sein.
Die Druckwelle wehte heran und warf auch Louis aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und torkelte benommen und verwirrt auf das Dickicht zu. Er wankte zwischen die Büsche, ziellos, und wußte nicht mehr, was er tun sollte.
Wer seid ihr Teufel, fragte er sich, wer nur, wer? Was ist los, was geht hier vor?
Marcel und der Bretone hatten nicht einmal mehr einen Schrei ausgestoßen, so schnell war alles gegangen.
Teufel, dachte Louis, die Hölle hat euch ausgespuckt. Schwarzhaariger Bastard, wer bist du?
„Ich – werde dich töten“, keuchte er.
Dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Er war mit seinen bloßen Füßen gegen die Beine eines Mannes gestoßen. Er schaute in die blicklosen, gebrochenen Augen und erkannte Jean, den Kumpan, der mit Luc zusammen das Pfahldorf und die Bucht bewacht hatte – für den Fall, daß die flüchtigen Insulaner mit der Absicht zurückkehrten, eins oder mehrere Auslegerboote flottzumachen.
„Jean“, würgte Louis entsetzt hervor.
Übelkeit stieg in ihm auf, er fühlte seine Knie weich werden. Ein Tosen war mit einemmal in seinen Ohren, ihm wurde schwindlig. Er sank auf die Knie und stammelte Unverständliches.
Dann war es vorbei. Er konnte sich wieder erheben, hatte sich gefaßt, konnte das Dickicht verlassen und zu seinen Männern zurückkehren. Er trat vor sie hin und sagte: „Verscharrt das, was von Marcel und dem Bretonen übriggeblieben ist. Hier im Gebüsch liegt Jean. Sie haben auch ihn umgebracht. Hebt eine Grube aus, wir vergraben auch seinen Leichnam.“
Er blickte zu der Jolle, die jetzt durch die stärkste Brandung hindurch war und zügig auf die Dreimast-Galeone zuhielt. „Hunde“, sagte er. „Das werdet ihr mir büßen. Und wenn es mich selbst den Kopf kostet – das zahle ich euch heim.“
Der Seewolf sah Shane, seinen väterlichen Freund, an. So kalkig weiß im Gesicht war Shane noch nie gewesen, und auch aus der Art, wie er die Lippen zusammengepreßt hatte, ließ sich schließen, daß es alles andere als gut um ihn bestellt war. Dennoch pullte er weiter.
„Shane“, sagte Hasard. „Du solltest dich jetzt nicht mehr anstrengen. Hör mit dem Pullen auf. Wir sind sowieso gleich da.“
Big Old Shane grinste matt. „Sir – der Teufel soll mich holen, wenn ich mich von so einem kleinen Kratzer gleich umhauen lasse. Ho, ich bin doch kein Milchbart, der sich von dem ersten Ding, das er verpaßt kriegt, gleich aus den Stiefeln schmeißen läßt. Wo kämen wir denn da hin?“
Alewa hatte geistesgegenwärtig gehandelt und Shanes linken Arm so gut wie irgend möglich abgebunden. Sie kauerte immer noch bei dem graubärtigen Riesen, hielt ihr Gesicht aber dem Seewolf zugewandt. Hasard konnte aus ihrer Miene lesen, daß sie sehr besorgt um das alte Rauhbein war.
Dan O’Flynn sagte: „Der eine Bursche hier kommt gerade zu sich. Soll ich ihm noch eins überziehen, damit er sich wieder schlafen legt?“
„Nein, nicht nötig. Er wird schon nicht über Bord springen. Und gefährlich werden kann er uns auch nicht“, erwiderte der Seewolf.
Er blickte zu dem Piraten – es war Luc, der Bärtige – und verfolgte, wie dieser, zwischen Dans und Ferris’ Ducht liegend, die Augen aufschlug und verwirrt um sich schaute. Ehe er irgend etwas unternehmen konnte, sagte Hasard auf französisch: „Keine Dummheiten, Mann! Du bist unser Gefangener.“
Luc musterte ihn aus schmalen, haßlodernden Augen. Er war zwar an den Händen und den Füßen gefesselt, aber um sich treten konnte er immer noch. Hasard richtete vorsichtshalber die Reiterpistole auf ihn. Die war zwar leer geschossen, aber das konnte Luc nicht wissen.
„Hör mal, Sir“, sagte der Profos nach einem verächtlichen Blick auf den Gefangenen. „Wir haben doch diese beiden Geiseln hier. Wenn wir den Piraten auf der Insel damit drohen, daß wir die zwei ersäufen, können wir sie doch erpressen, oder?“
„Und sie zwingen, Hawaii zu verlassen, meinst du?“
„Genau das.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Darauf lassen sich die Kerle niemals ein. Und so, wie ich diesen Louis einschätze, wird er sogar das Leben von Luc und Richard bereitwillig aufs Spiel setzen, wenn er uns bloß eins auswischen kann. Was die Flaschenbombe eben angerichtet hat, wird der Kerl uns nie vergessen.“
„Verdammt“, stieß Ferris Tucker hervor. „Und das, was sie Shane angetan haben, werden wir diesen Hurensöhnen auch nicht vergessen. Außerdem wären wir alle verreckt, wenn Jean und Luc, die Heckenschützen, mehr Glück mit ihrem Überfall auf uns gehabt hätten. Ja, und darum meine ich, daß es nur einen Weg gibt, diesen Piraten eine zünftige Lektion zu erteilen.“ Er wies mit dem Daumen über seine Schulter auf die „Isabella“.
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