„Und der Abfluss in der Spüle ist wohl verstopft ...“
Ich drehte mich um. Auf der Arbeitsfläche und um den Wasserhahn herum klebte eine Ladung Schaum.
„Ach das. Ich musste die Gläser von Hand spülen, weil es hier keine Spülmaschine gibt“, gestand ich. Und wer hätte gedacht, dass man Spülmittel sparsam dosieren muss.
Nun erwachte Clarissa aus ihrer Schockstarre. Sie stand auf und tippelte neugierig durch sämtliche Zimmer. Ich setzte mich und schenkte mir den letzten Rest Sekt ein, der vom Vorabend noch übrig war.
„Was ist denn mit deinem Shirt passiert? Mein Gott, ist das nicht von Joop?!“
Sie hatte wohl das entdeckt, was bis vor einer Stunde noch ein traumhaftes T-Shirt gewesen war. So langsam fühlte ich mich wie eine Totalversagerin.
„Ja ... ich musste es waschen, weil mir eine Katze draufgekotzt hat. Aber ich kenn mich mit dieser Waschmaschine nicht aus.“
Roxy schlenderte zu Clarissa ins Bad, wo sie zu zweit die Uraltwaschmaschine begutachteten.
„Wie hast du die eingestellt?“, fragte Clarissa.
„Keine Ahnung. Ich hab dieses Ding auf Kurzwaschen gestellt und ordentlich Waschmittel mit reingegeben.“
„Auweia ... ähm ... dir ist nicht zufällig aufgefallen, dass die Temperatur auf 95 Grad eingestellt war?“
Doch, es war mir aufgefallen. Gleich, nachdem ich das ruinierte Shirt aus der Maschine genommen hatte.
„Ja ja, schon recht, ich hab keine Ahnung von Hausarbeit. Jetzt kommt wieder rüber, ich muss mit euch reden.“
„Du brauchst Geld“, sagte Clarissa, noch bevor sie wieder am Tisch saß.
„Das ist es nicht.“
Sie runzelte die Stirn. „Hör zu, es braucht dir nicht peinlich zu sein. So kann ja kein Mensch leben. Also: Wie viel brauchst du?“ Sie zückte ihr Handy, öffnete rasch die Notizbuchfunktion und sah mich erwartungsvoll an.
„Nein, aber danke. Ich will meinem alten Herrn beweisen, dass ich es selbst schaffe.“
„Bist du sicher? Hey, von mir erfährt er nichts.“
„Ich bin sicher.“
„Und wie willst du Geld auftreiben?“, fragte Roxy, die mit überkreuzten Beinen auf der Couch lümmelte.
„Ich hab mal bei Franco angeklopft, ob er wieder einen Modeljob für mich hätte.“
„Franco! Der bekommt doch schon lange keine Aufträge mehr, viel zu unzuverlässig.“ Clarissa verdrehte die Augen. Da sie alles, aber wirklich alles sofort durchschaute, musste ich ihr wohl gestehen, was ich vorhatte.
„Ich hab ein bisschen ausgemistet und werd ein paar Sachen verkaufen.“
„Oh.“
„Ich stell einfach ein paar von meinen alten Klamotten bei eBay ein. Die Sachen sind wie neu und waren nicht gerade billig, dafür bekomm ich locker noch zwei Drittel vom Kaufpreis.“
Obwohl ich vorhin keine Armani-Röcke bei eBay entdecken konnte, die meinen Preisvorstellungen entsprachen. Die Leute wussten einfach nicht, was ihr Zeug wert war. Einige stellten das tatsächlich für einen Euro Startpreis ein, damit es dann für zehn Euro verkauft wurde. Das Risiko wollte ich nicht eingehen, bei mir gäbe es nur Sofortkauf. Meine Sachen waren echte Designerstücke, keine schlechten Imitate aus der Türkei oder von sonstwo, die würden mir die Frauen aus den Händen reißen.
Clarissa wirkte nicht recht überzeugt von meiner Idee. „Braucht man dafür nicht gute Fotos? Ich habe noch nie was bei dieser Plattform für Arme – entschuldige – bei diesem Auktionshaus gekauft. Aber ich habe mal gelesen, dass hochwertige Fotos wichtig sind, wenn man etwas verkaufen möchte.“
„Ach, ich zieh die Sachen einfach an und mach mit dem Handy ein paar Fotos vor dem Spiegel. Dann sieht man gleich, wie die Klamotten an einem Top-Körper wirken.“
Meine Ansage rief nicht gerade Begeisterung bei meinen Freundinnen hervor. Clarissa zuckte mit den Schultern und Roxy beschäftigte sich mit ihrem Handy. Ab und zu lachte sie oder kommentierte eine WhatsApp-Nachricht.
„Wo ist am Wochenende was los?“, wechselte ich das Thema. „Ich hätte Lust auf eine Party.“
Bei meiner Frage rutschte Clarissa unruhig auf ihrem Stuhl herum.
„Also, ich bin zu einer Fashionshow in Hongkong eingeladen“, sagte sie leise.
Fashionshow ... Und ich konnte mir weder den Flug noch ein Hotel leisten. Das war noch nie vorgekommen, und ich merkte ihr an, dass sie diese Situation als ebenso beschämend empfand wie ich.
„Okay“, sagte ich knapp.
„Hey, du kannst mit mir mitkommen“, rief Roxy fröhlich. „Ich bin morgen bei einem Konzert und soll danach auf die After-Show-Party, da gibt`s haufenweise Essen und Alkohol, alles gratis.“
Ich dachte darüber nach, wie tief ich eigentlich gesunken war. Auf jeden Fall nicht so tief, um auf eine Veranstaltung zu gehen, nur weil es dort etwas umsonst gab.
Ich überging ihren Vorschlag, murmelte etwas von, „Ich föhn mir mal die Haare“, und verzog mich ins Bad. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugeknallt, kämpfte ich mit den Tränen. Was war nur mit mir los? Ich hatte seit zwei Jahren nicht mehr geweint.
Reiß dich zusammen, Lucille! Das ist nur eine Phase, die kannst du später mal in deiner Biografie einbauen. In ein paar Wochen lachst du darüber, jetzt komm schon!
Ich biss mir auf die Lippen, schluckte die Tränen hinunter und kümmerte mich um meine Haare. Als ich mich stark genug fühlte, meinen Freundinnen wieder unter die Augen zu treten, sah ich sie an der offenen Wohnungstür stehen. Sie lachten, Clarissa strich sich lasziv eine Haarsträhne hinter das Ohr und Roxy lehnte am Türrahmen.
„Ah, da ist sie ja“, sagte Roxy in meine Richtung. Als ich auf sie zuging, erkannte ich, was die beiden zum Strahlen brachte. Alex stand draußen, in einem engen T-Shirt und mit einer Flasche Sekt in der Hand. Ich musste meine Freundinnen von der Tür wegschieben, damit ich durchkam. Eifersucht hatte ich lange nicht mehr gefühlt, vor allem nicht auf meine beiden Mädels. Ob es an Alex lag oder an meinen momentan sensiblen Nerven, konnte ich nicht sagen. Ich wusste nur, dass sich in mir ein Raubtier regte, und dieser innere Tiger mochte es ganz und gar nicht, wenn sich noch andere Raubkatzen in der Nähe seiner Beute befanden.
„Hi, ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Ich hab dir was zum Einstand mitgebracht“, sagte Alex.
„Danke!“ Ich bemühte mich um Coolness, was nicht einfach war. In seiner Gegenwart zog es mir automatisch die Mundwinkel nach oben und ich fühlte mich wie elektrisiert. Ich hätte Alex gerne hereingebeten, damit wir den Sekt zusammen trinken könnten. Das wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, ihn kennenzulernen. Aber alleine, ohne die beiden Hyänen neben mir.
„Sehen wir uns nächste Woche im Tierheim?“, fragte ich unschuldig.
„Ich werd erst am Donnerstag wieder da sein. Hast du ein Auto?“
„Eines?“, sagte ich schmunzelnd, bei dem Gedanken an den Fuhrpark zu Hause. „Normalerweise schon, aber ich hab im Moment keinen Führerschein.“
„Das kann vorkommen. Ein Kumpel von mir hat seinen vor einem Jahr verloren. Ich bin Donnerstag Nachmittag im Hundehaus. Wenn du willst, kann ich dich danach mit zurücknehmen.“
„Ja gerne.“
„Gut, dann ... wir sehen uns.“
Die Tür war noch nicht mal ins Schloss gefallen, da überschlugen sich meine Mädels vor Begeisterung.
„Wow, wo hast denn den gefunden?“
„Das ist vielleicht ein Sahnestückchen! Weißt du, ob er Single ist?“
„Er wohnt unter mir.“
„Wieso hast du ihn nicht reingebeten?“, fragte Clarissa. Ich knurrte innerlich, denn dieses Glitzern in ihren Augen gefiel mir nicht.
„Damit ihr beiden gleich über ihn herfallt?“
„Na hör mal, das ist ein Supermodel. Und diese Augen ... hui.“
„Ja, aber da er in dieser Hütte wohnt, fährt er bestimmt keinen Sportwagen“, sagte ich kühl.
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