Ben ließ das makabre Memento in seinen Sammelbeutel fallen. Gefühlsdichte Schottenverschlüsse, die in seinem Inneren für einen Moment aufgestemmt worden waren, schlugen wieder zu. Zurück an die Arbeit.
Als Erstes war die Leiche aus dem Weg zu räumen. Ben löste den Spanngurt, der den Fuß mit dem Boot verband. In dem Moment streifte er gegen etwas Schweres in der Jackentasche. Er öffnete die Tasche. Ein amerikanischer Aal von einem halben Meter Länge wand sich heraus und schlüpfte in die Finsternis.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Tasche nicht noch weiteren Meereskreaturen als Schlupfwinkel diente, griff Ben hinein und zog einen Goldbarren hervor. Er leuchtete im Wasser auf, als ihn der Lichtkegel traf. Ben drehte sich um und legte ihn in die nächste Gemüsekiste. Als er sich wieder umwandte, war die Leiche verschwunden. Sie war weg, wie ein Phantom. Ben leuchtete mit der Lampe im Kreis herum. Nichts als Schlick.
Dann richtete er die Lampe nach oben. Wie eine Unterwasserauferweckung trieb Bens Vater zur Oberfläche, nun nur noch körperlose Hosen, die im trüben Wasser über ihm entschwanden. Ben streckte sich, griff nach einem Schuh und zerrte ihn nach unten. Der verweste Fuß löste sich am Knöchel. Schuh und Fuß blieben in seiner Hand zurück.
Er schnappte sich ein Hosenbein und zog die Leiche behutsam nach unten. Es war, als würde er einen grausigen Heliumballon hüten. Ben entfernte die Plane von der Ladung und wickelte die Leiche zusammen mit dem losen Fuß darin ein. Dann band er mehrere Meter des Spanngurts um das improvisierte Leichentuch und befestigte das gesamte Paket am Bug der Nantucket Lance. Es war ein hastiges Stück Arbeit. Er zerrte ein paar Mal daran, um sich zu vergewissern, dass die Leiche vorerst gesichert war.
Auf dem Wrack stehend ergriff Ben eine der Metallkisten und versuchte, sie in eine Gemüsekiste zu hieven. Das Ding rührte sich kaum. Er strengte sich an. Bandscheiben wurden zu Marmelade zerquetscht. Mit aller Kraft schob er eine Box nach und nach vom Stapel herunter. Sie fiel in Zeitlupe krachend auf das Deck. Eine erledigt, neunzehn übrig.
Es dauerte zwei Stunden. Ben lud die Kisten in die fünf angeleinten Gemüsekisten. Dann tauchte er auf und half Knocker Ellis, sie an Bord zu hieven. Sie stellten die Kisten an Miss Dotsys Kiel entlang auf, um den Trimm zu halten. Sie wiederholten den Vorgang noch viermal, während sich das Wetter verschlechterte. Miss Dotsy saß aufgrund des zusätzlichen Gewichts tief in den Wellen. Ben war ausgelaugt, fast ausgelöscht von der Kälte. Knocker Ellis reichte ihm auf dem Luftkompressormotor erwärmte Lappen. Ben stopfte sie in seine Achseln und um seine Leiste, um seinen eisigen Rumpf zu wärmen. Ein verdammt langer Tag in nordischen Gewässern.
Ellis nahm die Schlüssel von seinem Hals. »Sehen wir mal, was wir da haben.«
Er suchte eine Kiste aus und machte sich daran, den richtigen Schlüssel zu finden. Ben kroch auf dem wankenden Deck näher. Das Schloss knackte. Ben legte seine Hand auf den Deckel, zögerte aber.
Ellis wurde ungeduldig. »Das ist nicht die Zeit für lange Ansprachen.«
Ben sah Ellis an und entgegnete: »Ich will das nicht bestreiten, aber ich denke, das wird dich die Welt mit anderen Augen sehen lassen.« Dann hob er den wasserdichten Deckel.
Enttäuschung vermischte sich mit Verwirrung auf ihren Gesichtern, als sie in die Metallkiste starrten. Sie war nicht mit Gold gefüllt. Da war eine Art von Schalttafel mit Tasten, Anzeigen und einer kleinen Vertiefung so groß wie ein Vierteldollar.
Zuerst war es den beiden müden Männern ein absolutes Rätsel. Das Gerät schien recht einfach aufgebaut zu sein. Ben bemerkte die Schriftzeichen. Zierliche Schlangenlinien, die die Tasten und Anzeigen kennzeichneten. Nicht Englisch. Durch seine Zeit im Golf erkannte er es als Arabisch, hatte aber keine Ahnung, was da stand.
Die Kiste piepte dreimal. Laut genug, dass sie sich nach vorbeischippernden Seeleuten umsahen, die das vielleicht hören konnten. Eine Digitalanzeige leuchtete auf und zeigte auf einem kleinen Schirm, der nicht größer als ein Reisewecker war, 24:00:00 an. Die Ziffern schalteten auf 23:59:59 um und zählten Sekunde für Sekunde runter.
Ben murmelte: »Ups.«
Knocker Ellis schüttelte den Kopf. »Was in Gottes Namen hast du getan?«
Ben untersuchte die internen Scharniere der Kiste. »Auslöser. Die Kiste geht auf und es geht an. Vielleicht geht es wieder aus, wenn man sie zumacht.«
Ellis sagte: »Wie eine große Spieluhr? Bezweifle ich. Ich will es nicht in der Nachbarschaft haben, wenn der Zähler auf null geht. Werfen wir den Fisch wieder rein.«
Ben wünschte, dass es so einfach wäre. »Damit es unter Wasser hochgeht? Das ist keine gewöhnliche Bombe. Schau dir die Abschirmung in der Kiste an. Blei, um es einfacher über die Grenze zu schmuggeln. Die Schrift ist arabisch, aber die Anzeige hier ist ein Geigerzähler amerikanischer Herstellung. Das braucht man nicht für C-4 oder TNT. Diese Kiste kann jedes Lebewesen im Umkreis von mehreren Kilometern töten. Und dann? Es gibt schon genug, mit dem ich leben muss. Ich will das nicht auf dem Gewissen haben.«
»Dann bringen wir's raus auf den Atlantik und werfen's dort ab.«
»Gleiches Problem. Alles, was wir im Sommer und Herbst fangen, verbringt den Winter da draußen im Meer. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden bekommen wir es niemals in sichere Entfernung.«
»Also vergraben wir's.« Knocker Ellis griff nach Strohhalmen.
»Direkt über unserer Grundwasserschicht. Nein. Fürs Erste müssen wir dieses Ding behalten und rauskriegen, wie wir's stoppen. Wir müssen es versuchen oder bei dem Versuch umkommen.«
Ben klappte die Kiste zu und schob seinen Verdruss über Ellis beiseite. Es war der Anfang eines Keils zwischen den beiden Männern. Er konnte es nicht erlauben, dass sich Missgunst und Stress mit gierigem Anspruchsdenken vermischten. Dies würde das sowieso schon empfindliche Vertrauen zerstören, das sie für dieses Unterfangen bräuchten.
Gerade als Ben eine Bombe in seine Tagesrechnung einkalkulierte, donnerte ein heilloser Schlag von Miss Dotsys Kiel hervor. Das Deck wackelte und neigte sich unter ihnen mit einem lauten Kratzen und Knallen, als ob Vulcanus' Schmiede sich plötzlich in Davy Jones' Kiste wiederfand. Ben und Ellis staunten mit weit aufgerissenen Augen und tasten nach den Haltegriffen, als die Nantucket Lance sich mit dem Bug voraus im Wasser aufrichtete wie ein auftauchendes Nuklear-U-Boot in einem Werbefilm der Navy. Die Leiche am Bug wickelte sich zum Teil aus der Plane. Ben kam als Erster drauf. »Scheiße! Wir sind Idioten.«
Ellis bestätigte das. »Wie man's macht, macht man's falsch. Entweder sind's Geister oder wir haben den ganzen Ballast rausgenommen. Hat sich aus dem Schlamm befreit. Das verdammte Ding hängt uns nach wie Herpes.«
Ben dachte für einen Moment nach. Er holte den Bootshaken, um das gespenstische Wrack heranzuziehen. »Wir werden sie niemals verstecken können. Nicht vor jemandem, der sie wirklich haben will. Wir müssen auf alle Fälle unsere Spuren verwischen.«
Es gab nur eines, was sie tun konnten. Sie leinten das Schnellboot an Miss Dotsy an, wickelten die Leiche wieder in die Plane und sicherten sie. Ben sagte: »Wir müssen das Gewicht des Goldes durch Steine ersetzen.«
»Wer ist wir ?«
Ben wusste, was Ellis meinte. Ben würde nach den Steinen tauchen müssen. Es gab keine zweite Atemausrüstung, mit der Ellis hätte helfen können. Es war die Geringste von zwei furchtbaren Möglichkeiten. Ben könnte tauchen, den Boden nach Steinen absuchen und sie an die Oberfläche bringen, wo er und Ellis sie in die Nantucket Lance hieven würden. Oder sie könnten das Boot versenken und Ben würde tauchen, die nötigen Steine finden und sie direkt im Boot platzieren, was das Heraufholen der Steine unnötig machte. Der niedrige Spritvorrat für den Luftkompressor war noch ein weiteres Problem.
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