»Das ist eine gute Wahl«, sagte er und ging in den vorderen Raum.
Sie nahm ihre EC-Karte und legte sie auf den Tresen. »Ich wünschte, ich könnte auch so gut malen wie deine Mutter«, entfuhr es ihr.
»Kein Problem! Geh zu ihr hinauf und red mit ihr. Sie kann dich in die Kunst einweihen«, entgegnete er. Von seiner Stimme schwärmten sämtliche Frauen im Umkreis. »Derweil packe ich dir deine neue Madonna ein.« Er wickelte sie in Wellpappe und legte sie dann in einen länglichen Karton.
»Ein anderes Mal«, erwiderte sie zu seiner Enttäuschung. »Ich möchte noch im Buchladen stöbern. Außerdem glaube ich nicht, dass ich diese Kunst erlernen könnte«, lachte sie.
»Alles kann man lernen, wenn man Lust auf die Arbeit hat.«
»Vielleicht. Aber wie du weißt, hätte ich nur ab Mitte oder gar Ende März, im April und Mai, und dann wieder ab Oktober bis Mitte Dezember Zeit dazu.«
»Lass es dir durch den Kopf gehen«, schlug er vor. »Ich bin sicher, Mutter würde sich freuen. Und ich natürlich auch.«
Sie nahm den Karton mit der Madonna entgegen. »Ich überleg’s mir. Grüß mir deine Mutter. Ich werde mich jetzt noch mit ein paar Büchern eindecken, dann fahre ich mit der Bahn wieder hinauf. Also pfüat di.«
Dominic schaute ihr gedankenverloren hinterher. Himmel noch mal! Da fand man nach einer großen Enttäuschung endlich wieder eine Frau, die einem das Herz höher schlagen ließ, und dann schnappte sie ihm ein anderer vor der Nase weg. Und dann noch Ennio! Wenn er ehrlich war, sprach eigentlich nichts gegen ihn, aber Dominic hatte nie einen Draht zu ihm gefunden. Im Skiverein hatten sie selten gemeinsam mit anderen Touren unternommen. Erst recht keine nur zu zweit. Er fand ihn ein wenig zu unüberlegt, ein bisschen zu wichtigtuerisch für seinen Geschmack. Ein Angeber. Egal. Er hatte schon länger nicht mehr aktiv im Verein mitgemacht. Kein Verlust, fand Dominic. Selbst wenn er den Typen gemocht hätte, er hätte ihn jetzt jedenfalls nicht mehr leiden können, nachdem er ihn um das schönste Mädchen weit und breit gebracht hatte. Ausgerechnet der Ennio, dachte er missmutig.
Wobei … unüberlegt war er heute selbst gewesen. Wieso hatte er sie eingeladen, bei ihm mitzuarbeiten? Dann hatte er seine Liebe zwar für ein paar Monate des Jahres in seiner Nähe, aber anrühren durfte er sie dennoch nicht, denn sie war gebunden, spätestens ab dem kommenden Wochenende. Aber vielleicht fand sie ja seine Idee, bei seiner Mutter das Bemalen der Figuren zu lernen, absurd, und kam nicht mehr auf die Sache zurück. Hoffentlich. Vielleicht. Oder besser nicht.
7
Während sie hinüberschlenderte zu Lion, ließ Kathi sich Dominics Angebot durch den Kopf gehen. Der Gedanke war ihr völlig neu, aber er hatte etwas ungeheuer Reizvolles. Sie liebte seine Schnitzereien. Sie konnte sich sogar vorstellen, dass sie die Maltechniken unter der Anleitung von Dominics Mutter lernen könnte. Unbegabt mit den Händen war sie nicht. Ihre Mutter hatte ihr früh das Nähen beigebracht, sie handarbeitete und bastelte seit jeher mit Freude und sie wusste, dass ihr die Sache Spaß machen könnte. Einen Versuch wär’s vielleicht wert, aber eigentlich hatte sie keine Zeit für so etwas. Außerdem hatten ihr die paar Monate Ruhe vor dem Sturm immer ganz gutgetan, sinnierte sie und öffnete die Tür der Buchhandlung von Lion Wieser.
Die Buchhandlung von Lion Wieser, dem 32-jährigen Inhaber dieses Paradieses, erfreute Kathi genauso wie die Schnitzereien von Dominic. Ebenso wie bei Dominic erstreckte sich die Buchhandlung über zwei lang gezogene Räume. Und auch bei Lion schloss sich hinter dem zweiten Raum die Werkstatt an. Hierbei handelte es sich um eine Buchbinderei, sein zweites Standbein und, wie er selbst bekundete, seine Leidenschaft, gleich nach dem Buchverkauf. Diese Werkstatt war, anders als die von Dominic, komplett vom Laden getrennt und von diesem aus uneinsehbar. Sie besaß große Fenster, die natürliches Licht hereinließen, ganz im Gegensatz zu den Verkaufsräumen, die vor allem von künstlichem Licht erhellt wurden, allerdings auf so wunderbare Weise, dass überall kleine Lichtinseln entstanden waren, in denen Tische mit kleinen Cocktailsesseln zum Schmökern in einem neuen Buch einluden.
»Hallo, Servus, Lion!«
»Grüaß di, Kathi!« Lion und sie kannten sich vom Chorsingen, an dem Kathi noch heute zusammen mit Alice teilnahm. Unter anderem war das der Grund, warum sie die Schwaige stets bereits um 18 Uhr schlossen, somit versäumten sie keine Proben. »Wie geht’s?«
»Wie soll’s einem schon gehen, wenn man kurz vor der Verlobung steht«, antwortete sie heiter. Im Gegensatz zu Dominic hatte sie bei Lion bereits vorher die geplante Verlobung erwähnt.
Er grinste. »Angespannt, ruhelos, panisch, würde ich vermuten.«
»Nichts von alledem. Mir geht’s sehr gut, du unverbesserlicher Single«, schmunzelte sie. »Was macht das Geschäft? Ziemlich ruhig, vermute ich.«
»Logisch. Die Leute müssten mehr zum Bücherlesen animiert werden, aber auf mich hört ja niemand.«
»Kastelruth sollte sich in die Bücherdörfer wie zum Beispiel Montereggio einreihen«, entgegnete sie nachdenklich. »Du weißt, wie erfolgreich die sind. Eine Woche lang ein ganzes Dorf bestückt mit Regalen voller gebrauchter oder gar antiquarischer Bücherschätze, vor jeder Haustür, an jeder Ecke, in Cafés, Scheunen oder Garagen – das zieht Gäste und Besucher an und weckt bei jedem die Lust aufs Lesen.«
»Genau. Unser Besuch in Montereggio war wirklich toll. Ich denke, da braucht es hier bei uns noch einige Überzeugungsarbeit, bis man das auf die Beine stellen kann. Außerdem hätte ich dazu momentan kaum Zeit.«
»Ach, und warum?«
»Erzähl ich dir gleich. Komm erst mal mit, ich brauche dringend was zum wach werden. Ich konnte vor Aufregung die ganze Nacht nicht schlafen.« Er ging voraus und betrat seine Werkstatt. In der Ecke vor der Fensterreihe standen zwei schmale Stühle an einem winzigen Tisch aus Marokko, wo er täglich an die zehn Espressi zu sich nahm, wie Kathi vermutete.
Er wies auf einen der Metallstühle. »Espresso?«
»Gern.«
Er stellte zwei kleine Tassen unter die Düsen einer monströsen, funkelnden Kaffeemaschine, die er mehr liebte als sein Auto – was man verstehen konnte. Die Espresso-Maschine war ein modernes Wunderwerk der Technik, während sein Auto nur mit großem Aufwand vor dem Auseinanderbrechen bewahrt werden konnte.
Stumm schaute sie ihm bei der Zeremonie zu und keine Minute später durchzog der wundervolle Espresso-Duft den Raum. Sie gab zwei gehäufte Löffel Zucker in die winzige Tasse und führte sie zum Mund. Köstlich!
Wer oder was mochte Lions Ruhe gestört haben? Eine Frau, das wäre schön gewesen. Doch Frauen lockten diesen zurückhaltenden, beinahe schüchternen Mann selten aus der Reserve. Er war ein Bücherwurm und glücklich in seiner stillen Welt. Dabei hätte er Chancen im Überfluss, vor allem bei mütterlichen Frauen, im normalen Leben war er nämlich manchmal unbeholfen. Der Buchladen hingegen war sein ureigenes Refugium, in dem er sich selbstsicher und voller Begeisterung bewegte, wodurch er Menschen, die nur einmal vorbeischauen wollten, nicht selten zum Kauf animierte. Diese Leidenschaft für das geschriebene Wort beschränkte sich nicht nur auf die literarischen Werke, sondern umfasste sämtliche Genres. Kathi war sich sicher, dass er aufgrund seines fotografischen Gedächtnisses einen Großteil der Bücher, die er verkaufte, selbst gelesen hatte. Und er war in der Lage, noch Wochen später den Inhalt exakt wiederzugeben.
Lion trank ebenfalls von seinem Kaffee. Dann setzte er die Tasse ab und sie bewunderte, wie so oft, seine schönen schmalen Hände. Er schüttelte den blonden Lockenkopf, schaute sinnend aus dem Fenster und begann:
»Ich sitze also gestern nichts ahnend hier in meiner Werkstatt, da klingelt es im Laden. Ich bin fast erschrocken, weil das zu dieser Zeit nicht gerade oft vorkommt. Und dann steht da ein Mann vor mir, den ich schon einmal in meinem Laden angetroffen hatte. Ich erinnerte mich gut an ihn, denn er ließ ein Vermögen springen«, grinste er. »Um es kurz zu machen: Er gab mir, dem Buchbindermeister Lion Wieser, den Auftrag, seine Folianten, die er aus verschiedenen aufgelösten Klöstern erworben hatte, zu restaurieren. Als ich wieder in der Lage war, meine Stimme zu gebrauchen, teilte ich ihm mit, dass ich das zwar gerne machen würde und natürlich auch perfekt ausführen würde –, leider jedoch nicht in seiner Villa in Bozen arbeiten könne, sondern nur hier, damit der Laden geöffnet bliebe. Wenn ich nämlich den einmal schließe, brauche ich ihn nie wieder zu öffnen, dann hat man hat das Bücherlesen endgültig aufgegeben. Und zu meiner großen Überraschung erklärt sich dieser wunderbare Mann doch wie aus der Pistole geschossen damit einverstanden, dass ich hier in meiner Werkstatt arbeiten kann. Ich war heute Morgen bei ihm, und er gab mir gleich das erste Buch mit – oder das, was von ihm noch übrig geblieben ist«, fügte er kopfschüttelnd hinzu. »Ich muss sagen, ich bin so was von begeistert. Nachdem ich ihm zu verstehen gab, dass diese Arbeit zeitintensiv ist und ich diese Riesenaufgabe vor allem in der Zeit ohne Kundenverkehr erledigen muss, meinte er doch, bei dem, was er mir zu zahlen bereit wäre, könnte ich mir spielend eine Aushilfe leisten. Er bat um eine ungefähre finanzielle Einschätzung, und ich überschlug die Kosten für dieses erste Buch. Was natürlich so schnell schwierig ist. Ich setzte sie also nicht zu niedrig an. Trotzdem bat er, als er die Summe hörte, ich solle mich sofort auf die Suche nach einer Verkaufshilfe machen. Auf meine Frage, woher er das Vertrauen nähme, antwortete er, mit Naivität wäre er nicht dahin gekommen, wo er jetzt finanziell stünde. Natürlich hätte er sich, bevor er seine Schätze in fremde Hände gäbe, über mich und meine Arbeit schlaugemacht. Durch den Abt vom Stift Melk in Österreich kenne er meinen Namen. Vor allem meine letzte Arbeit für das Kloster, zwei kostbare Bibeln, die ebenfalls sehr aufwendig gewesen war, habe ihn überzeugt. Ich muss sagen, mir schlug das Herz bis zum Hals. Und jetzt kommst du hereingeschneit, meine liebste Kundin. Da kommt mir natürlich sofort eine super Idee.« Er schwieg erwartungsvoll.
Читать дальше