"Was sagt er da?", krächzte McAuley.
"Er will uns als Kriegsbeute mit in das Lager der Sioux nehmen."
"Mahlzeit!", stöhnte McAuley. "Sag ihnen, sie sollen uns lieber an ihre Hunde verfüttern..."
Ein dritter Indianer gesellte sich zu den Häuptlingen. Ein Greis mit der gehörnten Schädelplatte eines Bisons auf dem Kopf. Er sprach einen Dialekt, der Cunningham sofort vertraut war. "Ich brauche mindestens zwei, um sie den Geistern der Erde zu opfern", sagte er.
Sie palaverten ein Weilchen. Schließlich gab der Sioux nach. Little Bear deutete auf McAuley und Cunningham. Die anderen wurden weggeschleppt. Kurz darauf brachen die Sioux auf.
"Ich wette zehn Silberdollar, dass wir die Jungs nie wiedersehen", knurrte McAuley.
"Die Wette gewinnst du, aber die zehn Silberdollar wirst du nie kriegen", flüsterte Cunningham.
"Warum nicht?"
"Ich hab' nie davon gehört, dass man in der Hölle mit Dollars bezahlt."
Sie versuchten zu grinsen.
"Und im Himmel?", krächzte McAuley.
"Auch nicht."
Mit solchen und ähnlichen Sprüchen versuchten sie eine Zeitlang ihre Todesangst in den Griff zu bekommen.
Inzwischen hatten die Cheyenne einige Schritte vor ihnen Holz aufgeschichtet. Der Schamane in der Büffelmaske stimmte einen beschwörenden Singsang an und begann um den Totempfahl zu tanzen.
Cunningham und McAuley verstummten. Krieger stürzten sich auf sie, zerrten sie hoch auf die Beine und rissen ihnen die Kleider vom Leib. Seite an Seite wurden sie an den Totempfahl gebunden.
Mehr und mehr Indianer lösten sich aus der Menge zwischen den Tipis und um den kreisrunden Platz mit dem Totempfahl und schlossen sich dem tanzenden Schamanen an.
Zwei von ihnen entzündeten den Holzstoß. Glutfetzen wirbelten in den Nachthimmel. Dumpfer Trommelschlag erhob sich.
Bald wurden Cunningham und McAuley von gut zwanzig schweißnassen Kriegern umkreist. Der unheimliche Singsang schwoll an, die Indianer tanzten und sangen sich in Trance.
Der Feuerschein flackerte auf den Gesichtern der umstehenden Cheyenne. Cunningham erkannte die steinerne Miene des Häuptlings. Die Menge wogte im Rhythmus des Trommelschlags hin und her.
Plötzlich ein harter, hölzerner Schlag neben Cunninghams Kopf. Er fuhr herum. Ein Messer vibrierte zwischen ihm und McAuley im Totempfahl. Es war nicht auszumachen, wer es geworfen hatte. Etwas surrte durch die Luft. Ein Pfeil zitterte zwischen den Männern im Pfahl.
Die Axt sah Cunningham als wirbelnden Schatten herbeischwirren. Instinktiv zog er den Kopf ein. Der Totempfahl bebte, als sie über ihm ins Holz fuhr.
Der Schweiß floss ihm in Strömen über den nackten Körper. Quälender Durst brannte in seiner Kehle. Sein Herz pochte ihm im Rhythmus der Trommeln in den Schläfen.
"Um mich ist's nicht schade, Dave", krächzte McAuley. "Aber dir hätte ich noch die zwanzig Jahre gegönnt, die ich mehr auf dem Buckel habe als du. Warst ein famoser Partner - mach's gut, Junge..."
Cunningham konnte nicht antworten. Ein Kaktus schien in seinem Hals zu stecken. Vergeblich versuchte er das stachlige, trockene Ding herunterzuschlucken.
Erst ein stechender Schmerz im Oberschenkel ließ ihn laut aufschreien. Er sah an sich hinunter. Ein Pfeil steckte in der Außenseite seines linken Oberschenkels.
Das Wasser schoss ihm in die Augen. Durch einen Tränenschleier sah er plötzlich Shakopee neben dem Häuptling auftauchen. Heftig gestikulierend redete das Halbblut auf Little Bear ein. Der Häuptling hob seine Rechte. Gefolgt von dem Sergeant drängte er sich durch die tanzenden Krieger.
Die Trommeln wurden leiser, kein Messer und kein Pfeil flogen mehr. Vor Cunningham blieben die beiden Männer stehen. Der Häuptling musterte ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Staunen.
"Glaub mir, kleiner Bär", sagte Shakopee. "Meine Augen haben es gesehen, meine Ohren haben es gehört - er hat deine Tochter vor dem Roten Hund in Schutz genommen. Vielleicht hat er sie sogar befreit..."
Ein Brechreiz würgte Cunningham. Nur wie durch einen Nebel hörte und sah er die beiden Männer.
Wieder hob der Häuptling den Arm. "Blauer Vogel möge zu ihrem Vater kommen."
Eine Bewegung ging durch die Menge. Bald öffnete sich eine Gasse, und eine schmale Gestalt betrat den Tanzplatz - das Mädchen! Cunningham glaubte zu träumen.
Sie erkannte ihn sofort. Der Schreck weitete ihre Augen. Sie lief zu ihrem Vater und fasste seinen Arm. "Das ist mein Retter, Vater! Er hat mich aus dem Zelt des Roten Hundes befreit! Kleiner Bär möge ihm das Leben schenken!"
Sekundenlang bohrten sich die Augen des Häuptlings in Cunninghams schmerzverzerrtes Gesicht. "Und dieser?" Sein ausgestreckter Arm deutete auf McAuley.
Zorn blitzte in ihren Augen auf. "Dieser Mann hat mich beim Baden überfallen und eingefangen, wie man ein Reh einfängt!"
Eine knappe Geste des Häuptlings, und zwei Krieger eilten herbei, um Cunningham loszubinden.
"Dein Leben für das Leben meiner Tochter", sagte der Häuptling. "Aber du bleibst mein Gefangener." Er wandte sich ab und kehrte in die Menge der Zuschauer zurück.
"Seid vorsichtig", sagte das Mädchen. "Jemand muss ihm die Wunden verbinden!" Sie sah Cunningham an. Ihre Augen schienen zu lächeln. "Der gleiche gute Geist, der dich in der Stunde meiner Not zu mir geführt hat, hat mich jetzt in der Stunde deiner Not zu dir geführt."
Ohne den Blick von ihm zu wenden, drängte sie sich rückwärts in die Menge der Tanzenden. Cunningham konnte sein Glück nicht fassen.
"Famos, Dave, das nenn' ich famos", krächzte McAuley. "Vielleicht schaffst du's doch noch, mein Alter zu erreichen..."
"Rette ihn", fauchte Cunningham den Sergeant an. Immer noch stand Shakopee vor ihm und beobachtete die Krieger, die ihn losbanden.
"Wenn er die Häuptlingstochter nicht entführt hätte, könnte ich vielleicht etwas für ihn tun - aber so ist er verloren."
"Lass es gut sein, Dave", krächzte McAuley. "Ich hab' ungefähr fünfundfünfzig Sommer gesehen, bin durch den ganzen Kontinent gestromert und hab' mehr Frauen beglückt als andere in drei Leben. Was will man mehr?"
Cunningham stützte sich auf die beiden Cheyenne. Halb hinkte er, halb trugen sie ihn über den Tanzplatz. Er sah sich nach seinem Partner um. Ein wehmütiges Grinsen verzerrte McAuleys zerfurchtes Gesicht.
Dann schleppten sie Cunningham in ein Tipi. Die Trommeln wurden lauter, der Singsang schwoll an, wieder surrten Pfeile und Messer durch die Luft und schlugen hart im Holz des Totempfahles ein.
Sieben Tage lang lag Cunningham im Wundfieber. Als er wieder einigermaßen stehen konnte, bat er die Häuptlingstochter, ihn zu McAuleys Grab zu führen.
Sie hatten ihn außerhalb des Lagers verscharrt. Cunningham war so entkräftet, dass er eine Woche brauchte, um einen halbwegs passablen Steinhügel über der Ruhestätte seines Partners aufzuschichten. Die Indianer sahen ihm neugierig zu.
Schließlich band er ein Holzkreuz zusammen, kerbte eine Inschrift ein und befestigte es zwischen den Steinen.
"Was steht da?", wollte Blauer Vogel wissen.
"Lesley McAuley", las Cunningham vor. "Ein Mann, auf den man sich verlassen konnte."
Wochen später. Eine Kutsche holte Rooster und seine Frau von der Bahnstation in Washington ab und brachte sie zum Hauptquartier der Armee.
Die Rechte halb unter die Uniformjacke geschoben, ging der Colonel schweigend vor der geschlossenen Doppeltür des Gerichtssaales auf und ab. Helena Rooster saß auf der klobigen Wartebank an der Wand. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie trug ein graues, hochgeschlossenes Kleid mit weißen Rüschen an Saum und Knopfleiste.
Endlich öffnete sich ein Flügel der Tür, und zwei Lieutenants führten Rooster in den Gerichtssaal.
Die Ankläger des Kriegsgerichts warfen dem Colonel vor, durch übertriebenen Ehrgeiz und einen strategischen Fehler vierundsechzig Männer in den sicheren Tod geführt zu haben. Eine ganze Schwadron.
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