Basale Selbstobjekt-Funktionen sind die Spiegel-Funktion, die Funktion einer idealisierten Eltern-Imago und andere. Verträgliche Unterbrechungen der Selbstobjektfunktionen tragen dazu bei, dass das Kind die Funktionen im Sinn einer »umwandelnden Verinnerlichung« als Selbstrepräsentanzen internalisieren kann und so unabhängig wird von der konkreten Gegenwart der Selbstobjekte – sie werden auf diesem Weg zu Funktionen des Selbst.
Grundelement der Selbstobjektfunktionen ist die Empathie, die auch als stellvertretende Introspektion verstanden wird. Übermäßiger Mangel an Empathie führt zum Abriss der Kontinuität und damit der Kohärenz, Fragmentierungen stellen sich ein: das Erleben der Einheitlichkeit zerfällt, einzelne Elemente lassen sich nicht mehr aufeinander beziehen. Dies zieht narzisstische Störungen, Triebkonflikte und destruktive Wut nach sich. Die umwandelnde Verinnerlichung scheitert, andere Menschen werden dauerhaft zu Selbstobjekten funktionalisiert (und darauf reduziert), eine wechselseitige Empathie kann nicht entstehen – zentrale Merkmale eines pathologischen Narzissmus.
Die Selbstpsychologie hat Entscheidendes beigetragen zum Verstehen narzisstischer Störungen. Die Therapie zielt auf die Verbesserung intrapsychischer und interpersoneller regulativer Vorgänge. Die zentrale Bedeutung der Empathie in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapien ist unstrittig, insbesondere bei frühen Störungen und Traumatisierungen (Burchartz 2019b). Das »Verstanden-Werden« in einer empathischen Haltung des Therapeuten ist überhaupt erst die Grundlage für eine aufdeckende, deutende Arbeit. Der Therapeut wird temporär zu einem Selbstobjekt.
Gleichwohl ist anzumerken, dass in der Selbstpsychologie die Konflikthaftigkeit der menschlichen Existenz, die Dialektik von Trieb und kulturellen Anforderungen kaum mehr einen Platz hat. Die Bedeutung des spezifischen sozialen Umfelds und seiner Widersprüchlichkeit verblasst. Fellner und Zorn (2019) bemerken dazu, »…für eine kritische Theorie des Subjekts« werde das Menschenbild der Selbstpsychologie »theoretisch unbrauchbar« (S. 51). Des Weiteren wird die grundlegende triadische Struktur der Psyche nicht konzeptualisiert.
Das »Selbst« unterliegt nach der Jung’schen Analytische Psychologie einem wechselnden Prozess von Deintegration und Reintegration und organisiert so die Individuation des Menschen.
Das Selbst nach Kohut bezeichnet die Gesamtheit der Person, wobei es sich nicht ohne Selbstobjekte denken lässt. Deren grundlegende Funktion ist die Empathie. Sie sorgt für die Kohärenz des Selbst.
2.12 Relationale Psychoanalyse
In neueren Ansätzen der psychodynamischen Psychotherapien wird die Intersubjektivität betont. Besonders Harry S. Sullivan (1892–1949, amerikanischer Psychiater und Psychoanalytiker) konzipierte die Persönlichkeit des Menschen und deren Entwicklung als interpersonales Geschehen. Auch in objektbeziehungspsychologischen Ansätzen und besonders in der Selbstpsychologie wird der Mensch von seinen Beziehungen her gedacht: ein Mensch ist ohne andere Menschen nicht vorstellbar, auch die Subjektivität entspringt einer Intersubjektivität (Mertens 2011, S. 252). Damit erweitert sich die triebtheoretische Sichtweise, die freilich in der psychologischen Dialektik zwischen Subjekt und Objekt ebenfalls vertritt, dass der Mensch nicht von sich selbst heraus verstanden werden kann. Man bezeichnet diesen Perspektivwechsel in der Psychoanalyse als die »intersubjektive Wende« und die sich daraus ergebenden konzeptuellen und technischen Konsequenzen als »relationale Psychoanalyse«, als deren Begründer Stephen Mitchell (1946–2000, amerikanischer Psychoanalytiker) gilt (Mitchell 2005) (
Kap. 2.4).
Die intersubjektive Wende hat auch für die Therapie behandlungstechnische Konsequenzen. Bereits bei Otto Fenichel (1897–1946, österreichscher Psychoanalytiker) finden wir in seinem dritten Vortrag über »Probleme der psychoanalytischen Technik« folgende Bemerkungen:
»Verschiedene Analytiker benehmen sich verschieden, und diese Verschiedenheit muß das Benehmen des Patienten beeinflussen.« (Fenichel 2001, S. 78). Er sieht in einer ängstlichen Kontrolle der Gegenübertragung eine Gefahr: »Die Angst vor ihr (der Gegenübertragung) kann den Analytiker zur Unterdrückung aller menschlicher Freiheiten bei den eigenen Reaktionen führen. … Der Patient muss sich auf das »Menschsein« des Analytikers immer verlassen können.« (Fenichel 2001, S. 79).
Die Subjektivität des Analytikers ist eine Quelle eigener Übertragung auf den Patienten, auf die der Patient mit einer Gegenübertragung antwortet. »Der Analysand reagiert idiosynkratisch auf die spezifischen Eigenheiten des Analytikers« (Burchartz 2019a). So entsteht ein intersubjektiver Austausch, der zunächst unbewusst verläuft und sich nicht einfach kontrollieren lässt, zumal er sich in Bruchteilen von Sekunden mimisch, gestisch und in Stimme und Gestimmtheit vollzieht. Auch das Unbewusste des Analytikers ist diesem per definitionem nicht ohne Weiteres durchschaubar. Die psychoanalytische Arbeit besteht darin, dass zwei Subjekte sich zusammenschließen, um dieses interaktive Geschehen möglichst genau zu verstehen und auf seine Bedeutung hin zu untersuchen – vor dem Hintergrund des Lebenskontextes des Patienten. Schon Freud sprach von »Konstruktionen« in der Analyse (Freud 1937d). Psychoanalyse ist demnach nicht allein eine »Rekonstruktion« verdrängter Inhalte, sondern eine »Konstruktion« eines neuen Bedeutungszusammenhangs. Das gilt auch für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, wobei hier als Medium des Austausches besonders bei Kindern weniger die Sprache als vielmehr das Spiel zur Geltung kommt. In der »intersubjektiven Matrix« ereignen sich Begegnungen des »Sich-ineinander-Hineinversetzens«, in denen eine intensive und spontane Einsicht beider Beteiligten entsteht, ein »Gegenwartsmoment« (Stern 2018 [2005], S. 88 ff.).
Ähnlich beschreibt der italienische Analytiker Antonio Ferro die psychoanalytische Situation als Feld, in dem sich wechselseitige projektive Identifizierungen ereignen. Dieses Feld gilt es gemeinsam zu erkunden. Ferro bezeichnet das, was sich in einer analytischen Sitzung unbewusst und bewusst konstelliert, als »Figuren«. Anknüpfend an Bion schreibt Ferro: »Das Ziel des analytischen Paares … besteht im Wesentlichen darin, die Gefühle, von denen beide erfüllt sind, mitzuteilen (im Allgemeinen, jedoch nicht ausschließlich, durch Worte). Die Figuren werden häufig in dieser Situation der Begegnung und durch die Begegnung dieser beiden psychischen Apparate ›erschaffen‹« (Ferro 2003, S. 27). Der Therapeut steht also nicht außerhalb des Feldes, er ist Subjekt eines gemeinsamen Narrativs. »Ich verstehe unter Narration jenes Vorgehen des Analytikers während der Therapie, in dem er ganz und gar dialogisch und ohne besondere, durch Deutungen gesetzte Zäsuren gemeinsam mit dem Patienten ›einen Sinn konstruiert‹« (Ferro 2009, S. 10). Damit ist ein Anschluss an den Konstruktivismus hergestellt (Freud 1937d).
Die relationale Psychoanalyse geht von wechselseitigen Übertragungen und Gegenübertragungen in der psychoanalytischen Situation aus. Aus deren Analyse ergibt sich eine Neu-Konstruktion von Bedeutungszusammenhängen.
In den Objektbeziehungstheorien wird das Werden der Persönlichkeit in einer Zwei-Personen-Perspektive gefasst – entscheidend ist die (frühe) psycho-physische Beziehungsmatrix zwischen Mutter und Kind. Kommt dem Vater bei Freud noch eine wesentliche psychische strukturbildende Funktion zu, so entschwindet er schon bald nach ihm, übrig bleiben dyadische Muster. Entsprechendes bildet sich auch in der Entwicklungspsychologie ab. Eine gewisse Relativierung enthielt stets die Kinderpsychotherapie, hat man es doch hier zwangsläufig mit (mindestens) einer realen dritten Instanz zu tun – den Eltern.
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