b) 2w: E1, E2, Klassem 1 ‚Mensch‘, KlassemKlassem 2 ‚Mandat‘. Paraphrase: x1 verrichtet/befolgt y2.Beispielsatz (rekonstruiert, OtfridOtfrid von Weißenburg 1,4,6) siu bethiu (= Zacharias und Elisabeth) io giuuar sinaz gibot fultun .SatzbauplanSatzbauplan: NGnom ‒ [Adv] – NGakk – P, oder Enom, Eakk E1 und E2 bedeuten: ErgänzungErgänzung im Nominativ und Ergänzung im Akkusativ; NP4/NP5 bedeutet: NominalgruppeNominalgruppe im Genitiv oder PräpositionalgruppePräpositionalgruppe. E(orn) bedeutet: ornative Umstandsbestimmung als Ergänzung.
(Greule 1982a, 206‒218, 244‒246)
4.2 Vom Nibelungenlied zur mittelhochdeutschenMittelhochdeutsch ValenzgrammatikValenzgrammatik
Das NibelungenliedNibelungenlied (NL) in der Fassung der Handschrift B, die im 13. Jh. in St. Gallen (Codex sangallensis 857) geschrieben wurde, dient HUGH MAXWELL (1982b) als Korpus, aus dem heraus die theoretische Grundlage für ein ValenzwörterbuchValenzwörterbuch der mhd. Verben entstehen sollte. Maxwell betrachtet das Korpus aufgrund der Edition des NL durch Helmut de Boor (19. Auflage, 1967) als bereits in Sätze segmentiert. Der Ausarbeitung eines mhd. ValenzlexikonsValenzlexikon geht eine Grammatik voraus, deren Kategorien durch Beispielsätze belegt und verdeutlicht werden. An oberster Stelle steht eine Darstellung der Formen, die das PrädikatPrädikat als ValenzträgerValenzträger im Korpus annehmen kann. Der zweite Teil der Grammatik beschreibt die 12 ErgänzungsklassenErgänzungsklasse, die durch einfache Versalien (N = N[ominativ]ergänzung usw.) markiert sind. Die Auflistung aller Ergänzungsstellen, die zusammen in einem Satz bei dem Verb xvertreten sein können, ergeben den SatzbauplanSatzbauplan.
Beispiel:NL 1790, 4 ist ein Nebensatz mit dem PrädikatPrädikat schalt (Präteritum von schelten )
( daz ) diu frouwe Kriemhilt die schœnen Prünhilden schalt
Kriemhilt ist NominativergänzungNominativergänzung, Prünhilden AkkusativergänzungAkkusativergänzung. Der SatzbauplanSatzbauplan wird jeweils über den unterstrichenen SatzgliedernSatzglied in Kurzform (N, A) markiert. In dieser Form wird der Satz als Beleg in den Artikel des ValenzwörterbuchsValenzwörterbuch unter dem LemmaLemma schelten eingetragen.
(Maxwell 1982b, 16, 44‒164)
4.3 Ermittlung der Satzmodelle in den Liedern Heinrichs von MorungenHeinrich von Morungen
Ebenfalls auf der Grundlage einer Edition, der Edition von Helmut Tervooren (1971), erarbeitet WILFRIED SCHÜTTE eine Liste von 161 mhd. Verben, die in den 35 Liedern des ostmitteldeutschen Minnesängers Heinrich von MorungenHeinrich von Morungen (†1218 in Leipzig) vorkommen (Schütte 1982, 54‒68). Die Verbliste entspricht einem ValenzwörterbuchValenzwörterbuch zu den Liedern Heinrichs von Morungen. Den nummerierten Verblemmata sind zugeordnet: 1. die Belegstellen, 2. die belegten Verbformen, 3. die ErgänzungenErgänzung, etwa in der Form PNn, PNa, PNg, AdV.m (lies: Pronomen im Nominativ, Pronomen im Akkusativ, Pronomen im Genitiv, modales Adverb). Damit erfasst Schütte – genau genommen – alle im Werk Heinrichs von Morungen vorkommenden Satzmodelle, und die Verbliste könnte als eine Grundlage für das noch zu schaffende mhd. Valenzwörterbuch dienen.
Beispiel:
Nr. 15 biten, bitten V, 1 (7) bite PNn, PNa, PNg = des „um das“ |
Von Schütte (1982, 41‒45) aufgelistete Probleme: Gemäß der Grundannahme der ValenzsyntaxValenzsyntax, dass die WertigkeitWertigkeit eines Verbs unabhängig ist von den realisierten morphosyntaktischenmorphosyntaktisch Formen, führte Schütte (1982, 41) alle flektierten Verbformen auf den Infinitiv zurück und ordnete sie dem Infinitiv als LemmaLemma unter. Bei den problematischen Verbalpräfixen mhd. en- , ge- und PartikelnPartikel wie umbe und an , die als PräfixPräfix oder als Adverb aufgefasst werden können, musste teilweise willkürlich entschieden werden, ob ein präfigiertes Verb einen eigenen Eintrag in die Liste erhält oder nicht. Modal- und HilfsverbenHilfsverb wurden von Schütte nicht berücksichtigt. Bei den Imperativen fehlt der Erstaktant als textuelles MorphemMorphem (Pronomen). Da bei Heinrich von MorungenHeinrich von Morungen der Erstaktant entweder als Vokativ oder als fiktionaler Kommunikationspartner, nämlich als die besungene vrowe , gegeben ist, liegt keine Aktantenreduktion vor; Schütte (1982, 43) notiert für Textstellen mit dem Imperativ daher einen Erstaktanten in Klammern. Zum Beispiel weist die Stelle
XIX (1,2) Vrowe , […] sich mich ein vil lützel an „Herrin, […] sieh mich ein bisschen an!“
mit dem Imperativ des trennbaren VerbsVerbtrennbares mhd. ansehen die Satzgliedstruktur auf:
(Nn), Imperativ, PNa, Art+Na, VerbzusatzVerbzusatz |
Bei kasusneutralen ErgänzungenErgänzung werden die möglichen Kasus durch Kleinbuchstaben angegeben (z.B. g/d = Genitiv oder Dativ). Endungslose Formen, bei denen alle Kasus möglich sind, werden durch 0 gekennzeichnet. „JunktorenJunktor“ bleiben unberücksichtigt; schwierig zu unterscheiden, ob z.B. bei des ein JunktorJunktor oder ein Pronomen im Genitiv vorliegt, ist in Fällen wie im folgenden Beleg:
XIa, 2 (7,8) jâ enwil ich niemer des eralten, swenne ich sie sihe, mir sî von herzen wol
Heinrich von Morungen Des kann hier als JunktorJunktor oder Verweisform auf einen eingebetteten Satz gesehen werden.
4.4 Ermittlung der Satzglieder im FrühneuhochdeutschenFrühneuhochdeutsch
Um die SatzgliederSatzglied in fnhd. Texten zu ermitteln und die auf dieser Sprachstufe geltenden SatzbaupläneSatzbauplan zu rekonstruieren, ist es notwendig zu speziellen Techniken zu greifen. Zunächst muss eine Reihe von immer denselben Verben gesucht und deren KontexteKontext auf ErgänzungenErgänzung und AngabenAngabe durch Quantifizierung (vgl. das Modell unter D.4.1) analysiert werden. WERNER WEGSTEIN und NORBERT RICHARD WOLF legten der Analyse folgende Texte (Korpus) der neuen geistlichen Prosa in Editionen zugrunde: „Legenda AureaLegenda aurea“ (1362), Ulrich von Pottenstein, „Katechismus“ (Anfang 15. Jh.), Bruder BertholdBruder Bertholds „Rechtssumme“, „Rechtssumme“ (1390, 1423, 1454) und Hugo Ripelin von Straßburg, „Compendium theologicae veritatis“ (1375, 1. Hälfte des 15. Jh.).
Das fnhd. Verb machen ist im Korpus in 19 Sätzen als PrädikatPrädikat belegt, die aufgrund der KontexteKontext in zwei Gruppen mit 1 machen und 2 machen aufteilbar sind, z.B.
1 machen : Do mahte der boͤse geist ein vngewetter vffe dem mere
2 machen : ob ich dir dinen sun mache lebende
In den neun Belegsätzen mit 1 machen sind immer zwei ErgänzungenErgänzung vorhanden: im Nominativ (= Subjekt)Subjekt, im Beispielsatz der boͤse geist , und im Akkusativ, im Beispielsatz ein vngewetter vffe dem mere.
In den zehn Belegsätzen mit 2 machen sind drei ErgänzungenErgänzung vorhanden: im Nominativ (Subjekt)Subjekt, im Beispielsatz ich , im Akkusativ, im Beispielsatz dinen sun , und eine dritte Ergänzung, die im Beispielsatz als Adjektiv ( lebende ) vorkommt, aufgrund der Analyse der anderen Belegsätze mit 2 machen aber als ObjektsprädikativObjektsprädikativ (E präd) identifiziert wird.
Dass bei fnhd. machen zwei unterschiedliche SatzbaupläneSatzbauplan, nämlich E nom, E akkgegenüber E nom, E akk, E präd, vorkommen, wird durch die unterschiedliche Semantik von 1 machen und 2 machen erklärt: Das SememSemem von 1 machen kann mit ‚herstellen‘ paraphrasiert werden, das Semem 2 machen aber mit ‚bewirken‘. Aus der unterschiedlichen Semantik des Verbs können auch unterschiedliche Propositionsstrukturen abgeleitet werden:
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