Ich beantwortete selbst so viele Briefe, wie es mir möglich war.
So viele Menschen schrieben mir und brachten ihr Interesse an der Kirche und ihre Suche nach dem Geschenk des Glaubens zum Ausdruck, sodass ich begann, in großen Schulsälen und Hallen Glaubensunterweisungen zu geben, so etwa in St. Patrick’s in Washington und in St. Stephen’s , ebenfalls in Washington, außerdem an der Cathedral High School in New York City. Personen, die sich nach Literatur über die Kirche erkundigten, bekamen Bücher und Broschüren zugesandt.
Im Rückblick kann ich sagen, dass ich zwei Herangehensweisen hatte: die eine war die direkte in der Radio-, die andere die indirekte in der Fernsehsendung. Die direkte Methode war die Darstellung der christlichen Lehre in einfacher, klarer Sprache. Im Fernsehen stützte ich mich stärker auf die Gnade Gottes und weniger auf mich selbst. Wenn es in der ausgestrahlten Sendung um das Thema Fliegen ging, dann konnte es vorkommen, dass ich am Ende über Engel sprach. Nie gab es Versuche, die in Richtung Proselytismus 16gingen. Die Zuschauer sollten selbst entscheiden, ob ich für etwas einstand, das sie als Vervollständigung für ihr Leben brauchten. Die Erleuchtung der Seelen ging mehr vom Geist aus, weniger von Sheen.
Ein Beispiel dafür war eine Sendung über den Tod Stalins. Ungefähr zehn Tage, bevor Stalin starb, sprach ich über seinen Tod, als würde er tatsächlich eintreten. Ich erhielt Telefonanrufe von Zeitungen fast aller Bundesstaaten der USA, die sich erkundigten, welche Insiderinformationen mir vorlägen. Ich sagte ihnen, dass das Einzige, das ich wüsste, die Tatsache sei, dass er sterblich sei und die letzte Sündenstrafe, die der Tod ist, zu erbringen habe. Und es war einfach sein Schicksal, dass die Sendung und sein Hinscheiden zeitlich zusammentrafen. Ein weiteres Beispiel für diese zweite Vorgehensweise ist die Begegnung mit einer Frau, die mir nach einem Vortrag in einer Stadt im Westen erzählte, dass sie konvertiert sei, nachdem sie eine meiner Fernsehsendungen angesehen hatte. Es interessierte mich natürlich sehr, welche Sendung konkret sie so stark beeinflusst hatte. Zu meiner Überraschung sagte sie, es sei diejenige über Stalin gewesen. Es gab in dieser Sendung absolut nichts, was einen Menschen hätte in die Kirche locken können. Gott benutzte die Sendung einfach als Werkzeug. »Paulus pflanzt, Apollos wässert, Gott aber schenkt das Wachstum.«
Kürzlich erzählte mir ein junger Priester während einer Unterhaltung: »Ich habe in den sechs Jahren meines Priestertums schon zweiundsiebzig Menschen bekehrt, sodass sie konvertierten.« Ich antwortete: »Ich rate Ihnen, damit aufzuhören, sie zu zählen, sonst kommen Sie womöglich auf die Idee, Sie hätten sie bekehrt und nicht Gott.«
Eine dritte Art, auf ein Publikum im Zeitalter der Medien zuzugehen, liegt in der Zukunft. Es wird nicht immer die direkte Vorgehensweise und auch nicht die von mir angewandte indirekte sein. Man könnte sie vielmehr die anthropologische nennen. Ich verwende dieses Wort nicht im Sinne der Wissenschaft vom Ursprung des Menschen. Ich beziehe mich lediglich auf die Wurzel des Wortes – eine Erforschung des Menschen. Die Darstellung von Religion verlief bisher prinzipiell von Gott zum Menschen, aber nun wird sie vom Menschen zu Gott verlaufen. Sie wird nicht mit der Ordnung des Universums beginnen, die auf die Existenz eines Schöpfers des Alls schließen lässt, sondern von der Unordnung im Menschen selbst ausgehen. Sie wird sich sämtlicher Erkenntnisse unseres Zeitalters der Psychologie bedienen und sie als Sprungbrett für die Darstellung der göttlicher Wahrheiten benutzen.
Wir Bischöfe beschlossen kürzlich bei einem unserer Treffen, die Menschen um 10 Millionen Dollar für religiöse Kommunikation in Radio und Fernsehen zu bitten. Der Vorsitzende der Bischöfe bat mich, einen Text von ungefähr fünf oder sechs Minuten auf Band zu sprechen, der dann in jeder katholischen Gemeinde Amerikas abgespielt werden sollte, um die Menschen zum Spenden zu veranlassen. Schließlich war ich bereit, die Sammlung anzukündigen, nicht jedoch, die Menschen um Geld zu bitten, weil wir, die Bischöfe, noch nicht beschlossen hatten, wie das Geld dann angelegt werden sollte. Ich konnte die Gläubigen guten Gewissens darum bitten, Geld für Krankenhäuser, Schulen und Kirchen in Afrika und Asien zu spenden, aber zehn Millionen Dollar von ihnen zu erbitten, ohne ein Programm zu haben, wie dieses Geld ausgegeben werden sollte, erschien mir unklug.
Einmal abgesehen davon, welchen Schaden Fernsehen und Radio in anderen Bereichen anrichten, so sind sie für die Religion sehr nützlich. In jeder Periode des kirchlichen Lebens in Amerika gab es immer ein Publikum, das mindestens so aufgeschlossen war wie die Zuschauer und Zuhörer, an denen ich mich erfreuen konnte, wenn nicht sogar stärker. Ich wünschte mir häufig, dass ich noch jünger wäre und die dritte von mir erwähnte Herangehensweise anwenden könnte, nämlich vom Unglück im Herzen der Menschen auszugehen. Menschen, die man ansprechen kann, gibt es immer: Die Gelegenheiten sind allgegenwärtig. Man muss gequälte Seelen wie Petrus, Skeptiker wie Thomas und Mystiker wie Johannes ergreifen und sie dazu bewegen, in Tränen auszubrechen, in die Knie zu sinken oder am heiligen Herzen Jesu auszuruhen.
Häufig werde ich gefragt, wie ich Predigten vorbereite. Ich kann lediglich von meinen eigenen Erfahrungen nach einem langen Leben als Prediger sprechen.
All meine Predigten werden vor dem Allerheiligsten vorbereitet. So wie man sich am besten und nachhaltigsten in der Sonne entspannt, so wird die homiletische Kreativität am besten von der Eucharistie genährt. Die brillantesten Ideen kommen aus der persönlichen Begegnung mit Gott. Der Heilige Geist, der für die Inkarnation entscheidend war, sorgt auch für die beste Atmosphäre, um den Geist zu erleuchten. Papst Johannes Paul II. hat immer ein kleines Pult oder einen Schreibblock dabei, wenn er sich in der Gegenwart des Allerheiligsten aufhält. Ich habe es mein Leben lang genauso gehalten – ich bin sicher, aus denselben Gründen wie er, denn ein Liebender arbeitet grundsätzlich besser, wenn der Geliebte bei ihm ist.
Wenn der allgemeine Plan für die Predigt ausgearbeitet ist, trage ich meine Gedanken unserem Herrn vor, oder ich meditiere zumindest darüber, wobei ich die Ideen fast flüstere. Es ist erstaunlich, wie schnell man den Wert der geplanten Predigt erkennt. Deshalb sprechen die Franzosen vom esprit de l’escalier – das bedeutet die Besinnung darauf, was man in einer Unterhaltung am zurückliegenden Abend hätte sagen sollen . Im Allgemeinen gibt es für jede Vorlesung oder jede Predigt drei unterschiedliche Abläufe: was geschrieben steht, was vorgetragen wird und was man gern gesagt hätte. Deshalb ist das »Halten der Predigt vor dem Herrn im Allerheiligsten« für mich die beste Art, nicht nur die Schwächen, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeiten einer Predigt zu entdecken.
Nachdem das Material zusammengetragen und die Punkte ausformuliert sind, schließe ich entweder eine Meditation oder eine ruhige Wiedergabe an, ohne mich dabei auf meine Notizen zu stützen. Das Material einer Predigt besteht nicht komplett aus dem, was vom Papier ins Gehirn wandert, sondern aus der Wiedergabe dessen, was von einem kreativen Geist ausgeht und über die Lippen kommt. Ich habe viele Komödianten gefragt, welchen sie für ihren besten Witz hielten, und die Antwort lautete immer: »Derjenige, den ich am häufigsten erzählt habe.«
Sheen freute sich, im Fernsehstudio von DuMont »hinter den Kulissen« zu sein, Mai 1952 (Fulton J. Sheen Archiv) .
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