Oder doch nicht?
Kaffeetassen klirrten.
Zu viel Bass & Drums.
„Voodoo Child“, ursprünglich von Jimi Hendrix. Nun vom Texaner Stevie Ray Vaughan, einem Verrückten, der auch schon lange tot ist, gesungen. In einem ziemlich abgefahrenen Mix eines New Yorker DJs.
Fanny reagiert grundsätzlich immun auf Lärm, war aber noch immer sauer, dass ich ihn zu der Spritztour nicht mitgenommen hatte. Erst Minuten später, ich hing bereits über meinem Laptop, warf er mir einen verächtlichen Blick zu. Und wieder ließ er seinen massigen Schädel fallen. Ich sag‘ nur Holzkirchen.
Sie wissen schon …
Und die Fischer erst.
Die war angefressen …!
Las in irgendeinem Scheißblatt. Klatsch und Tratsch. Strafte mich mit der gleichen Verachtung wie der Köter. Weil ich nichts gesagt hatte, ihr keinen Kuss gab, als ich kam und mich sofort über den Laptop stürzte.
Die Sache war heiß. Zu heiß.
No time for love, Baby!
„ …If I don’t meet you no more in this world then uh / I’ll meet ya on the next one / And don’t be late / Don’t be late / ‘Cause I’m a voodoo child voodoo child… “
Tochter tot.
Der Mann sagte mir das – und dreißig Minuten später ist auch er tot.
Das heißt, ‚die‘ hatten den auf dem Radar. Spätestens seit dem Mord an seiner Tochter Gina. Vermutlich viel früher. Die Tochter war ein Warnschuss für ihn, den er nicht als solchen begriffen hatte.
Der Wille hatte recht:
Ohne es geprüft zu haben – die junge Dame war nicht eines natürlichen Todes gestorben. So viel steht fest.
Der muss echt einer großen Sache auf der Spur gewesen sein. Leider kann er nichts mehr sagen. Ich dachte, dass ich ihn noch mal treffen würde. Allerdings nicht so wie eben … Und ‚die‘ haben Mister Staatssekretär beobachtet. Wissen natürlich, dass er sich mit mir getroffen hat.
Fuck.
Keine Amateure. Die hatten ihn per GPS immer auf dem Schirm. Und ‘ne feine, kleine Bombe in seiner Karre. Aber warum haben sie die erst gezündet, nachdem er mir seine Message übergeben konnte? Ungewöhnlich. Ich muss vorsichtig sein, verdammt vorsichtig! Ich denke, ‚die‘ wollten mir ein Zeichen geben …
… Wenn du dich einmischst, Daniel Richter, bist du der nächste Kandidat für ‘nen Sarg .
Fuck!
Doktor: Du hast einen neuen Fall .
Jedenfalls hatten ‚die‘ es geschafft, mir den Sonntag zu verderben.
»Süße, ich muss nachdenken. Fanny wird mich begleiten. Ich laufe ein bisschen am Isar-Hochufer, okay?«
»Richter, du bist ein Arschloch!«
Was für ein Sonntag!
Sonntag. Merde.
Mein Schädel schien halb ausgeschaltet zu sein. Was bin ich für ein Blödmann. Treffe mich mit einem, den ich vorher nicht abcheckte. Das passiert mir Montag bis Freitag nicht! Ich hatte auf Relaxen geschaltet.
Da war mein untrügliches Gefühl, dass der, der mich anrief, etwas Interessantes hatte. Das hat man im Urin oder auch nicht. Meine Blase und meine Nase waren geschult auf Zwischentöne zu achten. Oder waren es die Ohren? Ich meine wegen der Zwischentöne? Nur deshalb habe ich mich mit dem Unbekannten getroffen. Aber gleich auf zwei Tote, bin ich wahrlich nicht scharf …
Mein Surfen durch die für die Allgemeinheit nicht zugänglichen Quellen war bislang nicht besonders ergiebig. Ja, ich wusste nun, wer der Staatssekretär Diplom-Ingenieur Architekt Fred Wille war. Seine Schule, Studium, Karriereleiter. Zwei Jahre hatte Fred Wille im Ausland gearbeitet. Hatte den Bau der neuen Botschaft in Madrid überwacht. Irgendeine bayerische Baufirma, die mir nichts sagte, die Bavarian sowieso AG, bekam damals den Zuschlag. Nix Besonderes, der Wille. Beamter halt. Wie ich es auch mal war … Besonderheiten: parteilos. Der typische Karrierist. Nur nicht anecken. Immer rauf auf der Leiter.
Was hatte er nun davon?
Im Blechsarg?
Die Reste eingesammelt?
Familie fast ausgelöscht?
Die geschiedene Frau. Auch die checkte ich. Sie war inzwischen mit einem Trainer eines Fußballklubs in Unterhaching verheiratet. Kleinbürgerliches Leben. Das Reihenhaus war vermutlich fast abbezahlt. Die werde ich interviewen. Frau Ex-Wille, geborene Huber, verheiratete Schneider.
Wo soll ich sonst ansetzen?
Klar, ich werde meinen Mann in der Ettstraße anrufen. Kriminalfachdezernat 1. Zuständig für Tötungs-, Brand- und Sexualdelikte. Das kann ich erst morgen machen. Wochenende ist heilig. Die Bullen haben es nicht leicht.
»Fanny, du Pfeife, komm, lass uns ein wenig laufen!«, herrschte ich den nicht mehr so sehr beleidigten Mastiff an und zwang ihn, seinen massigen, aber durchtrainierten, muskelbepackten Body in Bewegung zu setzen.
Ich brauchte dringend etwas für den Abbau meines Adrenalinspiegels. Noch hatte ich nicht vor, das Zeitliche zu segnen.
Wir liefen die Isar aufwärts und keuchten beide, als ob uns der Teufel jagen würde. Wenn ich nur wüsste, wie der aussieht. Nimmt immer neue Gestalt an.
In Russland sagen sie: „Der Teufel hat immer eine Kugel mehr im Lauf.“
Herrliche Aussichten!
Mit dem Gegner ist nicht zu spaßen. Mord ist immer das allerletzte Mittel, wenn der zur Ermordung Anstehende durch nichts mehr von seinem Plan, anständig zu bleiben oder problemlos mitzuspielen, abzubringen ist.
Wille schien zu der aussterbenden Sorte Mensch gehört zu haben.
Wirklich?
Über den Arzt, der den Totenschein ausgestellt hatte, konnte ich absolut nichts in Erfahrung bringen. Der Grund? Den gab es gar nicht. Zumindest nicht unter dem Namen. Und da ich kein Bild von Dr. med. Erwin Kravatt hatte, konnte ich den auch nicht durch den Scanner der Polizei laufen lassen. Auch dazu hatte ich Zugang. Doch was nützte es? Weder im Münchener Ärzteregister gab es einen Kravatt noch im Bayerischen und auch nicht bundesweit. Es war eine scheiß Arbeit für meinen Mac mir zu sagen, dass es unter den rund 330.000 Ärzten in Deutschland keinen mit dem Namen gibt. Es dauerte fast zwölf Minuten, die ich auf die Antwort warten musste. Sie brachte mich keinen Schritt weiter.
Das nervte.
Fazit: Ich stand bei Null! Das war frustrierend und ich brach abrupt mein Joggingprogramm ab. Fanny stoppte, dass der Sand eine Nebelfront bis Garmisch bildete, und schaute mich fragend an.
»Sag nichts, Köter. Ich bin sauer!« Dabei streichelte ich ihm über seinen riesigen Schädel und Fanny fing zu grinsen an.
Wir waren wieder Freunde.
Zwei Tote und ein Arzt, den es nicht gab, der aber einen Totenschein für eine junge Frau ausgestellt hatte, die, nicht nur nach Ansicht vom Vater, ermordet worden war. Also musste ich unauffällig an das Original des Papiers kommen und sehen, ob da noch Fingerabdrücke zu finden waren, die mich zu dem ‚Arzt‘ führen würden. Eine Obduktion von Gina Wille konnte ich nicht anordnen, müsste mir aber auch dazu etwas einfallen lassen, um sicherzugehen, dass die Behauptung des nicht freiwillig verblichenen Staatssekretärs und meine Vermutung stimmten.
Das wird sich arrangieren lassen, aber nicht mehr heute.
Still trabten wir zurück zur Villa der Familie Fischer. Musste ich mir wirklich Sorgen um mein eigenes Leben machen? War ich durch meine kurze Begegnung mit Wille in ein Wespennest getreten, dessen Bewohner mich stechen konnten? Ich stimmte mit Fanny ab und wir waren beide für „Ja“.
Scheiße. Wieder einmal Gefahr für Anna.
Als Erstes ging ich am Montagmorgen zu meiner Bankfiliale. Die würden sich riesig freuen, wenn mein Konto endlich wieder schwarze Zahlen auswies. Die Ärsche waren nur deshalb noch freundlich zu mir, weil sie meinen Job kannten. Als erster Hauptkommissar, Besoldungsgruppe A13 im höheren Dienst, hatte ich mit Zuschlägen, die fast höher als mein Gehalt waren, immer so um die 5.000 € netto überwiesen bekommen. Bei Auslandseinsätzen noch ‘nen Tausender drauf. Beamter, dachten die sich. Kann nichts anbrennen. Dass die mich beim BLKA gefeuert hatten, sagte ich denen nicht. Wozu auch? Aber der geschniegelte Affe auf seinem geschniegelten Bürosessel, an seinem geschniegelten, leeren Schreibtisch, der aussah wie sein Gehirn, ahnte, dass mit mir etwas nicht stimmen würde, weil nur noch unregelmäßig Geld einging. Auch da trickste ich, aber das ging die nichts an. So lange ich noch konnte, hob ich von meiner Dienst-Kreditkarte, die das LKA erst sechs Wochen nach meiner Entlassung angemahnt hatte, so viel Geld wie möglich ab und zahlte es gleich wieder cash auf mein Konto ein. Das sah dann für den Geschniegelten so aus, als ob immer noch Kohle da sei. Funktionierte leider nicht lange.
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