Sowohl für die Wirtschaft als auch die Verwaltung besonders bedeutsam ist die, auf dieser neuen Grundlage geschaffene Regelung für das Recht des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen. Mit Inkrafttreten der jetzt AwSV genannten bundeseinheitlichen Verordnung werden alle entsprechenden Übergangsregelungen, die seit Inkrafttreten des neuen Wasserhaushaltsgesetzes die entsprechenden Landesregelungen (ex-VAwSen) fortgeführt haben, außer Kraft gesetzt.
Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen konkretisiert – jetzt bundeseinheitlich und damit identisch – die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des neuen WHG (§§ 62 und 63). Sie enthält überwiegend stoff- und anlagenbezogene Regelungen, von denen durch Landesrecht nicht abgewichen werden darf (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG).
1.2.2 Grundlagen
Im vorhergehenden Absatz ist aufgeführt, dass die AwSV vor allem stoff- und anlagenbezogene Regelungen enthält. Bei der Betrachtung des Anwendungsbereichs der AwSV sind daher vor allem folgende Themenkomplexe zu beachten und zu bearbeiten:
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Sind wassergefährdende Stoffe (Gemische) vorhanden, und falls ja, welche Einstufung (i. d. R. Wassergefährdungsklasse 1–3) weisen die Stoffe/Gemische auf? |
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Welche Mengen an Stoffen sind vorhanden (Risikopotenzial)? |
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Was fällt unter den Begriff einer „Anlage“? |
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Welche Arten betriebsorganisatorischer und/oder technischer Maßnahmen sind betroffen/zu ergreifen? |
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Wo steht die Anlage? (vor allem bei Aufstellung in einem ausgewiesenen Überschwemmungsgebiet, Wasserschutzgebiet bzw. einer Trinkwassergewinnungszone) |
1.2.3 Wassergefährdende Stoffe
{Wassergefährdende Stoffe}
Bei der Frage, ob bestimmte Regelungen gelten oder nicht – ob sie also betrieblich beachtet werden müssen oder ignoriert werden können –, ist in Bezug auf die AwSV zunächst zu klären, ob es sich bei den Stoffen bzw. Gemischen, die in Rede stehen, um wassergefährdende Substanzen handelt oder nicht.
Berücksichtigt werden müssen
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(chemisch) reine {Substanz, chemisch rein} Substanzen, |
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technisch reine Substanzen {Substanz, technisch rein} (d. h. Substanzen, die z. B. noch herstellungsbedingt aus dem Syntheseprozess stammende Restverunreinigungen oder aber zur Unterdrückung, bspw. spontaner Zersetzung oder Polymerisierung, zugesetzte Stabilisationsmittel enthalten), |
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Gemische {Gemische} aller Art, d. h. Mischungen verschiedener chemisch oder technisch reiner Substanzen, ggf. mit weiteren Substanzen stark schwankender oder nahezu überhaupt nicht definierter Zusammensetzung. Des Weiteren fallen nicht gezielt entstehende Mischungen unter die Regelungen der AwSV. Damit sind u. a. auch Abfälle gemeint, welche in der Vergangenheit oft nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Insbesondere beim Umgang mit als gefährlich eingestuften Abfällen (der jeweilige Abfallschlüssel nach Abfallverzeichnisverordnung trägt ein Sternchen) ist davon auszugehen, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen wassergefährdenden Stoff handelt. |
Unberücksichtigt bleibt dabei die physikalische Form der jeweiligen Materialien. Das heißt für die Beantwortung der Frage, ob die Anforderungen der AwSV beachtet werden müssen, ist es völlig egal, ob es sich bei den Materialien um Gase, Flüssigkeiten oder Feststoffe handelt.
Bei ggf. mehr oder weniger wasserlöslichen Flüssigkeiten ist der Zusammenhang mit dem Risiko gewässerbelastender Auswirkungen bei einer Einleitung „wassergefährdender“ Substanzen direkt offensichtlich.
Bei der Einleitung in ein Gewässer bzw. indirekt in die vorkommende Fauna und Flora haben aber viele Gase gefährliche Eigenschaften. Werden z. B. unter Druck verflüssigte Gase (Propan, Butan, Chlor, Schwefeldioxid, …) frei und damit drucklos, so verdampft ein erheblicher Teil der Gase. Der andere Teil liegt anschließend als kalte Flüssigkeit vor, die unter Normaldruck steht. Gelangt diese kalte Flüssigkeit in ein Gewässer, so löst sich bspw. CO2 unter Bildung von Kohlensäure, was zu einer entsprechenden schädigenden Verschiebung des pH-Wertes im Wasser führt. Die Einleitung von Schwefeldioxid in Wasser führt zur Bildung ätzender schwefeliger Säure.
Auch Feststoffe können, je nachdem wie toxisch sie sind und wie stark sie sich in Wasser lösen, stark negative Auswirkungen auf ein Gewässer haben. Wird bei einem Starkregen ein Teil eines Lagerhaufens sauberer Kies in einen kleinen Teich gespült, verdrängt er zwar Wasser, aber ansonsten geschieht der Fauna und Flora kein Schaden. Falls es sich beim abgespülten Material jedoch um Streusalz handelt, das untauglich gelagert wurde, können z. B. die Fische und Kaulquappen an zu hohem Salzgehalt zu Grunde gehen.
Zusammenfassend heißt das, dass – mit Ausnahme von Wasser und chemisch völlig inerten Materialien – nahezu alle Substanzen zumindest potenziell unter den Anwendungsbereich der AwSV fallen. Hier ist bei der Anwendung der AwSV besondere Vorsicht geboten, um nicht fälschlicherweise ganze Anlagenteile aus dem Betrachtungsbereich der AwSV herauszunehmen, da diese Anlagen bei oberflächlicher Betrachtung irrtümlicherweise keine wassergefährdenden Stoffe enthalten.
Für die Einstufung in die unterschiedlichen Wassergefährdungsklassen bzw. Zuordnung zu „nicht wassergefährdend“ und „allgemein wassergefährdend“ verantwortlich ist grundsätzlich der Betreiber der jeweiligen Anlage. Hauptinformationsquelle für gekaufte Materialien sind die jeweils zugehörigen Sicherheitsdatenblätter {Sicherheitsdatenblatt}. Dort finden sich u. a. in Abschnitt 16 Angaben zu Wassergefährdungsklassen bzw. in Abschnitt 12 Daten zu ökotoxikologischen/umweltrelevanten Daten, die bei der selbst durchgeführten Einstufung in eine Wassergefährdungsklasse hilfreich sein können (siehe Anlagen zur AwSV).
Hinweis |
Vertrauen Sie nicht blindlings auf Angaben in Sicherheitsdatenblättern, insbesondere wenn sie mit der Bemerkung „WGK X (Selbsteinstufung)“ versehen sind. Eine gewisse Plausibilitätsprüfung ist immer erforderlich. Wird der Stoff im Text als „nicht wassergefährdend“ bezeichnet, weist aber einen LC50-Wert von z. B. 0,15mg/l auf, kann etwas nicht stimmen. |
Neben öffentlich zugänglichen Datenbanken öffentlich-rechtlicher Betreiber (z. B. GESTIS) sind insbesondere Recherchen in den unter REACH erstellten Dokumentationen oft sehr hilfreich.
Liegen solche Daten nicht vor, ist der Betreiber allein für die Zuordnung von Wassergefährdungsklassen verantwortlich. Das kann ggf. bedeuten, dass man entweder nach dem Motto „Keine Daten sind immer schlechte (worst-case) Daten“ handelt, also alles auf Wassergefährdungsklasse 3 auslegt (relativ teuer in Investition und Unterhalt), oder andererseits aufwendige und teure Messungen durchführen lassen muss, um zu einer korrekten Einstufung in eine Wassergefährdungsklasse zu kommen.
1.2.4 Mengen
{Mengen}
Bei der Betrachtung von Mengen gilt auch im Bereich der AwSV der Satz: „Nur die Menge macht, dass etwas kein Gift ist.“ (Paracelsius)
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