Diese Pandemie hat in der jüngeren Geschichte keine Parallelen. Sie ist der größte wirtschaftliche Schock seit dem Zweiten Weltkrieg. Für das 2. Quartal 2020 in Deutschland vermeldet das Statistische Bundesamt mit –9,7 Prozent den stärksten Quartalsrückgang seit Beginn der Berechnungen im Jahr 1970. Eine eindrückliche Zahl und doch nur ein Mittelwert. Dahinter steht die enorme Spreizung von Unternehmen und persönlichen Schicksalen. Den einen kostet die Krise die Existenz, wenige erleben einen Boom, und die meisten Unternehmen kämpfen mittendrin. Aber womöglich sind die Ausgangschancen der Unternehmen in Deutschland besser als die ihrer europäischer Nachbarn. Eine McKinsey-Studie unter kleinen und mittleren Unternehmen zeigt, dass deutsche Unternehmen im Vergleich zu Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich bessere Chancen für einen geschäftlichen Neustart haben, da sie wirtschaftlich weniger getroffen wurden.
Für die Akteure in den Unternehmen stellte diese Krise ein beispielloses Maß an Unbekanntheit und Unsicherheit dar, zunächst in Bezug auf den Schutz ihrer Mitarbeiter, seitdem auf der Suche nach neuen Strategien. Wie werden sich ihr Unternehmen, ihre Branche und wirtschaftliche wie politische Rahmenbedingungen in Zukunft entwickeln? Und wie sollen sie darauf reagieren? Niemand hat eine Blaupause. Sicher ist nur: Die Neue Normalität (»New Normal«) verändert alle Ebenen eines Unternehmens, Organisation wie Produktion, Mensch und Maschine.
Wir haben Unternehmen aus nahezu allen Branchen seit Jahren begleitet – auch und gerade seit dem ersten Tag der Corona-Pandemie. Wir sehen ihre Herausforderungen, und spüren sie auch selbst als Unternehmen. Nach dem ersten schweren Schock zeigt sich: Drei Themen werden die Unternehmen im Jahr 2021 und darüber hinaus prägen: Menschen, Märkte, Lieferketten. Wie ist die jeweilige Ausgangslage und welche konkreten Handlungsempfehlungen können wir geben? Das haben wir im Folgenden untersucht.
2.1 Zukunftsfähigkeit: Innovative Geschäftsmodelle
Einen eindeutigeren Beweis hat es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Unternehmen, die schnell auf eine Krise reagieren können, überleben. Wer es nicht kann, steht vor einer mehr als unsicheren Zukunft.
Ehrliche Bestandsaufnahme
Binnen Tagen hat die Pandemie Schwächen in der Unternehmensaufstellung und -führung offengelegt. »Wir haben Grenzen und Silos auf eine Art und Weise beseitigt, die sich niemand zuvor hätte vorstellen können«, beschreiben zahlreiche CEOs ihre Erfahrungen in einer McKinsey-Umfrage. Oder: »Wir haben gelernt, welche Fähigkeiten in unseren Unternehmen wirklich erforderlich sind«. Plötzlich wurde gehandelt statt diskutiert, kooperiert statt beäugt. Unterschiedlichste Firmen nutzen seitdem digitale Plattformen, um ihre Kompetenzen über die Betriebsabläufe hinweg zu bündeln. Wenn auch unter Wachstumsschmerzen lautet das Fazit dieser CEOs: »Es gibt kein zurück«. Denn Entscheidungen fielen schneller und oft in neuen, kompetenten und cross-funktionalen Teams. Bürokratische Prozesse wurden ausgehebelt und die Kommunikation offener. Ein wenig wie in Deutschlands Schulen: Dort diskutierten ministerielle Führungskräfte jahrelang das Wie und Wann der Digitalisierung. Erst unter dem Druck, Kinder außerhalb der Schulräume unterrichten zu müssen, wurde Ideen in Windeseile umgesetzt – zumindest in Teilen.
Der Digitalisierungsfortschritt der Schulen ist schwer messbar. Anders bei Unternehmen: Im Schnitt um drei bis vier Jahre verkürzten erfolgreiche Unternehmen schon nach dem ersten Krisen-Halbjahr die Digitalisierung ihrer Kundenbeziehungen und Lieferketten sowie ihrer internen Abläufe. Um erstaunliche sieben Jahre beschleunigte sich der Anteil digitaler oder digital unterstützter Produkte in ihren Portfolios. Auch das zeigt eine aktuelle McKinsey-Studie. Heute sind mindestens 80 Prozent der Kundeninteraktionen dieser Unternehmen digital. Doch Verallgemeinerungen verbieten sich. Es kommt auf die Branche an. Den Führungskräften bspw. von verpackten Konsumgütern (CPG) ließ der Virus mehr Luft zum Atmen. Sie berichten von relativ geringen Veränderungen in ihren digitalen Produktportfolios. Bereiche wie Gesundheitswesen, Telemedizin und Pharma, Finanzdienstleistungen und freiberufliche Dienstleistungen trieb der Virus vor sich her. Sie machten einen fast doppelt so großen Digitalisierungssprung wie die CPG-Unternehmen. Stationäre Händler erobern den E-Commerce, Online-Händler dehnen ihr Produktportfolio aus, Banken erleben einen dramatischen Verhaltenswandel bei ihren Kunden und deren steigendem Interesse an neuen, digitalen Anbietern von Finanzprodukten.
Innovationen werden belohnt
Es ist Zeit durchzuatmen. Die ersten Schlachten sind geschlagen. Jetzt lautet die Aufgabe: Wie lassen sich Organisation und Geschäftsmodell der Neuen Normalität auf Dauer anpassen – ohne in alte Verhaltensweisen zurückzufallen? Kein Hexenwerk, der Werkzeugkasten ist bekannt. Zum Beispiel beim Thema Innovationen. Covid-19 hat den Trend zum immer höheren Innovationstempo nur nochmals beschleunigt. Künftige Geschäftsmodelle müssen mehr denn je in der Lage sein, schnell zu innovieren, sich anzupassen und zu skalieren. Im Kleinen wie im Großen. So haben findige Unternehmer seit Ausbruch der Krise neue Umsatzmöglichkeiten entdeckt. Sie kooperieren erfolgreich mit Medizintechnikern. Läden bieten Lieferdienste an, Musiker lassen sich für Privatkonzerte buchen. Wann, wenn nicht jetzt? Der Ernst der Lage gibt den Unternehmen die Lizenz zur Umverteilung von Prioritäten, Ressourcen und Geldern und zu einem neuen Fokus auf Nachhaltigkeit und Gemeinsinn. Zugleich ist die Bereitschaft der Kunden gestiegen, sich auf neue Konzepte einzulassen. Aber zahlt sich das auch aus?
Die Antwort gibt ein eindrucksvolles Chart (
Abb. 3 Abb. 3: Marktkapitalisierung innovativer Unternehmen der von McKinsey befragten CFOs und CSOs erwarten(zumindest kurzfristig) Schwierigkeiten beim Cashflow, vor allem aufgrund von Zahlungsproblemen bei den Kunden. 30 Prozent befürchten weitere Unterbrechungen ihrer Lieferketten. Auch diese Führungskräfte müssen agiler als bisher arbeiten, ihre Prozesse flexibilisieren und dafür neue Instrumente finden. CFOs haben erkannt, dass der traditionelle Budgetierungsprozess nicht zukunftsfähig ist. So geben in dieser Umfrage bspw. 43 Prozent der CFOs an, dass sie ihre gesamten Prozesse rationalisieren müssen, um schneller und effizienter reagieren zu können. 65 Prozent erwarten, dass im Jahr 2021 und darüber hinaus verstärkt rollierende Prognosen eingesetzt werden. Abbildung 4 zeigt, welche Schritte eine erfolgreiche Planung für 2021ff. enthalten sollte. Die COVID-19-Krise hat Wertverschiebungen beschleunigt. Das bedeutet, die Messlatte, um an der Spitze zu bleiben, liegt künftig noch höher als bisher. Im Vordergrund steht die Analyse, welche Trends durch eine dritte Corona-Welle nochmals beschleunigt werden könnten, das Denken in mehreren Szenarien und die Frage, welche Investitionen dann sinnvoll sind. Auch dafür muss finanzielle Liquidität zur Verfügung stehen. Unternehmen müssen sich ehrlich machen: Wie zukunftsfähig ist ihr Geschäftsmodell wirklich und wo liegen realistisch neue Optionen? Wer bisher gut durch die Krise gekommen ist, kann seinen Startvorteil in eine sehr starke Position für die kommenden Jahre umwandeln. Wer ins Hintertreffen geraten ist oder in seinem Sektor unterdurchschnittlich abschneidet, der hat vielleicht nur noch eine letzte Chance. Abb. 4: Schritte für eine erfolgreiche Unternehmensplanung
) zur Marktkapitalisierung solcher Unternehmen seit der Finanzkrise im Jahr 2008: Ihre Entscheidungsfreude und Tatkraft wurden nachhaltig belohnt. Innovative Outperformer lagen bei der Marktkapitalisierung nicht nur 2009, zum Tiefpunkt dieser Krise, zehn Prozent über dem Durchschnitt. Auch in den Jahren danach übertrafen sie den Markt um mehr als 30 Prozent.
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