Mutoni, eine junge, gebildete Frau aus Ruanda, beschließt nach dem Tod ihrer Mutter auszuwandern. Über eine ehemalige Mitschülerin erhält sie das Angebot, nach Hamburg zu ziehen und dort einen Mann zu heiraten. Voller Zuversicht und Hoffnung auf ein besseres Leben begibt sie sich auf den Weg nach Deutschland. Entgegen ihren Erwartungen findet sie sich jedoch schon bald in unterdrückenden, teils gewaltvollen Arbeitsverhältnissen wieder.
Die Erfahrungen, die sie als Schwarze Migrantin in Deutschland alltäglich macht, führen sie schließlich zu einer unerwarteten Entscheidung.
Divine Gashugi Umulisa, bekannt unter ihrem Pseudonym Tete Loeper, ist in Ruanda geboren. Sie überlebte den Völkermord an den Tutsi im Exil in Burundi und im Kongo.
In Ruanda arbeitete sie nach ihrem Journalismusstudium unter anderem in Forschungsprojekten mit gefährdeten Mädchen und jungen Frauen und leitete Workshops für kreatives Schreiben.
Seit 2016 lebt sie in Deutschland und ist als Autorin, Schauspielerin und Bildungsreferentin für interkulturellen Austausch und globales Lernen tätig.
Tete Loeper
Roman
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Danksagung
Glossar
Meine Familie lebte in Kigali, der Hauptstadt Ruandas im Herzen Afrikas. Unser Haus befand sich hinter dem Nyamirambo-Markt, einem Viertel, das nach rohem Fisch roch, sobald die Sonne aufging.
Der Abendwind zerstreute die fettigen Gerüche von Chapati und Samosa, die auf Kohleöfen frittiert und an jeder Straßenecke verkauft wurden. Obwohl ich in diesem Teil von Nyamirambo aufgewachsen war, gab es eine Sache, die ich nie imstande war zu lernen: die Fliegen, die aus unserem Klo kamen, von denen zu unterscheiden, die auf dem Markt herumflogen (oder vielleicht gab es am Ende doch keinen Unterschied?).
Wie meine Altersgenossen träumte auch ich davon, den besten Job in Ruanda zu bekommen. Ich wollte die erste Person in meiner Familie sein, die ein Auto besitzt. Ich sprach davon, in eine Wohnung in Kiyovu zu ziehen, dem vornehmsten Viertel von Kigali, und natürlich die Liebe meines Lebens zu heiraten. Als sich mir die Realität in aller Härte offenbarte, wünschte ich mir, ich hätte gewusst, dass Träume zwar für alle umsonst sind, aber nur sehr wenige den Preis bezahlen können, den es kostet, ihre Träume in die Realität umzusetzen. Keiner meiner Kindheitsträume ging in Erfüllung, und es schien so, als müsste ich mein ganzes Leben darauf warten.
Die meisten meiner ehemaligen Mitschülerinnen haben geheiratet, feste Jobs bekommen oder sind ins Ausland gezogen. Ich saß an demselben Ort fest, nur mit meinem Bachelor-Abschluss und ohne Hoffnung für die Zukunft » Ese uzaduha inzoga ryari? Wann wirst du uns Getränke anbieten?«, haben mich alle gefragt. Das ist eine indirekte Art zu fragen: »Wann wirst du heiraten?« Eine typische Frage, die Ruander einer 23-Jährigen stellen, die keinen Verlobten vorweist oder über Heiratspläne spricht.
Gesellschaftlicher Druck etablierte die Ehe zu einer Errungenschaft für Mädchen und diente als Flucht vor finanziellen Verpflichtungen. Ich hatte vor einem Jahr meinen Universitätsabschluss gemacht und war immer noch damit beschäftigt, meinen Lebenslauf überall hinzuschicken, in der Hoffnung, dass ich eines Tages wenigstens die ersehnte Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen würde. Aber nach dem Tod meiner Mutter nahm das Leben eine andere Richtung.
Was meinen Vater betraf, so hatte ich, abgesehen von dem Wissen, dass er der Mann war, der sein Vermögen nutzte, um seinen Weg zwischen die Schenkel wehrloser Mädchen zu finden, keine Erinnerung an ihn. Ich lebte so, als hätte er nie existiert. Mein Vater, John Musonera, hatte Mama getroffen, als sie erst 18 war, auf dem Weg zum APACE-Schulzentrum, wo sie das Gymnasium besuchte. Er hielt mit seinem RAV 4 zu dicht vor ihr an, als wollte er ihr über die Füße fahren.
»Willst du mitfahren?«, fragte er und musterte ihre Silhouette.
»Nein danke, meine Schule ist dort«, sie zeigte auf ein Gebäude ein paar Meter entfernt.
»Komm schon, ich kann dich trotzdem hinfahren. Es ist ja nicht so, als ob meine Autositze Dornen hätten, die deinen schönen Körper verletzen könnten«, sagte er lächelnd.
Widerstrebend nahm sie sein Angebot an. Sie kletterte hastig in sein Auto und starrte aus dem Fenster.
»Also, wie ist dein Name? Meiner ist John, aber du kannst mich Jo nennen.« Er fasste sie ans Kinn und drehte ihr Gesicht ihm zu.
»Bitte fahren Sie, sonst steige ich aus und gehe zu Fuß. Ich darf nicht zu spät kommen«, sagte sie und schob seine Hand aus ihrem Gesicht.
»Okay, aber nur, wenn du mir deinen Namen sagst.«
»Nirere Speciose. Ich mag es lieber Nirere genannt zu werden. Könnten Sie jetzt bitte fahren oder die Tür öffnen und mich zu Fuß gehen lassen?«
Er fuhr sehr langsam, während er den Jingle mitsang, der im Radio lief.
»Imodoka zubu zaranyobeye ugenda mu muhanda ikaguhitana, wayihungira kure, ikagusanga yo . Die Autos sind heute verrückt geworden, du läufst auf der Straße und sie verfolgen dich. Auch wenn du weitergehst, verfolgen sie dich.«
Er parkte hinter dem Schulgebäude und zog sein Portemonnaie aus der Tasche, bevor er die Tür öffnete, damit sie aussteigen konnte.
»Das ist für dich«, sagte er und überreichte ihr 5000 ruandische Francs. »Vielleicht kannst du damit ein Taxi oder ein Motorrad nach Hause nehmen. Ich hasse es, ein hübsches Mädchen wie dich auf diesen dreckigen staubigen Straßen laufen zu sehen. Du solltest in eine bessere Gegend wie Kacyiru oder Kiyovu ziehen.«
»Danke, Sir … John, Jo, meine ich«, stotterte sie. »Ich danke Ihnen sehr. Sie haben keine Ahnung, wie sehr ich das Geld gebrauchen kann. Möge Gott Sie segnen.«
»Hör mal, wir können später reden und sehen, wie ich mich um dich kümmern kann. Natürlich muss man sich um dich kümmern«, sagte Jo, dem ihre Euphorie nicht entging. Er streichelte ihren Oberschenkel.
»Ich wusste nicht, dass es noch gütige Menschen gibt. Vielen Dank, John«, antwortete sie.
»Bitte, nenn mich Jo.« Er zog ein Stück Papier heraus, kritzelte etwas darauf und reichte es ihr. »Das ist meine Nummer, ruf mich an, wenn du besprechen willst, wie ich dich unterstützen kann. Okay?«
»Ich werde Sie heute nach der Schule anrufen. Versprochen.«
Er öffnete ihr die Tür, damit sie aussteigen konnte, und sagte: »Ach, weißt du was, hier in der Nähe gibt es eine Kneipe, die machen sehr gutes Hähnchen und Fisch, da können wir später essen.«
Hähnchen? Fisch? Das war Essen, von dem Mama noch nicht einmal wagte zu träumen, da sie es sich nicht leisten konnte. Diese Speisen waren Kindern vorbehalten, die reiche Eltern hatten. Sie schob die 5000 Francs in ihren blauen Uniformrock und steckte ihr weißes Hemd in die Hose, so wie die Schulleitung es vorschrieb, dass die Schüler sich anziehen sollten. Dann betrat sie das Schulgebäude.
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