Kurz vor seinem Tod hat Schubart bilanziert, was gewiss auch als eine seiner Charaktereigenschaften bezeichnet werden kann. In einem Brief an Ludwig SchubartSchubart, Ludwig Albrecht vom 16. Februar 1791 schreibt er: „Wenn man so bekannt ist, wie ich; so kann man nicht mehr ganz unpartheiisch seyn.“42 In den Briefen, insbesondere im Briefwechsel mit seinem Sohn Ludwig Albrecht, zeigt sich ein durchaus anderer, politisch sehr engagiert argumentierender Schubart. Vor allem die Ereignisse im revolutionären Frankreich des Jahres 1789 nötigen ihm immer wieder Bekenntnisse und Kommentare ab, die öffentlich getan ihm schnell das Etikett einer jakobinisch gesinnten Einstellung hätten einhandeln können. Seit 2006 liegt der vollständige Briefwechsel – zumindest soweit er erhalten geblieben ist – Schubarts vor und muss zur Beurteilung der Person und des Werks herangezogen werden, will man nicht diese Seite des Autors ignorieren.
Am 15. August 1789 etwa ist zu lesen: „Jetzt, da die Freiheitsgluth so weit um sich frißt, da es scheint, das menschliche Geschlecht wolle den Tirannen die Ketten ums Ohr schmeissen; […]. Mein Gott, was für eine armseelige Figur machen wir krumme und sehr gebükte Deutsche – iezt gegen die Franzosen! […]. O Deutschland, wie tief bist du gefallen!! – –“43 Das Gedicht FreiheitFreiheit (1789) liest sich dann schon wieder wie eine Kontrafaktur zum Briefwechsel. Hier warnt Schubart vor revolutionärem Umsturz: „Ein Volk, bespritzt mit Blut, verdient nicht frei zu sein, / In härtre Sklaverei stürzt es sich selbst hinein.“44 Und über seine Landsleute schreibt er öffentlich in dem Gedicht Der DeutscheDer Deutsche (1790), im Ton eher beschwörend als beschreibend: „Gott liebt er, ist den Obern treu / Wie Gold – und doch kein Sklav dabey.“45 Am 17. September 1789 heißt es, wiederum in einem Brief an den Sohn: „Heil mir, daß ich die Zeit erlebte, wo man das schändliche Büken und Beugen u. Krümmen vor den Feudegöttern [!], die so wohl wie unser Eins auf den Nachtstuhl müßen, für Idololatrie hält.“46 Der Kommentar zum Briefwechsel mutmaßt plausibel in dem Wort „Feudegötter“ eine Wortneuschöpfung Schubarts, die semantisch den Feudalismus aufruft. Im Brief an den Straßburger Jakobiner Andreas MeyerMeyer, Andreas vom 4. Juli 1791 nennt SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel dessen politische Vision gar eine „Vorempfindung des Reichs Gottes“47, um wenige Tage später, am 9. Juli 1791, einen Monat vor seinem Tod, seinem Sohn folgendes Bekenntnis abzulegen: „In der politischen Welt sieht es jämmerlich aus. Ich sehe in diesem Toben der Völker, in diesem Freiheitsgebrülle, in diesem überhandnehmenden Ungehorsam gegen göttliche und weltliche Geseze, die Nacht der Zerrüttung und Barbarei sich nähern. […] Kein Staat hat in diesem ganzen Jahrhundert, das doch so reich an Paradoxien ist, in Einer Jahresfrist, so abscheuliche politische Fehler gemacht, als Preußen.“48 Antipathie gegenüber der russischen Zarin paart sich mit einer Verherrlichung Friedrich II.Friedrich II., der für Schubart der Inbegriff kluger Politik bleibt. Schon am 31. Mai 1790 hatte er seinem Sohn bekannt: „Kein Mensch kann Preussischer seyn als ich; dies weißt du wohl, da du mir ja selbst in meinem Kerker schwören mußtest, dich ganz für Preussen hinzuopfern.“49 Verständlich, wenn man bedenkt, dass das preußische Königshaus sich mit Nachdruck und mit „energischen diplomatischen Schritten“50 für die Freilassung Schubarts engagierte. Und verständlich vielleicht auch, dass er ein patriotisches PreußenliedPreußenlied (1790) schreibt, in dem es heißt: „Kein Preuße scheut die finstre Schlacht, / Kein Preuße schont sein Blut!“51 Dieser rhetorische Patriotismus war es denn auch, der Schubart seine Anerkennung im 19. Jahrhundert sicherte.
Eines wird damit offensichtlich: Schubart lebt die Spaltung in öffentliche Person und private Person, in öffentliches, und das heißt meist erzwungenes Geständnis und Zugeständnis, und dessen privaten Widerruf.
Ist SchubartSchubart, Christian Friedrich Daniel aktuell? Jedenfalls ist diese Bemerkung aus seinen Ideen zu einer Ästhetik der TonkunstIdeen zu einer Ästhetik der Tonkunst zeitlos: „Auch die populäre Musik ist ohne Naturausdruck ein Aas, das mit Recht auf dem Anger begraben wird.“52
Hölderlin Luther (1802/1806)
„LutherLuther, Martin
meinest du zum Dämon
Es solle gehen,
Wie damals? Nämlich sie wollten stiften
Ein Reich der Kunst. Dabei ward aber
Das Vaterländische von ihnen
Versäumet und erbärmlich ging
Das Griechenland, das schönste, zu Grunde.
Wohl hat es andere
Bewandtnis jetzt.
Es sollten nämlich die Frommen
und alle Tage wäre
Das Fest.
Also darf nicht
Ein ehrlich Meister
und wie mit Diamanten
In die Fenster machte, des Müßiggangs wegen
Mit meinen Fingern, hindert
so hat mir
Das Kloster etwas genützet,
Denn gute Dinge sind drei.
Nicht will ich
Die Bilder dir stürmen.
und das Sakrament
Heilig behalten, das hält unsere Seele
Zusammen, die uns gönnet Gott. Die Geheimnisfreundin
Die gesellige, die auch waltet in Gärten in Italia Pomeranzen pflanzt
Weithin, Gott woll
An unser End
Hier sind wir in der Einsamkeit
Und drunten gehet der Bruder, ein Esel auch dem braunen Schleier nach, allbejahend
Von wegen des Spotts
Wenn aber der Tag
Schicksale macht, denn aus Zorn der Natur-
Göttin, wie ein Ritter gesagt von Rom, in derlei
Palästen, gehet itzt viel Irrsal,
Und Julius Geist um derweil, welcher Kalender
Gemachet, und dort drüben, in Westphalen,
Mein ehrlich Meister
Gott rein und mit Unterscheidung
Bewahren, das ist uns vertrauet,
Damit nicht, weil an diesem
Viel hängt, über der Büßung über einem Fehler
Des Zeichens
Gottes Gericht entstehet.
Ach! kennet ihr den nicht mehr
Den Meister des Forsts, und den Jüngling in der Wüste, der von Honig traun
Und Heuschrecken sich nährt. Still Geists ists. Oben wohl.
Auf Monte, wohl auch seitwärts,
Irr ich herabgekommen
Über Tyrol, Lombarda, Loretto, wo des Pilgrims Heimat
auf dem Gotthard, gezäunt, nachlässig, unter Gletschern
Karg wohnt jener, wo der Vogel
Mit Eiderdünnen, eine Perle des Meers
Und der Adler den Accent rufet, vor Gott, wo das Feuer läuft der Menschen wegen
Des Wächters Horn tönt aber über den Garden
Der Kranich hält die Gestalt aufrecht
Die Majestätische, keusche, drüben
In Patmos, Morea, in der Pestluft.
Türkisch. und die Eule, wohlbekannt den Schriften
Spricht, heischern Fraun gleich in zerstörten Städten. Aber
Die erhalten den Sinn. Oft aber wie ein Brand
Entstehet Sprachverwirrung. Aber wie ein Schiff,
Das lieget im Hafen, des Abends, wenn die Glocke lautet
Des Kirchturms, und es nachhallt unten
Im Eingeweid des Tempels und der Mönch
Und Schäfer Abschied nehmet, vom Spaziergang
Und Apollon, ebenfalls
Aus Roma, derlei Palästen, sagt
Ade! unreinlich bitter, darum!
Dann kommt das Brautlied des Himmels.
Vollendruhe. Goldrot. Und die Rippe tönet
Des sandigen Erdballs in Gottes Werk
Ausdrücklicher Bauart, grüner Nacht
Und Geist, der Säulenordnung, wirklich
Ganzem Verhältnis, samt der Mitt,
Und glänzenden
Auf falbem Laube ruhet
Die Traube, des Weines Hoffnung, also ruhet auf der Wange
Der Schatten von dem goldenen Schmuck, der hängt
Am Ohre der Jungfrau.
Und ledig soll ich bleiben
Leicht fanget aber sich
In der Kette, die
Es abgerissen, das Kälblein.
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