Erfolgt das Zuspiel besonders kurz (d. h., der Ball wird sehr flach zugespielt), so muss schnell und flexibel eine andere Technik, nämlich die des unteren Zuspiels („Baggern“), angewandt werden. Dieses Ausmaß möglicher situativer Neuanpassungen kommt bei individualsportlichen (geschlossenen) Fertigkeiten nicht zum Tragen.
Darüber hinaus haben bewegungsübergreifende Leistungsvoraussetzungen (Fähigkeiten)einen wichtigen Einfluss, wie auch im Falle des Handstands. Die Spielsituation „ungenaue Annahme im 6 gegen 6“ legt nahe, dass hier neben dem Beherrschen der Technik etwa die konditionelle Komponente Schnelligkeit besonders zentral ist.
Studienbegleitende Prüfungen in Praxiskursen eines Sportstudiums zeichnen sich in der Regel durch das Begutachten der Demonstrationsfähigkeitsportartspezifischer Fertigkeiten aus. Geprüft werden sowohl Individualsportarten, wie Schwimmen, Turnen, Gymnastik/Tanz und Leichtathletik als auch Sportspiele wie Basketball, Handball, Fußball oder Volleyball sowie Rückschlagspiele (z. B. Tischtennis). Insofern gilt es im Laufe eines Studiums, Theorie und Praxis einer großen Bandbreite an Bewegungsfeldern zu erschließen und die je sportartspezifischen Techniken (Fertigkeiten) bis zur eigenen Demonstrationsfähigkeit zu trainieren.
Der eigenen Erfahrung nach werden die Bewertungskriterien praktischer Prüfungen durch die durchführenden Dozenten transparent und differenziert erläutert. Zudem gibt es zumeist institutionalisierte Übungsgruppen, die parallel zum Semesterbetrieb von erfahrenen und besonders affinen Studierenden angeboten werden.
Angesichts der Vielfalt an praktischen (Prüfungs-)Disziplinen leuchtet es ein, dass wohl nur die wenigsten Sportstudierenden ohne größeren Trainingsbedarf alle Praxisprüfungen problemlos durchlaufen können. In Ausnahmefällen wird unter Studierenden häufig umgangssprachlich von „Allroundern“ („Alleskönnern“) 11gesprochen. Damit waren stets diejenigen gemeint, welche bereits nach kurzer Übungszeit sportspezifische Techniken umsetzen konnten, obwohl der betreffende Sportbereich bis dato nicht zu ihrem motorischen Profil gehörte. Diese verfügten jedoch bereits vorher über gut ausgeprägte motorische Grundfähigkeiten– sowohl im Bereich der Konditionals auch hinsichtlich der Koordination.
Unter Konditionwird das Niveau der Ausdauer-, Kraft- und Schnelligkeitsfähigkeiten und der mit ihnen unmittelbar verknüpften psychischen Leistungsvoraussetzungen verstanden. Vielfach wird auch die Beweglichkeit eingeschlossen, die aufgrund ihrer wichtigen Funktion für die koordinativen Fähigkeiten jedoch heute nicht mehr eindeutig den konditionellen Fähigkeiten zugerechnet wird. 12Kondition kann insofern als Sammelbegriff für Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit aufgefasst werden (vgl. Abb. 2). 13
Abb. 2: Konditionelle Grundeigenschaften und ihre Definitionen
Koordinationbeschreibt „das Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur innerhalb eines gezielten Bewegungsablaufs“ 14. Hier lässt sich u. a. die o. g. Komponente Orientierungsfähigkeit einordnen. Betrachtet man Koordination im Sinne einer Leistungskomponente, so steht dieser Begriff für eine Reihe koordinativer Fähigkeiten. 15
Besondere Begabungen in bestimmten Sportarten bei gleichzeitig fehlendem Talent in anderen Individualsportarten und/oder Sportspielen sowie gering ausgebildete sportartübergreifende Fähigkeiten sprechen sehr deutlich gegen die Aufnahme eines Sportstudiums.
AUSZUG EINES GESPRÄCHS ZWISCHEN EINEM TEILNEHMER DES „STÜTZKURSES TURNEN“ UND DER KURSLEITERIN
Tim: „Wenn ich an meinem Sportstudium scheitern sollte, dann liegt es ganz bestimmt daran, dass ich nicht gut genug turnen kann. Ich übe seit zwei Semestern etwa zweimal pro Woche und habe das Gefühl, insbesondere beim Bodenturnen keine wirklichen Fortschritte zu machen. Gerade dann, wenn jemand zuschaut, gelingt mir gar nichts!“
Anna: „Es ist nicht ungewöhnlich, dass unerfahrenere Turner manchmal sehr lange brauchen, um bestimmte Bewegungen umzusetzen. Wenn du mit Hochdruck dranbleibst, wird es bald klappen!“
Die hier deutlich werdende Sorge spiegelt Unsicherheiten wider, die sich im Laufe eines Sportstudiums der Erfahrung nach aufseiten vieler Sportstudierender einmal oder auch mehrmals zeigen: Schaffe ich es angesichts meiner aktuellen Defizite in dieser oder jener Sportart überhaupt, mein Studium erfolgreich abzuschließen?
Bedenken, einzelne Prüfungen eventuell nicht zu bestehen, sind in allen Bereichen, in denen Nachweise über den eigenen Lernstand erbracht werden müssen (z. B. in Form von Klausuren oder mündlichen Prüfungen), allgemein bekannt. Gleichwohl scheint es im Falle sportpraktischer Prüfungen anders gelagert zu sein. Dies ergibt sich daraus, dass hier neben dem allgemeinen psychischen Prüfungsdruck primär physische (konditionelle und koordinative) Fähigkeiten gefragt sind.
So geht es in einer Turnprüfung u. a. darum, die Technik des Handstands 16zu demonstrieren. Damit vom Vorschwingen des Abdruckbeins bis zur senkrechten Position aller Körperteile (Handstandposition) eine saubere Umsetzung gelingt, bedarf es bei vielen Sportlern regelmäßiger und beharrlich umgesetzter Übungseinheiten. Dies gilt häufig auch für die vermeintlich größten motorischen Talente, da es darum geht, möglichst idealtypische Bewegungsabläufe zu demonstrieren (s. o.). Insofern wird ein gewisses Mindestniveau mit Blick auf den motorischen Lernstand erwartet. Was aber ist motorisches Lernenund wie kann man sich diesen Prozess vorstellen?
Olivier et al. (2013) zufolge bezeichnet sportmotorisches Lernen eine umgebungsbezogeneund relativ überdauernde Ausbildungund Korrektur von sportmotorischem Gedächtnisbesitz. 17Insofern ist motorisches Lernen ein Prozess, der zu einem Ergebnis, der sportmotorischen Verhaltensänderung, führen soll. Er ist jedoch für einen Lehrer oder Prüfer an einer Universität nicht beobachtbar, sodass lediglich vom Ergebnisauf den Prozess geschlossen werden kann. Im Bereich der Motorikforschung findet sich eine Vielzahl an Theorien, in welchen jeweils verschiedene Lernphasen unterschieden werden. 18
Ein sehr verbreitetes Schema zum motorischen Lernen geht auf die Motorikforscher Kurt Meinel und Günter Schnabel (1977) zurück. Sie beleuchten sowohl die Innenals auch die Außensicht einer Bewegungsfertigkeit, indem sie einerseits Prozesse der Informationsverarbeitung und Automatisierung (körperinnere Vorgänge) und andererseits die äußerlich sichtbaren Bewegungsmerkmaleberücksichtigen. 19Letztere sind in praktischen Prüfungen von großer Bedeutung; sie werden jeweils Bewertungen unterzogen.
Meinel und Schnabel ziehen in ihrem Modell Bewegungsmerkmale wie u. a. Bewegungsfluss, -präzision, -rhythmus und -kopplung heran, deren Ausbildungsqualität, zum Beispiel in Bezug auf die Ausführung des Handstands (siehe unten), auf drei aufeinander aufbauenden, nicht umkehrbaren und fließend ineinander übergehenden Phasen des motorischen Lernens jeweils unterschiedlich ausgeprägt ist: 20
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