Die Biomechanik(griech. „Bios“ = Leben, „Mechanik“ = Teilgebiet der Physik) als sportwissenschaftliche Disziplin greift auf Begriffe, Methoden und Gesetzmäßigkeiten der Physik zurück. Sie beschäftigt sich mit Fragen (und Antworten), die für die Analyse vieler sportlicher Bewegungen von großer Bedeutung sind. Am Beispieldes Hochsprungs könnten solche Fragen folgendermaßen lauten:
•Wie sieht ein optimaler Anlaufweg aus?
•Wie und wo sollte der Absprung erfolgen, damit die horizontale Anlaufgeschwindigkeit in einen möglichst hohen Kraftstoß nach oben umgesetzt werden kann?
Die Sportwissenschaft vereint als integrative Wissenschaft ein breites Spektrum aus Teildisziplinen, die sowohl der Natur- als auch der Geisteswissenschaft zuzuordnen sind. Die Entscheidung für ein Sportstudium erfordert die Bereitschaft und das Interesse, sich in Theorie- und Praxiskursen mit Wissensbeständen dieser Disziplinen (intensiv) zu beschäftigen.
AUSSCHNITT AUS EINER UNTERHALTUNG ZWEIER OBERSTUFENSCHÜLER EINES GYMNASIUMS
Ben: „Hoffentlich sind wir in Sport bald fertig mit Turnen. Bei mir reicht es noch immer nicht einmal für einen Handstand gegen die Wand. Wenn wir da benotet werden, sehe ich alt aus.“
Finn: „Ich würde mir da gar keinen Stress machen. Wir haben doch letztens noch Fußball im Unterricht gespielt. Da hat er [der Sportlehrer] doch gesehen, was du draufhast. Als ob deine Eins auf dem Zeugnis in Gefahr gerät.“
Anders als in vielen anderen Schulfächern geben gute und sehr gute Noten im Fach Sport allein keine zuverlässige Rückmeldung darüber, ob man für ein Sportstudium besonders geeignet ist. Dies liegt nicht unmittelbar oder gar ausschließlich in besonders „gutmütigen“ oder „netten“ Bewertungen seitens der Sportlehrkräfte begründet, sondern auch in den curricular festgelegten Aufgaben und Zielen des Fachs Sport:
„[Bei allen] […] Kindern und Jugendlichen [soll] die Freude an der Bewegung sowie am individuellen und gemeinschaftlichen Sporttreiben geweckt, erhalten und vertieft werden. […] Dabei sind Ansprüche an die Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport, auch wenn sie nicht immer explizit überprüft werden können, im Sinne einer umfassenden Persönlichkeitsbildung unverzichtbarer Bestandteil der Leitidee eines erziehenden Sportunterrichts.“ 4
Dieser Ausschnitt aus dem ersten Kapitel des Kernlehrplans Sport (Sekundarstufe I an Gymnasien des Landes NRW) zeigt auf, dass der Sportunterricht auch in besonderer Weise dem pädagogischen Ziel der Entwicklungsförderung von Schülerinnen und Schülern verpflichtet ist und keinesfalls – wie dem Anschein nach noch immer weit verbreitet – auf (messbare) motorische Leistungen hinarbeitet und diese schließlich einer Bewertung unterzieht.
Praxiskurse eines Sportstudiums verfolgen hingegen zumeist das Ziel, eigenes motorisches Können auf der Basis idealtypischer Bewegungsabläufe unter Beweis zu stellen. So geht etwa aus den im Modulhandbuch 5zum lehramtsbezogenen Bachelorstudiengang der Universität Koblenz-Landau festgeschriebenen Qualifikationszielen hervor, dass die Bachelor-Praxiskurse zu den Individualsportarten Leichtathletik, Gerätturnen, Schwimmen und Gymnastik/Tanz u. a. dazu befähigen sollen, „auf der Basis eigener motorischer Fähigkeitenund Fertigkeiten[…] Inhalte adressatengerecht zu erklären, zu demonstrieren, zu korrigieren und sichernd zu unterstützen“ 6.
Um dieses Ziel besser zu verstehen, soll es anhand einer Fertigkeit in einer Individualsportart und einer solchen in einem Sportspiel konkretisiert werden. Ausgewählt wurden hierfür der Handstand (Individualsportart Turnen) sowie das obere Zuspiel, das sogenannte Pritschen (Sportspiel Volleyball). Dabei werden vor allem auch die hervorgehobenen Begrifflichkeiten deutlicher.
Der Ablauf beim Durchführen eines Handstands ist von Anfang bis Ende der Bewegung vorherbestimmt: vom Aufschwingen der gestreckten Arme auf Ohrenhöhe, bis hin zum Schließen der Beine in der Senkrechten (Endposition). Es handelt sich beim Handstand um eine sogenannte Fertigkeit, „bei deren Anwendung es auf [eine] möglichst stabile und fehlerfreie Reproduktion ankommt“. 7Man spricht im Falle dieser technischen Fertigkeit, wie auch bei vielen anderen individualsportlichen Techniken, von geschlossenen Ausführungsbedingungen, weil weitgehend vorhersehbare und konstante Abläufe vorliegen. 8
Neben der spezifischen motorischen Fertigkeit, einen Handstand mit allen zugehörigen Teilbewegungen sauber ausführen zu können, sind Sportwissenschaftler zu der Einsicht gelangt, dass „auch allgemeine, bewegungsübergreifende Leistungsvoraussetzungen von großer Bedeutung“ 9sind. Damit sind Voraussetzungen gemeint, die nicht nur für eine bestimmte Fertigkeit (hier: den Handstand), sondern auch für andere (Turn-)Disziplinen von Belang sind.
In diesem Kontext wird von Fähigkeitengesprochen. So ist etwa eine Komponente wie die Orientierungsfähigkeit sowohl beim Handstand als auch bei anderen Fertigkeiten – z. B. beim Hürdensprint, bei einer Saltobewegung oder beim Vollspannstoß im Fußballspiel – gefragt.
Ähnliches gilt für Fähigkeiten, die die energetischen Voraussetzungen zur Umsetzung einer sportlichen Bewegung betreffen: Es leuchtet ein, dass auch Komponenten wie Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit – wenn auch in je unterschiedlichem Ausmaß – sportartübergreifend eine Rolle spielen. Die vier genannten Aspekte werden in der Sportwissenschaft zumeist unter der Überschrift „konditionelle Fähigkeiten“ (siehe unten) angeführt.
Im Grundsatz ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung des zweiten Beispiels (oberes Zuspiel im Volleyballspiel). Auch hier gibt es zahlreiche Technikbeschreibungen in Lehrbüchern, welche Vorgaben zur Trefffläche, Impulsgebung und zum Körper-Ball-Verhältnis enthalten. Insofern ist die idealtypische Ausführung in der Theorie, wie auch beim Handstand, vorgezeichnet.
Beim „Pritschen“ im Volleyball handelt es sich allerdings um eine sogenannte offene Fertigkeit, da im Zuge des Spiels (z. B. 6 gegen 6) „rasch wechselnde, unvorhersehbare Umfeldbedingungen zu bewältigen [sind], die eine dauernde situative Neuanpassung der Fertigkeit erforderlich machen“. 10So ist für einen Mitspieler beispielsweise erst kurz vor der eigenen Bewegungsaktion klar, wo genau das obere Zuspiel erfolgen muss, da etwa Ungenauigkeiten bei der Ballannahme eines anderen Spielers einkalkuliert werden müssen, die aber eben nicht vorhersehbar sind.
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