(50) |
*L’été passé ils ont construit une cabine ; peut-être qu’ils la construisent encore. |
(51) |
*Jean a été malade hier soir et il est malade maintenant. |
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(Beispiele aus Smith 1997: 194–195) |
Das imparfait hingegen betrachtet das Ereignis als unvollendet und betont dessen Unbegrenztheit: „L’imparfait montre un fait en train de se dérouler dans une portion du passé, mais sans faire voir le début ni la fin du fait“ (Grevisse 1986: 1290). Diese Unbegrenztheit ist dafür verantwortlich, dass das Imperfekt für eine korrekte Interpretation eines sprachlichen oder kontextuellen Ankers bedarf. Es handelt sich somit um ein primär anaphorisches Tempus (vgl. Mitko 2000: 120; Smith 1997: 204; Viguier 2012: 99–100). Diese Unbegrenztheit, aus der sich die Unfähigkeit ergibt, die für die Interpretation notwendigen Konturen sichtbar zu machen, zwingt den Sprecher, eine Innenperspektive einzunehmen. Die Fähigkeit der perfektiven Verbformen hingegen, die Grenzen sichtbar zu machen, ermöglicht es einerseits als Anker für das Imperfekt zu dienen und erzeugt andererseits ein Zurücktreten vom Sachverhalt (eine Außenperspektive), wodurch die Situation in den Vordergrund tritt und als Ganzes sichtbar wird. Daraus ergibt sich auch die „textlinguistische Funktion der Markierung von ‚Vordergrund‘ und ‚Hintergrund‘ einer Erzählung [und] ist damit die Folge der aspektuellen Struktur der Verbformen“ (Mitko 2000: 120; Hervorhebung im Original).
Mithilfe des Kleinschen Systems können das passé composé und das imparfait folgendermaßen voneinander abgegrenzt werden (vgl. auch Mitko 2000: 83–87). Zur Veranschaulichung wird auf die in Kapitel 2.2 genannten Beispiele in etwas modifizierter Weise eingegangen. Der Richter fragt beispielsweise, was der Zeuge zwischen 14 und 17 Uhr gemacht hat, woraus sich ein Topikzeit-Intervall von drei Stunden ergibt. Der Zeuge könnte das Folgende antworten:
(52) |
J’ai pris un café avec des amis. |
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[ – – ] |
Die Situationszeit ist in der Topikzeit enthalten, wodurch die Grenzen der Handlung sichtbar werden. Der Sachverhalt wird somit als (abgeschlossenes) Ganzes betrachtet. Fragt die questio des Richters allerdings danach, was der Zeuge beim Betreten des Raumes gesehen hat, wird das Topikzeit-Intervall auf einen kurzen Moment reduziert. Der Zeuge könnte antworten:
(53) |
Un homme mangeait. |
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– – – – – [ – ] – – – – – |
In diesem Beispiel ist die Topik- in der Situationszeit enthalten, woraus sich die für das Imperfekt so charakteristische Innenperspektive ergibt. Die Handlung wird dadurch als im Verlauf befindlich interpretiert und es tritt die progressive Lesart zutage, welche im Französischen auch mithilfe der Periphrase être en train de ausgedrückt werden kann (vgl. Bertinetto 2000: 561; Chevalier et al. 1998: 332; Dahl 1985: 90; Momma in Druck):
(54) |
Il est en train de se ruiner. |
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(Beispielsatz aus Smith 1997: 200) |
Die Konstruktion weist typische Merkmale einer Progressivperiphrase auf. Beispielsweise kann sie weder mit statischen Prädikaten noch mit perfektiven Tempora verwendet werden (vgl. Smith 1997: 200–201). Obwohl sie systematisch gebildet werden kann, wird sie aufgrund ihrer geringen Frequenz (vgl. Dahl 1985: 90) und der Fakultativität nicht als grammatische Option im Standardfranzösischen angesehen (vgl. Smith 1997: 201).
Das imparfait besitzt darüber hinaus die Fähigkeit, Habitualität auszudrücken (Beispielsatz 55). Zusätzlich dazu können im Französischen aber auch Periphrasen – wie in Beispielsatz 56 avoir l’habitude de – zur Versprachlichung dieser Semantik benutzt werden (vgl. McManus 2011: 39–40):
(55) |
Quand nous étions à Strasbourg, nous allions tous les jours au lac. |
(56) |
Quand nous étions à Strasbourg, nous avions l’habitude d’aller tous les jours au lac. |
Abgesehen von diesen Grundbedeutungen besitzt das imparfait noch zahlreiche modale Nebenbedeutungen, auf die nicht näher eingegangen wird, da sie für die vorliegende Studie nicht von Relevanz sind (für eine ausführliche Übersicht vgl. Dethloff/Wagner 2014: 266–268; Grevisse 1986: 1292; Viguier 2012: 108–115).
In diesem Kapitel wurde dargestellt, wie das Französische die Unterscheidung von perfektiv und imperfektiv, die es aus dem Lateinischen übernommen hat, ausdrückt. Im Gegensatz zum Spanischen hat das analytische Perfekt, das passé composé , die synthetische Form, das passé simple , weitgehend aus dem gesprochenen Französischen verdrängt. In seiner perfektiven Lesart drückt es den perfektiven Aspekt aus und tritt somit in Opposition zum imparfait . Im nächsten Kapitel wird dargestellt, wie die aspektuelle Opposition im Spanischen versprachlicht wird.
Wie das Französische kennt das Spanische die Unterscheidung zwischen perfektiv und imperfektiv nur in der Vergangenheit. Der perfektive Aspekt wird mithilfe des perfecto simple , der imperfektive mithilfe des imperfecto ausgedrückt (vgl. Alarcos Llorach 1978: 78–81; Real Academia Española 1974: 462, 2009: 1688–1690; Zagona 2012). Das perfecto compuesto kann, anders als im Französischen, nicht als reines Vergangenheitstempus fungieren, da seine Semantik eine Loslösung der Topikzeit von der Äußerungszeit nicht zulässt:
(57) |
*He llegado ayer. |
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[– – – – – –] < TU |
Wenn die Situation nicht am Tag des Sprechzeitpunktes stattfindet, benötigt das spanische Perfekt eine kontextuelle Spezifizierung (z. B. y por eso estoy cansado ), die einen Gegenwartsbezug herstellt:1
(58) |
He tenido un viaje largo y por eso estoy cansado. |
Dieser Gegenwartsbezug unterscheidet es vom perfecto simple . Die Real Academia Española (2009: 1688) definiert Letzteres als „una forma aspectualmente PERFECTIVA. Focaliza la situación en su totalidad y expresa, por tanto, que la acción descrita llega a su término“. Dass die Perfektivität Teil der Semantik dieser Form ist, wird durch den conjunction test bestätigt. Dies trifft wie im Französischen, aber im Unterschied zum Englischen, sowohl auf telische (Beispielsatz 59) als auch auf statische Prädikate zu (Beispielsatz 60):
(59) |
*El verano pasado construyeron una casa; puede ser que aún la estén construyendo. |
(60) |
*Juan estuvo enfermo ayer y aún lo está. |
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(Beispielsätze in Anlehnung an Smith 1997: 194) |
Die Verwendung der perfektiven Verbform construyeron impliziert, dass das Bauen des Hauses abgeschlossen wurde. Die Information, dass man noch immer dabei ist, zu bauen, tritt in Konflikt mit dieser Abgeschlossenheit und ist der Grund für die mangelnde Grammatikalität des Satzes. Dieselbe Argumentation trifft auch auf Beispielsatz 60 zu.
Das imperfecto hingegen „presenta la acción en su curso, sin referencia a su inicio o su fin“ (Real Academia Española 2009: 1688). Per definitionem beschreibt es eine Situation, ohne die temporalen Anfangs- und Endpunkte zu fokussieren. Diese Unbegrenztheit führt wie auch beim französischen imparfait dazu, dass es einen Rahmen braucht, in den es sich integrieren kann:
[S]i se tiene en cuenta que el IMP, como pasado imperfectivo, codifica la instrucción de situar en el pasado una situación no delimitada, y que una situación sin límites temporales requiere un marco en el que integrarse para poder ser situada y ordenada temporalmente con respecto a otros eventos, entonces el carácter anafórico es un efecto producido por una propiedad más básica, semántica, que es la imperfectividad (Leonetti 2004: 489; Hervorhebung durch den Verfasser).
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