Da staunen alle Freunde wieder einmal besonders über den auswuchernden, erheblichen Einfallsreichtum der munter plaudernden Studentin und ihre nimmer endende Fantasie.
Alle sind total überzeugt: »Das musst du unbedingt veröffentlichen. Das ist eine ziemlich neue Art von Nonsenslyrik!«
Darauf die Anna-Lena stolz: »Solche Geschichten fallen mir ständig ein, wenn ich beim Joggen unterwegs bin.«
Doch der Martl ist gleich wieder angriffslustig: »Hier kann man nur ergriffen sagen: blond und dumm gelaufen.«
Das hübsche Mädchen schüttelt nur den Kopf und entgegnet zum mehr als schütteren Resthaar des Spaßmachers: »Am Kopfe oben immer lichter, innen drinnen immer schlichter.«
Als dann viel später wieder ein kostbarer Tag allmählich dem Ende zugeht und früh die Dämmerung anbricht, sind überraschenderweise draußen bleischwere, dunkle Wolken aufgezogen. Es beginnt erneut zu schneien. Der Martl wirft zuerst einen zufriedenen Blick durch das Fenster und dann ein paar trockene Fichtenscheite in die funkensprühende Glut.
Er bemerkt ironisch-süffisant: »Bei so einem Wetter möchte ich nicht im Freien übernachten müssen.« Dann holt er die halb volle Whiskyflasche aus seinem Rucksack, fragt aber nebenbei: »Hoffentlich hat sich der Weinvorrat, den wir im Herbst heraufgeschleppt haben, nicht so ohne Weiteres verflüchtigt. Aber schließlich sind wir ja überhaupt keine Alkoholiker.«
Alle wissen zufrieden, dass sich dieses Weihnachten und die kostbare Hüttenromantik noch tagelang ausdehnen werden. Und zum Abschluss der feierlichen Tage steht im Stall eine alte, beinahe historische Hickory-Skisammlung bereit für den Fall, dass der Schnee wie dieses Mal überraschend und unvorhergesehen erst spät um die Weihnachtszeit eintrifft und eine zünftige Abfahrt dem mühsamen Fußmarsch ins Tal auf alle Fälle vorzuziehen ist.
Wildkatze?
Wir haben einen anhänglichen, lieben Kater. Er ist tarnfarben grau gemustert mit seltenen Zeichnungen auf den Seiten. Offensichtlich ist er auch intelligenter als seine Artverwandten, bestimmt sogar schlauer. Aber vor allem von seinem Tonumfang her musikalischer. Dieser Bursche wurde eigentlich gesetzwidrig bei uns eingeführt und hat sich von selbst von der beinahe unberechenbaren Wildkatze zur braven, friedlichen Hauskatze geläutert. Wie es dazu kam? Das ist eine längere, aber spannende und vielleicht sogar unheimliche Geschichte:
Weiter oben am Samerberg gibt es eine abgelegene Ausflugswirtschaft mit einmaligem Ambiente. Nicht nur die normalen Speisen und Getränke wie das süffige, dunkle Bier und die feinen Torten und Gebäcksachen sind bemerkenswert, nein, auch die Aussicht von der Terrasse ist sommers wie winters beeindruckend und einmalig. Besonders, wenn die Abendsonne zwischen den Felswänden und bewaldeten Höhen abtauchen will. Dann heben sich ganz oben beinahe theatralisch-lyrisch einzelne, klar gezeichnete Baumriesen plastisch und scharf von dem allmählich in das Dunkelblau des schwindenden Tages abtauchenden Firmament ab. In trauter Runde blicken wir hinüber auf das natürliche Schauspiel. Eigentlich ist die Terrasse in dieser vorweihnachtlichen Zeit geschlossen. Aber nicht an diesem ungewöhnlich milden Dezembertag mit Frühlingstemperaturen.
Und plötzlich springt mir wie aus dem Nichts ein quirliges Fellknäuel vorwitzig auf den Schoß und blickt mir in die Augen, als wolle es sagen: »Ich bins, der fröhliche Bursche vom Samerberg.« Das kann er – wie sich später herausstellt, handelt es sich um einen Kater – zwar nicht sagen, aber sein frecher Blick und ein gedehntes, mehrere Töne, ja fast eine ganze Tonleiter umfassendes Miauen scheinen das auszudrücken. Er ist offensichtlich in Katzenkreisen musikalisch ausgebildet worden.
Ich kraule ihm den Kopf, sage einige kindische, vielleicht sogar dümmliche Silben wie »duzi, duzi, duzi«, aber blitzschnell ist er wie vom Erdboden verschwunden. Vielleicht mag er ja als intelligentes Tier solche dümmlichen Aussagen nicht. Obwohl so ein zutrauliches Wesen freilich keine Wildkatze sein kann, ist sein plötzliches Auftauchen und gründliches Verschwinden dubios.
Der Wirt dazu: »Wir wissen auch nicht, wo dieser geheimnisvolle Kater herkommt und wohin er immer so schnell verschwindet. Kein Mensch weiß das, nicht einmal meine Frau, die sonst alles weiß.«
Den spöttischen Unterton hört meine eigene Frau nicht so gern. Trotzdem fragt sie den Wirt, ob er dieses Tier vielleicht näher kennt.
»Nein«, sagt der und er wisse auch nicht, woher das Viecherl gekommen sei oder wohin es immer so schnell renne.
Diese geheimnisvolle Begegnung weckt eine unglaubliche Begehrlichkeit in meiner Frau für das möglicherweise heimatlose Tier. Bevor wir uns wieder auf den Heimweg machen, sucht meine Frau noch das umgebende Gelände zwischen den paar Bauernhöfen genauestens ab. Vergeblich. Auch zu Hause lässt ihr diese eigenartige Episode keine Ruhe.
Bereits am nächsten Tag, es ist ein Sonntag, schleppt sie mich und ihre Nichte, die sie zur Verstärkung mitgebracht hat, wieder hinauf zur Almhütte. Das Wetter hat sich geändert. Es ist wesentlich kälter geworden und nasser Schnee fällt in großen Flocken aus tiefhängenden, schwarzen Wolken. Während ich im Auto sitzen bleibe – ich habe ein mulmiges Gefühl bei dieser Sache – rücken die beiden sofort wieder suchend aus. Meine offensichtliche, ernste Warnung bezüglich Diebstahl eines Haustiers wird in den nun stürmischer werdenden Wind geschlagen. Ich soll unbedingt mit auf die Suche nach dem Tier gehen, um ihm ein Zuhause zu geben.
»Nein, ich komme nicht mit. Diese Aktion scheint mir etwas verboten und unheimlich«, sage ich trotzig. »Das könnte doch auch eine Wildkatze aus dem nahen Wald sein, das keinesfalls gefangen werden will«, fällt mir noch als Argument ein. Dann warte ich. Ich warte lange.
Mehrere Personen kommen schemenhaft und laut diskutierend die Straße herauf. Ich ducke mich tief in den Sitz, um nicht gesehen zu werden. Vorsichtig und lauernd spähe ich in den Seitenspiegel und kann drei bewaffnete Polizisten erkennen, die vielleicht auf der Suche nach üblen Straftätern umherschweifen. Wichtig redend ziehen sie allerdings am Auto vorbei. Bis auf die beiden Worte »Wildkatzen« und »Tierwohl« kann ich nichts verstehen.
Nach ein paar Minuten steige ich vorsichtig aus. Die Polizisten sind verschwunden. Zufällig streift mein Blick das nächstgelegene Bauernhaus. Und wer schaut da vorsichtig, nur mit Augen, Ohren und Nase um die Ecke? Es ist das tarnfarbene, schön gemusterte Katzentier. Ich schleiche langsam in seine Richtung. Immer noch blickt es mich unverwandt an. Als ich ihm schon ganz nahe bin – schwupp – ist es schon wie ein Blitz ins Nichts verschwunden.
Als ich diese Beobachtung pflichtbewusst den beiden Zurückkehrenden melde, sind sie, gleich wieder angespornt, sofort erneut auf der Jagd nach dem geheimnisvollen Kater. Leider wieder vergeblich. Nach längerer Suche kommen sie niedergeschlagen zurück. Es ist inzwischen finster geworden und mit dem stärker werdenden Schneetreiben hängt ein weißer Vorhang vor der Kulisse der Nacht und den paar Bauernhäusern. Die Jagd wird endlich ungelöst und aussichtslos abgebrochen. Aber so schnell geben die beiden keineswegs auf. Sie beraten sich ausführlich über das weitere Vorgehen.
Einen Tag später sind wir schon wieder oben in den Jagdgefilden. Die Gaststätte ist geschlossen. Ein Schild mit der Aufschrift »Weihnachtsferien« hängt an der schön gemusterten, alten Eichentüre. Doch der freundliche Wirt kommt wie gerufen zufällig heraus. Auf das Trommelfeuer von konspirativen Fragen der beiden Tierjägerinnen schüttelt er nur den Kopf.
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