Warum bin ich nur so geworden, Klara? So verkorkst und so. Depressiv, meinte Frau Liesban. Ich würde depressiv auf sie wirken, und dann fragte sie, ob ich Probleme zu Hause hätte.
Na, die hat vielleicht Nerven! Probleme zu Hause. Mit ihrem Chef womöglich. Das vergessen die Pauker hier immer so gerne. Dass good old Daddy schließlich der Schuldirektor ist. Ich kann das jedenfalls nicht vergessen. Tut mir Leid. Auch wenn ich Paps an sich ganz in Ordnung finde, so weiß ich doch andererseits schon längst, dass er zu Mädchen alles andere als nett ist. Aber das würde mir an dieser Schule sowieso niemand glauben. Also wieso fragt die blöde Lehrerin uns überhaupt, wenn sie die Antwort doch sowieso nicht hören will?
Und wie ich mit ihr über meine nächtlichen Abenteuer reden soll – das ist mir das absolute Rätsel überhaupt!
Siehst du, Klara, jetzt hab ich schon wieder die ersten Flecken in meinem neuen Tagebuch. Ich bin doch wirklich ein hoffnungsloser Fall. Bitte, verzeih mir! Ich habe gerade auf die Uhr geguckt. Ich muss unbedingt schlafen. Aber ich verspreche dir, dass ich jetzt öfter in das Buch hier schreibe, weil das toll ist und ich mich jedes Mal nach dem Schreiben richtig gut fühle. Es war übrigens eine gute Idee von dir mit dem Schulbuch. Ich glaube, es ist die perfekte Tarnung.
Komisch, wer kommt denn da die Treppe rauf mitten in der Nacht? Oh Gott, Mama …
Ein Märchen für Sascha
3. Kapitel, in dem Sascha zwei neue Freunde trifft, ein Märchenbuch sich in einen bösen Traum verwandelt und Hannah heimlich Fragen stellt
Sie sah in ein freundliches blaues Gesicht mit einem großen lachenden Mund, der sich öffnete und schloss, und sie ließ langsam eine Hand auf die Knie sinken. Warum das Tier da vorne wohl gar nicht spricht, überlegte sie und wagte nicht, sich zu bewegen, um den kleinen blauen Kuscheldrachen nicht zu verscheuchen. Sie wusste sehr genau, wie behutsam man sich bewegen musste, um ängstliche kleine Wesen nicht in Panik zu versetzen.
Ja, sie hatte schon oft gehört, dass Kuscheltiere gar nicht wirklich lebendig sind. Vati und Mutti sagten ihr das immer wieder, aber irgendwie wollte sie nicht daran glauben. Wenn ihr kleiner gelber Teddy mit ihr sprechen konnte, warum sollte es dieser blaue Drache dann nicht können?
Sie lächelte unter Tränen und sah den Drachen unverwandt an, in der Hoffnung, dass er etwas zu ihr sagen würde. Dass er ganz lebendig werden würde und sie vielleicht mit ihm spielen könnte. Vorsichtig setzte sie sich ein wenig bequemer hin. Mit jeder ihrer Bewegungen ließ sie sich sehr viel Zeit und nur ganz bedächtig wischte sie sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus dem Augenwinkel.
»Hallo, du«, sagte der Drache plötzlich. Dabei legte er den Kopf schief und grinste über sein ganzes kleines Gesicht.
Sie jubelte innerlich. Mutti und Vati hatten Unrecht. Kuscheltiere sprachen wohl. Nur konnten Erwachsene sie nicht hören.
»Ich heiße Flax Flabi Fledermaus, aber der Einfachheit halber darfst du Flax zu mir sagen, und jetzt bin ich auch noch ein kleiner Drache. Genau genommen nämlich erst achthundertdreiundvierzig Jahre alt, aber die Janne will mir trotzdem schon bald das Feuerspucken beibringen. Das«, fuhr der kleine Drache fort, »habe ich noch nicht gelernt.«
»Ich heiße Sascha und bin schon fünf«, flüsterte sie, und zum Zeichen ihrer Freundschaft legte sie ihren Kopf ebenfalls ein wenig schief.
»Dann kannst du wohl auch noch nicht Feuerspucken?«, wollte der Drache wissen.
Sascha lachte verlegen. »Nein, Feuerspucken, das kann ich nicht. Aber Radfahren«, erklärte sie stolz. Sascha freute sich über den Drachen, und als er ein wenig näher rutschte, streckte sie ihre Hand vorsichtig nach seinem Kuschelfell aus. Nur so weit, dass er noch selbst entscheiden konnte, ob er angefasst werden wollte.
Der Drache wollte dies ganz offensichtlich, denn er schmiegte sein Köpfchen nun gegen ihre Hand. Sascha gluckste vor Vergnügen und ihre Augen begannen zu strahlen. Sie streichelte den blauen Drachen ganz behutsam und sah ihm dabei in die Augen. Sie sahen aus wie dunkle glitzernde Sterne, und Sascha wurde es ganz warm im Bauch. Da entdeckte sie unter dem Küchentisch eine bunte Glaskugel, die verführerisch glänzte.
»Du, Flax?« Das du zog sie in die Länge und die Betonung lag zitternd im Raum. Der Drache beobachtete sie mit weiterhin schief gelegtem Kopf, und sie wagte den zweiten Versuch. »Du, Flax, magst du Murmeln auch so gerne wie ich?«
Der Drache nickte heftig und lachte.
»Soll ich mal die da holen und wir spielen zusammen?« Sascha deutete mit dem Kopf in Richtung Küchentisch.
»Au ja«, freute sich Flax und Sascha rutschte auf Knien unter den Tisch.
Die Murmel fühlte sich kühl an in ihrer Hand. Sie war klein und durchsichtig mit winzigen Regenbögen innen und einem Blauschimmer, der leuchtete, wenn Sascha die Kugel leicht bewegte. Sie rollte die Murmel vorsichtig zu dem kleinen Drachen, der vor Freude ein wenig in die Höhe sprang. Dann ließ er die Kugel zu ihr zurückrollen, und es begann ein Spiel, das im Laufe der Minuten immer ausgelassener und wilder wurde.
Sascha hatte sich noch nie in ihrem Leben so wohl gefühlt, und sie vergaß, wie groß ihre Angst sonst immer war. Sie fühlte sich sicher und auch verstanden und endlich, endlich hatte sie einen Freund gefunden, dem sie etwas von sich erzählen konnte und der mit ihr spielte und ihr glaubte, dass es sie wirklich gab. Und endlich fror sie nicht mehr so schrecklich und niemand lachte böse auf diesem schönen Holzfußboden.
Sascha beobachtete immer noch, ob sich Flax vielleicht veränderte und ein böser Wolf wurde, der sich auf sie stürzte und sie zerriss. Aber so lange sie auch hinsah, Flax blieb einfach Flax, der sich über das Glasperlenspiel freute, und deshalb durfte sie endlich auch Sascha bleiben, die mit ihm spielen konnte, ohne sich zu fürchten.
»Sascha, magst du vielleicht auch einen Saft? Ich habe großen Drachendurst.«
Sascha nickte.
»Dann frag ich mal die Janne, ob sie uns was zu trinken holt, ja?«
Als Sascha nicht antwortete, beugte sich der kleine Drache verschwörerisch zu ihr vor und zog eine Augenbraue hoch. »Die Janne, das ist nämlich schon eine große Freundin und sie gibt mir immer alles, was ich haben möchte.« Der Drache lachte verschmitzt. »Die bringt mich sogar ins Bett und liest mir noch Märchen vor, bis ich eingeschlafen bin.«
So etwas hatte Sascha noch nie gehört und vor Staunen wurden ihre Augen ganz groß und kugelrund. Solche Freunde hatte Flax? Sie konnte es kaum glauben, aber als der Drache begeistert nickte, merkte sie, dass sie eigentlich sehr großen Durst hatte und dass sie sich auch jemanden wünschte, der sie in den Arm nahm und ihr eine Geschichte vorlas. Flax war ein bisschen zu klein, um sie in den Arm zu nehmen.
»Willst du die Janne vielleicht kennen lernen?«, fragte Flax.
Sascha zuckte fragend mit den Schultern. Sie überlegte, ob sich der Drache auch bestimmt nicht irrte, und als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte er:
»Ich kann die Janne jederzeit wieder wegschicken. Ich habe das schon tausendmal ausprobiert und sie hat immer auf mich gehört. Stimmt doch, oder?«
Mit dieser Frage drehte er sich um und sah nach oben. Sascha folgte seinem Blick, und da saß eine Frau auf dem Küchenboden, die dem Drachen zunickte und sehr ernst sagte: »Ja, Flax, du hast völlig Recht. Ich mache immer ganz genau das, was du mir sagst. Weil du einfach die besten Ideen hast. Und Saft«, jetzt sah die Frau Sascha an, »ist zum Beispiel eine ganz hervorragende Idee.«
Die Frau hatte freundliche Augen und eine schöne Stimme. Sascha konnte sich gut vorstellen, dass sie bestimmt wunderschön Märchen vorlas. Und sie sah auch ganz lustig aus mit ihren bunten Sachen und diesen Haaren, die ein bisschen aussahen wie Drachenhaare. Ihre Augen waren wie große Zaubermurmeln, und Sascha lächelte, während sie von der Frau zu Flax und zurückblickte.
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