
Abb. 2:In Jiahu gefundene Keramikgefäße (Archäologisches Institut, Henan, Zhengzhou).

Abb. 3:Die ältesten Musikinstrumente Chinas: Knochenflöten von Jiahu (Archäologisches Institut, Henan, Zhengzhou).
Zu den länger kaum beachteten Errungenschaften der Jiahu-Kultur gehören auf Schildkrötenpanzer und Knochen eingravierte Symbole, die nach heutigem weitgehendem Konsens eine Urform der chinesischen Schriftzeichen erkennen lassen. Schildkrötenpanzer und Knochen wurden 5.000 Jahre später während der Shang-Periode (16. – 11. Jh. v. Chr.) – nur wenig nördlich von Jiahu – in beträchtlichen Mengen für die Orakelbefragung und für die Aufzeichnung der ältesten chinesischen Texte verwendet. Nicht zufällig entfaltete sich ab der Shang-Zeit die komplexeste Alkoholkultur der Menschheit in Verbindung mit beispiellos aufwändigen Gemeinschafts-, Götter-, Ahnen- und Begräbniskulten. Des Weiteren verraten die Ausgrabungen von Jiahu, dass hier die Domestizierung von Hunden und Schweinen begann, wobei es bezüglich letzterer wohl der älteste Fundort der Welt ist. Überdies sind hier die ersten Ansätze der Kultivierung von Reis ( Oryza sativa ) nachweisbar, der allerdings eine nur sehr untergeordnete Rolle bei der Ernährung spielte und zunächst wohl in erster Linie als Stärkelieferant für die Herstellung des »Jiahu-Cocktails« diente. Schließlich belegen Reste von Behausungen und zahlreiche Funde von Stein- und Knochenwerkzeugen die ersten Anfänge von Ansiedlung und landwirtschaftlicher Arbeit, neben den nach wie vor den Alltag bestimmenden Tätigkeiten des Sammelns, der Fischerei und der Jagd. Nicht zuletzt beweist die Entdeckung karbonisierter Traubenkerne – in der Provinz Henan kommen heute noch mindestens 17 einheimische Wildreben vor –, dass Weintrauben im sozialen, rituellen und kreativen Leben der Jiahu-Siedler, ob nun als essbare Früchte oder als vergorener Saft, eine wichtige Rolle spielten. Dies erinnert direkt an vergleichbare Entwicklungen im Nahen Osten.
Die Ausgrabungsstätte liegt im zentralen Henan, mit 94 Mio. Einwohnern nicht nur die bevölkerungsreichste Provinz und eines der am dichtesten besiedelten Gebiete Chinas, sondern auch die Wiege der chinesischen Zivilisation mit einer beispiellosen Fülle archäologischer und historiographischer Zeugnisse bis zurück in die Steinzeit. Nur etwa 140 km nördlich von Jiahu fließt der Gelbe Fluss, in dessen Einzugsgebiet die meisten frühzeitlichen Siedlungen entdeckt wurden und noch immer gefunden werden. Noch einmal 160 km nördlich bei der Stadt Anyang liegt das große Grabungsareal des Herrschersitzes der späteren Shang-Dynastie (14. – 11. Jh. v. Chr.), wo die frühesten Zeugnisse zu den Anfängen der chinesischen Dynastiegeschichte entdeckt wurden. Hierzu gehören neben Tausenden von Schildkrötenpanzern und Rinderknochen mit den ältesten chinesischen Schriftzeichentexten v.a. kunstvolle Bronzegefäße, Jadeschmuck und Gräber mit reicher Ausstattung für das Weiterleben im Jenseits.
Trinkhörner, Zwillingskrüge, Keltern, Honig und Harz – Belege für den Kulturaustausch?
Ein prägnantes Beispiel für die Verbindung zwischen den Weinkulturen quer durch den eurasischen Kontinent sind die Trinkhörner, ursprünglich meist aus Rinderhörnern gefertigt, und mit fortschreitender Entwicklung als sog. Rhyta aus verschiedenen Materialien (Horn, Knochen, Holz, Elfenbein, Nashorn, Keramik, Glas, Jade, Porzellan, Bambus, Bronze, Silber, Gold etc.) und in unterschiedlichsten künstlerischen Formen herausgearbeitet. Verblüffend sind die Ähnlichkeiten und die beachtliche Verbreitung dieser meist Kult- und Libationszwecken dienenden Trink- und Ausschankgefäße. Sie finden sich vom Neolithikum bis ins Mittelalter und in die Neuzeit nahezu überall: in den weiten Regionen zwischen Nordeuropa und Südchina. Auf nahezu dem gesamten Territorium des heutigen China wurden derartige Funde gemacht. In den vorchristlichen Jahrtausenden entwickelte sich dort eine weltweit einzigartige Vielfalt und Systematik an Trink- und Libationsgefäßen zunächst aus Keramik, dann aus Bronze, die sowohl von ihrer künstlerischen Ausgestaltung als auch von der Etymologie ihrer Bezeichnungen her größtenteils auf diese Protoform des Rhytons zurückgeführt werden können (Abb. 4und 5). Die Rhytonkultur offenbart in besonderer Weise die wechselseitigen Einflüsse der prähistorischen und antiken Trinkritualsysteme Eurasiens und deren zentrale gesellschaftlich-religiöse Bedeutung entlang der Migrations- und Handelswege über gewaltige geographische Entfernungen hinweg. Interessant sind auch einzelne Trinkgefäßtypen, die überall entlang der Seidenstraße aus verschiedenen Epochen seit dem Neolithikum entdeckt wurden: etwa gestielte Pokale ( wine goblets ) aus Keramik, später auch aus Bronze oder Silber in teils identischer Gestalt. Frühe kunstvolle Exemplare wurden bereits aus dem 4. – 3. Jt. v. Chr. sowohl im Iran als auch in der ostchinesischen Longshan-Kultur entdeckt (Abb. 6). Ein weiteres Beispiel sind die sog. »Zwillingskrüge«. ( joint jars), die ebenfalls seit prähistorischen Zeiten überall zwischen Osteuropa, Kleinasien und China angefertigt wurden und bei nationalen Minderheiten teils heute noch benutzt werden. Die beiden miteinander verbundenen Trinkgefäße wurden von zwei gegenüberstehenden Partnern bei zeremoniellen Anlässen wie Friedensschlüssen, Besiegelung von Verträgen oder Eheschließungen eingesetzt (Abb. 7). Nicht zuletzt sind im gesamten Einzugsbereich der Seidenstraße an vielen Stellen antike Weinkeltern mit einem meist rechteckigen steinernen Presstrog und einem runden Mostauffangbecken am Ablassende aufgetaucht – die mit 6.100 Jahren älteste im armenischen Weinort Areni.

Abb. 4:Chinesisches Jade-Rhyton nach persisch-achämenidischem Vorbild, ca. 200 v. Chr., Grab des Königs von Nanyue, Guangzhou (Nanyuewang-Museum).

Abb. 5:Bronze-Trinkgefäß jue aus der Shang-Dynastie, 16. – 11. Jh. v. Chr. (Shanghai-Museum).

Abb. 6:Langstielige Pokale aus schwarzer Eierschalenkeramik, Longshan-Kultur, 2.500 – 2.000 v. Chr., Shandong (Nationalmuseum Peking).
Zwei wichtige materielle Indizien für die Annahme einer universellen Entwicklung der Wein- und Alkoholkultur sind die Zusätze Honig und Baumharz, die zur Förderung des Gärprozesses bzw. für die Haltbarmachung des Getränks von frühester Zeit an in nahezu allen antiken Weinregionen quer durch Eurasien in ähnlicher Weise verwendet wurden, oft noch ergänzt durch Kräuterzugaben (Myrrhe, Wermut, Pfeffer, Safran, Kapern, diverse Heilpflanzen). Auch in China wurden Reste solcher Zusatzstoffe in prähistorischen Keramikgefäßen und sogar in bis zu 3.000 Jahre alten alkoholischen Flüssigkeiten aus hermetisch verschlossenen Bronzebehältern aus Gräbern analysiert. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Bezeichnung für »Honig«, besonders in der abgeleiteten Bedeutung von fermentiertem Getränk (»Honigwein«), über ganz Eurasien verbreitet hat: Sanskrit madhu , Griechisch μἐθν, Deutsch Met , Englisch mead , Dänisch/Norwegisch mjød , Französisch miel , Litauisch medus , Russisch мёд, Tocharisch B mit , Altiranisch madu , Neupersisch mei , Ungarisch méz , Chinesisch mi usw.
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